Der Bucklige von Rom - Carlo Lizzani (1960)
Moderator: jogiwan
- Salvatore Baccaro
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Der Bucklige von Rom - Carlo Lizzani (1960)
Originaltitel: Il Gobbo
Produktionsland: Italien/Frankreich 1960
Regie: Carlo Lizzani
Darsteller: Gérard Blain, Anna Maria Ferrero, Bernard Blier, Ivo Garrani, Pier Paolo Pasolini, Teresa Pellati, Nino Castelnuovo
Carlo Lizzani ist ein Regisseur, mit dem ich mich bislang wenig - um nicht zu sagen: gar nicht - auseinandergesetzt hatte. Als mir aber vor einigen Wochen sein Western REQUIESCANT aus dem Jahre 1967 vor die Flinte lief – (den ich mir allerdings auch nur anschaute, weil ich gelesen hatte, dass Pier Paolo Pasolini darin einen Revoluzzer-Priester spielen soll) –, konnte ich nach dem Abspann für eine Weile meine Kauleisten nicht mehr zueinander bringen: Was für ein genretranszendiertes Meisterwerk, das sein Western-Ambiente im Grunde als bloße Verpackung für eine teilweise gar ins Surreale überhängende Parsifal-Geschichte zu erzählen, in der Lou Castel als weltfremder Naivling, (der ein bisschen auch an Dostojewskijs „Idioten“ erinnert: Narr und Christusfigur in einem), bei seiner Reise durch den Wilden Westen eine völlig verkommene Gesellschaft mit völlig unbedarften Augen betrachtet – und, ja, Pasolini ist tatsächlich in einer entscheidenden Nebenrolle als Gottesmann zu sehen, der seine Soutane abgelegt hat, um sich der mexikanischen Freiheitsbewegung anzuschließen.
Schauspielerisch agiert Pasolini auch in IL GOBBO, den Lizzani sieben Jahre zuvor gedreht hat. Dort verkörpert er einen Mann aus den niedrigsten sozialen Schichten, der sein Leben lang geprügelt und getreten wird – beispielweise, als ihm der römische Polizeichef, weil er glaubt, er würde ihm irgendwelche brisante Informationen vorenthalten, die Hände zertrümmern lässt. Nach Kriegsende – (der Film spielt in den letzten Tagen des faschistischen Italiens bzw. in den ersten Tagen des alliiert besetzten Italiens ) – wittert dieser Monco nunmehr seine Chance: Da sämtliche Bürger enteignet werden, die mit den Deutschen kollaboriert haben, wird auch Ninetta, die Tochter des inzwischen bei einem Anschlag umgekommenen Polizeipräfekten, aus ihrer Villa vertrieben, - wo nunmehr Monco mit seiner Familie einzieht und das Herrenhaus in kürzester Zeit in eine Müllhalde verwandelt. Überhaupt weckt Pasolinis Charakter nicht mehr Sympathien als ein misshandelter Hund, der unbeteiligte Passanten zu Tode beißt: Als Ninetta ihn bittet, wenigstens ihre wichtigsten Habseligkeiten mitnehmen zu dürfen, wirft er sie hochkant aus ihrem ehemaligen Heim; später aber lässt er sich breitschlagen, sie doch wieder dort wohnen zu lassen – jedoch nur gegen Bezahlung, und weil die mittellose Ninetta sich inzwischen als Prostituierte verdingt, muss sie für ihn im nächstbesten Gebüsch die Beine breitmachen.
Die von Pasolini dargestellte Nebenfigur fasst die Grundstimmung von IL GOBBO sinnfällig zusammen: In Lizzanis Film gibt es keine Helden, keine Sympathieträger, nur Menschen, die sich weniger Dinge aufs Gewissen geladen habe als andere. Im Mittelpunkt steht der titelgebende Bucklige, gespielt von Gérard Blain – noch ein zeitlebens aufgrund seines verwachsenen Körperbaus verspotteter und gequälter Außenseiter, der sich nur deshalb der Resistance anschließt, um im Kampf gegen die Mussolini-Schwarzhemden seinem Hass gegen die Gesellschaft zügellos freien Lauf lassen zu können. Sein Intimfeind ist der erwähnte Polizeipräfekt Moretti, den er allein deshalb gerne an der Nase herumführt, weil dieser mit den Deutschen paktiert: Dass er das, wie Moretti seiner Tochter Ninetta einmal erklärt, nur tut, um sich Scherereien zu ersparen und ihr eine leidfreie Zukunft zu sichern, spielt da keine Rolle. Und auch nicht, dass Ninetta an den Umtrieben ihres Vaters natürlich nicht die geringste Schuld trägt. Trotzdem nämlich überfallen der namenlose Bucklige und zwei Spießgesellen sie zu Beginn des Films in ihrem Haus, um sie zu vergewaltigen. Das ist indes nur der Anfang einer sich über Jahre hinziehenden Hassliebe zwischen dem Buckligen und Ninetta, die sich abwechselnd verabscheuen, sich abwechselnd die Leben retten, ihre gemeinsame Flucht planen, sich gegenseitig bei den Machthabern wechselnder Couleur verpfeifen…
Was IL GUBBO in der Folge erzählt, ist die pessimistisch-traurigste-schwarzgetünchteste Anti-Liebesgeschichte, die ich mir vorstellen kann: Selbst wenn ich meine Augen aufreißen wie ein Koboldmaki, fällt es mir schwer, irgendwo in Lizzanis Film einen tröstlichen Hoffnungsschimmer zu entdecken. Episodenhaft folgt der Film seinen beiden Hauptfiguren: Ninetta versteckt den angeschossenen Buckligen bei sich auf dem Dachboden vor dem eigenen Vater; der Bucklige schwängert Ninetta, worauf sie die Hilfe einer Engelmacherin ersucht; Moretti wird vom Buckligen aus einem Hinterhalt über den Haufen geschossen; Ninetta sinkt in die Prostitution; der Bucklige wird im Nachkriegsitalien als Freiheitskämpfer verehrt, verspielt sich seinen Status dann aber dadurch, dass er in einer wahnwitzigen Anwandlung von Altruismu die Prostitution in seinem Stadtviertel zu unterbinden versucht. Ein Kaleidoskop zumeist scharfkantiger Splitter fächert vor uns auf, das bezeichnende Schlaglichter auf das Italien im Jahre Null wirft. Quasi beiläufig neben portraitiert Lizzani sein Heimatland in einer Umbruchsphase – und all die Opfer und Gewinner, die aus dem Transitionsprozess hervorgingen, oder ihn gar nicht erst überleben haben.
Weshalb IL GOBBO nicht längst als Spätwerk des Neorealismus gehuldigt wird, verstehe ich beim besten Willen nicht: So wie die Kamera wie eine zufällige Beobachterin den Geschicken der Protagonisten folgt; wie sich hinter der (stellenweise reichlich bruchstückhaften) Geschichte ein ganzes Panorama politischer, gesellschaftlicher, historischer Themenkomplexe erhebt; wie die wundervolle Schwarzweißphotographie dem Film auch ästhetisch einen Anstich irgendwo zwischen dokumentarischem Naturalismus und Film Noir verleiht – all das prädestiniert IL GOBBO doch eigentlich dafür, als veritabler Erbe gleichermaßen von Klassikern wie Viscontis OSSESSIONE (wegen des Thrillerplots) und Rossellinis ROMA, CITTÀ APERTA (wegen des Zeitkolorits) anerkannt zu werden – zumal IL GUBBO auch noch auf die leiseste versöhnliche Note verzichtet, wie man sie beispielweise oft im Werk Vittorio De Sicas trifft, und seinem Publikum eine Pille bereitstellt, die gar keine exzessiven Gewaltszenen benötigt, um auf den Magen zu schlagen: Es reicht, aus der Sicherheit des Heimkinosessels zuzuschauen, wie die Leben zweier Menschen sich Stück für Stück eine Spirale hinab in ihre persönliche Hölle bewegen…
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Re: Der Bucklige von Rom - Carlo Lizzani (1960)
Danke, Salvatore, dass dieser Film endlich ins Forum gefunden hat
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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- Salvatore Baccaro
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Re: Der Bucklige von Rom - Carlo Lizzani (1960)
Weil Du den kennst und magst oder weil er ewig schon bei Dir herumliegt und Du darauf wartetest, ob der Heilige Salvatore ihm den Segen erteilt?buxtebrawler hat geschrieben: ↑So 17. Jan 2021, 16:57 Danke, Salvatore, dass dieser Film endlich ins Forum gefunden hat
- buxtebrawler
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Re: Der Bucklige von Rom - Carlo Lizzani (1960)
Weil's einer der bedeutenderen Filme Lizzanis sein dürfte, den ich mir bei Gelegenheit mal anschauen werde müssen.Salvatore Baccaro hat geschrieben: ↑So 17. Jan 2021, 23:16 Weil Du den kennst und magst oder weil er ewig schon bei Dir herumliegt und Du darauf wartetest, ob der Heilige Salvatore ihm den Segen erteilt?
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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