Black Sun: The Nanking Massacre - Mou Tun-Fei (1995)

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Salvatore Baccaro
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Black Sun: The Nanking Massacre - Mou Tun-Fei (1995)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Hei Tai Yang: Nan Jing Da Tu Sha

Produktionsland: Hongkong 1995

Regie: Mou-Tun Fei

Darsteller: Liang Zhang, Yung Pan, Shao-tien Hsiung, Wen-ting Chiang, Wen-tu Pan, Hua Shao

In meiner Schulzeit entschied ich mich irgendwann dazu, dem Religionsunterricht den Rücken zu kehren, und mich stattdessen für Ethik einzuschreiben. Nicht zuletzt wurde diese Entscheidung dadurch begünstigt, dass es sich beim einzigen Ethiklehrer für unsere Stufe um einen sehr antiautoritär agierenden Mann handelte, den man schon mal, während man Schule schwänzte, in der Innenstadtfußgängerzone treffen konnte, weil er selbst gerade blaumachte. Sein Unterricht setzte sich aus lehrstofffernen Monologen zusammen, - (beispielweise riet er uns, bei politischen Wahlen die Zettel mit Micky Mouse oder Donald Duck zu unterschreiben) –, ein Faible hatte er für den französischen Existenzialismus, weshalb wir gefühlt jahrelang nur Sartre und Camus lasen, - und mit Vorliebe überbrückte er die Zeit mit dem Schauen von Filmen, die ebenfalls in kaum einem Bezug zum eigentlichen Lehrstoff standen. Eines Tages brachte er uns eine Dokumentation über das sogenannte Massaker von Nanking 1935 mit, bei dem die Truppen des japanischen Kaiserreichs wochenlang in der besetzten chinesischen Hauptstadt wüteten – ein Kriegsverbrechen, das noch heute in den beiden Ländern ganz unterschiedlich bewertet wird, und folgerichtig niemals richtig aufgearbeitet worden ist: Während Japan dazu tendiert, die offiziellen Opferzahlen Chinas von 300.000 Toten herunterzuspielen und das Massaker als Amoklauf einiger vereinzelter Generäle darzustellen, hält China wiederum die von Japan veranschlagte Zahl von 40.000 Opfern für maßlos untertrieben und instrumentalisiert das Blutbad oft und gerne beispielweise in Schulbüchern, um Ressentiments gegen den Inselstaat zu schüren. Während besagte Dokumentation lief – wohlgemerkt eine Produktion von ARTE oder ZDF, wenn ich mich recht entsinne, die freilich ohne allzu drastische Bilder auskam –, brachen zwei meiner Kurskameradinnen in Tränen aus, und flüchteten vor den geschilderten Gräueln förmlich aus dem Klassenzimmer. Zum Glück hatte unserer Lehrer an dem Tag nicht HEI TAI YANG: NAN JING DA TU SHA im Gepäck, die Aufarbeitung derselben Tragödie aus der Filmschmiede Hongkongs, die international auch unter dem ganz bestimmte Erwartungen weckenden Alternativtitel MEN BEHIND THE SUN 4 vermarktet worden ist…

Mit HE TAI YANG 731 – dem überaus kontroversen, weder mit Tiersnuff noch mit Aufnahmen der realen Autopsie einer Kinderleiche geizenden 1988er Magenschwinger um die berüchtigte Einheit 731, die in geheimen Forschungslaboren während des Zweiten Weltkriegs unaussprechliche Experimente an internierten Mandschurei-Chinesen durchführte – hat vorliegender Film allerdings im Grund nur zwei Dinge gemeinsam: 1) Sitzt bei beiden Streifen Mou Tun-Fei auf dem Regiestuhl, und 2) widmen sich beide Filme japanischer Kriegsverbrechen in einem Stil, der pure Exploitation und objektiv wirkende Dokumentation freimütig miteinander vermischt – wobei jedoch HEI TAI YANG: NAN JING DA TU SHA, im Vergleich zum ungleich bekannteren HE TAI YANG 731, die Exploitation-Schraube tatsächlich merklich zurückdreht und dafür den dokumentarischen Elementen wesentlich mehr Platz einräumt: Regelmäßig werden die Spielszenen von authentischen Filmaufnahmen und Photographien aus dem Nanjing der 30er unterbrochen, die nicht nur auf besonders explizite Schauwerte schielen, sondern größtenteils aus zeitgenössischem Wochenschaumaterial kompiliert wurden. Verzichtet wird ebenfalls auf eine konventionelle Dramaturgie, wie sie HE TAI YANG 731 zumindest in Ansätzen noch vorweist: Wirkliche Identifikationsfiguren oder gar Helden gibt es in HEI TAI YANG: NAN JING DA TU SHA nicht, stattdessen wirkt der Film tatsächlich wie ein Panoramaschwenk über die Ereignisse in der chinesischen Metropole kurz nach der Übernahme durch die Japaner, wobei das Leid der Zivilbevölkerung genauso breit thematisiert wird wie die strenge Hierarchie und intrigante Zwischenfälle innerhalb des japanischen Militärs bzw. einzelnen konkurrierender Einheiten oder die Rolle ausländischer Hilfsorganisationen und Privatpersonen wie dem Deutschen John Rabe, die alles daran setzen, so viele Chinesen wie möglich in selbstgeschaffenen Schutzzonen aus dem Visier der fanatisch mordenden Japaner zu nehmen.
Ich bin nun kein Experte für die Geschichte Chinas oder Japans zu Weltkriegszeiten, doch macht es zumindest auf mich als Laien den Eindruck, als würde sich Mou Tun-Fei eng an den überlieferten Fakten entlangbewegen – zumal er seinen Film ja, wie gesagt, nicht nur mit Bildern aus den Archiven unterfüttert, sondern auch jede wichtige handelnde Figur mit Namen und Zahlen einführt, zum Beispiel, indem er in nüchternem Ton aufführt, welche Grausamkeiten welcher japanische General bereits auf dem Kerbholz hat. Dass die Japaner alles andere als gut wegkommen, dürfte niemanden überraschen, und natürlich kann man, wenn man denn unbedingt will, Mou Tun-Fei unterstellen, sein Film solle schwarzweißmalerische Propaganda sein, die den alten Konflikt zwischen China und Japan auf dem Feld der Kinematographie fortschreibt. Andererseits bin ich doch ziemlich froh darüber, dass der Film solche unglaubwürdigen, nahezu kitschigen Entgleisungen vermeidet wie die, die sich Godfrey Ho in seinen eigenen beiden Sequels zu HE TAI YANG 731 von 1992 respektive 1994 geleistet hat, wo japanische Soldaten, die kurz zuvor noch Chinesen als Labortiere missbraucht haben, innerhalb kürzester Zeit Hundertachtzig-Grad-Wendungen hinlegen, und plötzlich für Völkerverständigung und Menschenrechte eintreten – und damit die historischen Tatsachen nun wirklich in arg verfälschendem Zuckerwasser ertränken.

Dankbar bin ich Mou Tun-Fei ebenfalls dafür, dass er beim Bebildern des Gemetzels nur in zwei Instanzen nennenswert über die Stränge geschlagen hat. Die Szenen, in denen schamlos die Exploitation-Fahne hochgerissen wird, ranken sich beide um Grausamkeiten gegenüber Kindern. Diejenige, die zeigt, wie ein japanischer Soldat einer schwangeren Chinesin mit dem Bajonett in den Bauch sticht und den ungeborenen Säugling aufgespießt auf dem Lauf seiner Waffe ans Tageslicht fördert, ziert so manches Cover dieses Films und vermittelt mit ihrer plakativen, anatomisch zudem recht fragwürdigen Gewalt einen Eindruck, dem der Streifen dann tatsächlich nur noch in einer weiteren Szene gerecht wird, wo ein Baby einem kochenden Reistopf überantwortet wird. Ansonsten schockiert HEI TAI YANG: NAN JING DA TU SHA aber weniger durch seine Handvoll eher primitiv umgesetzter Splattereffekte mit Plastikköpfen und Plastikgliedmaßen, sondern viel eher durch seine Struktur: Jedes Mal, wenn wir eine Figur kennenlernen, die uns sympathisch ist, können wir sicher sein, dass es mit ihr früher oder später kein gutes Ende nehmen wird. Da ist der Vater eines kleinen Jungen, der seinen Hals rettet, indem er sich aufgrund seiner Kenntnisse der japanischen Sprache den Besatzern als Dolmetscher andient, und dann sterben muss, weil ein General vor japanischen Journalisten für Pressephotos posieren möchte, auf denen er gefangenen Chinesen die Köpfe abschlägt – und unser Dolmetscher eben in dem Moment der einzige Chinese ist, den man zur Hand hat. Da ist ein junger Mann, der nichts unversucht lässt, die schwersten Schläge von seiner Familie fernzuhalten, und der trotzdem nicht verhindern kann, dass sowohl die eigene Schwester wie die Großmutter von japanischen Soldaten vergewaltigt werden. Da ist vor allem aber auch die filmtechnisch beeindruckende, gänsehautinduzierende Szene, in der hunderte chinesische Leichen am Strand aufgebahrt und von ihren Mördern angezündet werden – in einer elegischen Fahrt folgt die Kamera den in Flammen aufgehenden Körpern, erhebt sich schließlich sogar in die Lüfte, um das makabre Schauspiel aus Vogelperspektive anklagend zu betrachten. Bei alldem wahrt der Film trotz des furchtbaren Sujets weitgehend die Contenance: Zumindest auf mich hat es selten den Anschein, HE TAI YANG: NAN JING DA TU SHA würde die Martyrien seiner Protagonisten über Gebühr ausbeuten und primär an die Schaulust seines Publikums appellieren. Dies verhindern wahrscheinlich auch die immensen Produktionskosten, die der Film sichtlich verschlungen haben muss: Gerade im Vergleich mit den originalen Bilddokumenten muss man Mou Tun-Fei anerkennen, dass er auf den Studiogeländen Hongkongs das historische Nanjing in vielen detailfreudigen Settings nachgebaut hat – was den Streifen wiederum rein von dem Aufwand, der für ihn betrieben worden ist, durchaus auf das Niveau vergleichbarer Hollywood-Blockbuster hievt.

Einem Hollywood-Blockbuster indes traue ich dann doch nicht eine gespenstische Szene wie folgende zu: Die kleine muslimische Gemeinde Nanjings beschließt, trotz des Verbots der Besatzer, ihre Toten zu bestatten. In der nebelverhangenen Abenddämmerung bringen sie die Leichen vor die Tore der Stadt, um sie nach islamischem Recht der Erde anzuvertrauen. Eine Kompagnie japanischer Soldat begegnet ihnen auf diesem Weg und der Kommandant der Truppe provoziert die Muslime, indem er einem von ihnen sein totes, in weiße Laken eingehülltes Kind entreißt und ein paar Schüsse auf den kleinen Körper abgibt. Beeindrucken lassen sich die Gläubigen davon nicht: Der Vater nimmt sein Kind einfach wieder auf den Arm und man marschiert schweigend an den Japanern vorbei, die wiederum zu Salzsäulen erstarrt sind und es nicht wagen, den Muslimen Einhalt zu gebieten. Am Ende verschwimmt der Trauerzug im allesumfassenden Nebel.

Vielleicht wäre es doch gar nicht so verkehrt gewesen, hätten wir damals im Ethikunterricht genau diesen Film geschaut…
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