Auf Zorros Spuren - Nick Nostro (1963)
Verfasst: Mi 13. Jan 2021, 09:15
Produktionsland: Italien 1963
Regie: Nick Nostro
Darsteller: Anthony Steffen, Diana Martín, Leontine May, Alberto Farnese, Piero Vivaldi, Paul Maxwell, Giovanni Vari, Alfredo Censi, Laura Nucci
Nach LA CIECA DI SORRENTO von Nunzio Malasomma aus dem Jahre 1934 und LA CIECA DI SORRENTO von Giacomo Gentilomo aus dem Jahre 1953 nun also mit LA CIECA DI SORRENTO von Nick Nostro aus dem Jahre 1963 die dritte Adaption des bereits 1852 publizierten gleichnamigen italienischen Literaturklassikers Francesco Mastrianis. Dass der Streifen hierzulande seinerzeit unter dem irreführenden Titel AUF ZORROS SPUREN in die Kinos gelangte, ist freilich eine gezielte Publikumstäuschung, handelt es sich doch um eine während der Napoleonischen Besatzungszeit Italiens angesiedelte Mixtur aus Kostümmelodram und Kriminalfilm, die zumindest in ihren beiden vorherigen Manifestationen vollkommen ohne Mantel-und-Degen-Duelle auskommt, und somit eigentlich nicht weiter vom schwarzbemaskten Rächer der Entrechteten entfernt sein könnte. Andererseits muss man den teutonischen Titelschmieden zugutehalten, dass sie ihre Zuschauerschaft immerhin nur ein bisschen an der Nase herumführen: Zorro ist zwar weit und breit nirgends zu sehen, trotzdem ist indes nicht von der Hand zu weisen, dass Nostro offenbar versucht, Mastrianis narratives Grundgerüst zwar weitgehend unangetastet zu belassen, es aber zumindest ästhetisch in die Form von Abenteuerfilmen und Western zu gießen, wie sie im Stiefelland seinerzeit gerade en vogue gewesen sind. Der Effekt ist irritierend – und gerade bei einer Laufzeit von über hundert Minuten leider vor allen Dingen ermüdend.
Am Plot selbst nimmt das von Nostro zusammen mit Giovanni Simonelli verfasste Drehbuch dabei gar nicht allzu eklatante Modifikationen vor: Erneut kehrt ein inzwischen zum renommierten Augenarzt avancierter junger Mann nach zehnjährigem US-Exil unter falschem Namen in die sorrentinische Heimat zurück, wo eine Dekade zuvor sein Vater für einen Mord hingerichtet wurde, den er gar nicht begangen hat; erneut verliebt er sich in die bildhübsche Isabella, die Tochter des damaligen Mordopfers, die aufgrund des Anblicks ihrer toten Mutter erblindet ist; erneut setzt George alles daran, Isabella das Augenlicht wiederzuschenken, nicht nur um die junge Frau von ihrem Leid zu erlösen, sondern auch in der Hoffnung, sie könne dann den wahren Mörder ihrer Mutter identifizieren; und erneut befindet sich der eigentliche Täter im nächsten Umfeld Isabellas, und lässt seinerseits nichts unversucht, George unschädlich zu machen, um seiner Enttarnung zu entgehen und statt des Mediziners die Hand der reichen Erbin zu bekommen. Dennoch sind die Differenzen zwischen dem banalen Kostümfilm, den Gentilomo gedreht hat, und der mit ganz zarten Proto-Giallo-Elementen angereicherten expressiven Variante Malasommas ins Auge springend: Don Amadeo, wie der Mörder von Isabellas Mörder und ihr Ehemann in spe bei Nostro heißt, herrscht über Sorrent wie ein prototypischer Western-Bösewicht: Keine Fäden, die nicht in seinen heimtückischen, machtbesessenen Händen zusammenlaufen würden. Überhaupt erinnert Sorrent nebst Umland viel eher an eine rustikale Westernlandschaft jenseits des Großen Teichs als an eine historische Stadt unweit Neapels. Zu schwungvoller Prärie-Musik wird viel geritten, manchmal werden die Degen gekreuzt, und dass die männliche Hauptfigur ausgerechnet mit Anthony Steffen besetzt ist, der später tatsächlich in zahllosen Italo-Western mitwirken wird, mag zwar dem Zufall geschuldet sein, setzt dem Ganzen aber nichtsdestotrotz die Krone auf.
Das Problem jedoch: Der Roman Mastrianis ist eine eher sentimentale, sich im Subtext an den politischen Umbrüchen des frühen 19. Jahrhunderts abarbeitende Liebesgeschichte, die selbst ihre kriminalistischen Aspekte vor den Äußerungen großer Gefühle in den Hintergrund rücken lässt – und damit beileibe nichts, was sich per se einem solchen Setting, wie Nostros Film es uns präsentiert, anschmiegen würde. Anders gesagt: LA CIECA DI SORRENTO wirkt wie ein Western, aus dem all das herausgesaugt worden ist, was einen Western normalerweise genretechnisch konstituiert. Die Verpackung ist vorhanden – die Kulissen, die Musik, die simplen Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die Landschaft, die Rösser, die Schusswechsel, selbst der Shootdown-Showdown –, doch umschließt diese eben eine sich mühsam entwickelnde, sedative Geschichte, die der äußeren Form zu keinem Zeitpunkt gerecht wird. Malasommas Fassung dauerte etwas wenig mehr als siebzig Minuten, und musste sich von mir in meiner Kurzkritik den Vorwurf gefallen lassen, viel zu viel in ihrer kurzen Laufzeit unterzubringen. Bei Nick Nostro nun gilt das exakte Gegenteil: Da er die gesamte Vorgeschichte von der Ermordung von Isabellas Mutter einzig in Dialogrückblenden aufscheinen lässt, ist sein Film viel zu lang für den zumal um einige wichtige und unwichtige Nebenfiguren bereinigten Plot, der sich zieht wie ein Kaugummi, das man von den Monte Lattari Sorrentos bis zur Spitze des Vesuv spannt. Da der Streifen handwerklich unfassbar konventionell umgesetzt wurde, - (und zwar von Bruno Mattei zu einer Zeit, als er noch sehr weit entfernt von den Montageexperimenten seiner eigenen Regiearbeiten entfernt gewesen zu sein scheint) –, sind meine konkreten Erinnerungen an ihn bereits in der Sekunde verblasst, als seine Bilder endlich an mir vorbeidefiliert waren.
In einer Passage erhält unser Held George von einem väterlichen Freund den gutgemeinten Rat, er solle aufhören, sich mit Don Amadeo anzulegen; dies könne für ihn nur böse ausgehen bei einem so mächtigen Feind; er sei doch nicht Zorro! Genau das Gleiche kann man auch von diesem inspirationslosen Film behaupten, der einen riesigen Krater aufreißt zwischen seinem Anspruch – (nämlich klassische Literatur ins Western-Milieu zu transferieren) – und dem kläglichen Endresultat, von dem ich nur abraten kann. Dann lieber noch einmal Umberto Lenzis ZORRO CONTRO MACISTE…