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Eclipse - Antônio Moreno (1984)

Verfasst: Do 21. Jan 2021, 22:10
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Eclipse

Produktionsland: Brasilien 1984

Regie: Antônio Moreno

Darsteller: Farben, Formen, das Filmmaterial selbst


Antônio Moreno gehört in den 70ern und 80ern zu den wichtigsten Experimentalfilmern Brasiliens. Beginnend im Jahre 1972 stellt er mindestens fünfzehn Kurzfilme fertig, deren kühne Animationsexperimente Meilensteine auf dem Feld avantgardistischen lateinamerikanischen Kinos bedeuten. In ECLIPSE, der gemeinhin als Morenos Meisterwerk gehandelt wird, arbeitet der Regisseur 21 Jahre brasilianische Militärdiktatur auf, die 1984, als der Film entsteht, bereits in ihren letzten Zügen gilt und ein Jahr später endgültig demokratischeren Entwicklungen weichen muss. Dass Moreno in den zwölf Minuten Laufzeit die neuere Geschichte seines Heimatlandes nicht als nüchternen Bericht aufbereitet, sondern uns mit einem wahren Schneesturm aus Bildern, Klängen, Worten beschießt, macht ECLIPSE in seiner überbordenden Fülle für Betrachter, die nicht in der brasilianischen Kultur- und Politikgeschichte verwurzelt sind, zu einer ungemeinen Herausforderung, andererseits für jeden, der einen stimulierenden Reiz in zügellosen Farbräuschen findet, zu einem ästhetischen Genuss.

ECLIPSE sei eine diffizile Übermittelung von Botschaften, nachdem man sein Gedächtnis verloren hat. Ein Experiment mit Licht und Farben, Meer und Sonne, ein grobes lateinamerikanisches Gedicht. So beschreibt zumindest Moreno selbst seinen Film in Präliminarien, die zu Beginn von ECLIPSE dem Filmstreifen physisch eingraviert sind. Überhaupt ist der Regisseur ein beflissener Adept der Brakhage-Schule des Filmmaterialmanipulierens: Moreno hat alle erdenklichen und unerdenklichen Dinge mit seinem Analogfilm angestellt, ihn zerkratzt, ihn mit grell-poppigen Farben bemalt, ihn mit naiven Zeichnungen bekritzelt, ihn überbelichtet: In ECLIPSE wird, wie in vielen Werken Brakhages, das Filmmaterial selbst zum Akteur, zu einem tätowierten Körper, der nicht zu trennen ist von seinem Inhalt, den es wie ein offenes Herz auf der Zunge trägt.

Che Guevara, natürlich: Sein Gesicht erscheint als Silhouette inmitten des konfusen Filmflackerns, und er wird zitiert, mehrmals. Vor Glauber Rochas Grab legt ECLIPSE ebenfalls Blumen ab - Rocha, der drei Jahre zuvor an Tuberkulose gestorben ist und der im Off-Kommentar liebevoll als „der verrückte Regisseur von DEUS E O DIABO NA TERRA DO SOL“ bezeichnet wird. Die Schauspielerin Leila Diniz findet Erwähnung, die keine Dreißig wurde, verstorben im selben Jahr, in dem Moreno mit dem Filmemachen begonnen hat. Auf seine Art ist ECLIPSE auch so etwas wie eine Totenmesse: Nicht nur die verhasste Militärdiktatur wird eingesargt, zugleich hält Moreno ein Requiem für seine eigenen künstlerischen Idole.

Dazwischen autobiographische Notizen: All die trübsinnigen lateinamerikanischen Gedichte machten ihn müde, erklärt Moreno aus dem Off, da sie einzig und allein von schwachen, impotenten Menschen handeln würden. Diesen kolonialistischen Ansatz lehne er ab, der unter der Bevölkerung Brasiliens und überhaupt denen des gesamten lateinamerikanischen Kontinents die Vorstellung verbreite, niemals würden sie irgendeine Form von selbstständigem Staat erlangen. Die US-amerikanische Jugend, sagt er an anderer Stelle, könne sich auf große Helden der Geschichte beziehen, so wie John Paul Jones, den Gründer der US-Navy, und weil der Kolonialismus diese Ideen der brasilianischen Jugend übergestülpt habe, sei diese um ihre eigenen Helden betrogen worden. Brasilien habe niemals dem barocken Faschismus Argentiniens kennengelernt, und auch nicht eine blutige Revolution erlebt wie Mexiko, nicht mal eine politische Revolte wie Kuba. Dafür aber verfüge Brasilien als Kompensation wenigstens über ein sich entwickelndes Kino. Wenn er heute in der Lage sei, Farben zu erfinden, erzählt er, dann, weil ein Freund ihm einst das Sehen beigebracht habe. Gerade während einer Sonnenfinsternis könne man Farben erkennen, die man erfinden müsse. Und genau das habe Moreno zur Vorbereitung des Films getan: In die sich verfinsternde Sonne geblickt.

ECLIPSE ist anti-kolonialistisch, anti-imperialistisch, anti-kapitalistisch, (aber verspielter, weniger verbissen, nicht ansatzweise so didaktisch wie es beispielweise die beiden Verfasser des Manifests für ein „Drittes Kino“, Solanas und Getino, in ihrem Opus Magnum LA HORA DE LOS HORNOS sechzehn Jahre früher praktizierten). ECLIPSE beschwört durchaus Helden, jedoch zumeist welche, die Filme gedreht, Gedichte geschrieben, sich die Seele aus dem Leib geschauspielt haben, und nicht welche, mit deren Segen Kriegsschiffe in See stachen. Vor allem aber erfindet ECLIPSE Farben – und zwar am laufenden Band. Selbst wenn man Morenos agitatorischen Kontext völlig außeracht lässt, ist sein Film voller Wunder für begierig aufsaugende Netzhäute. Genau solch ein Werk muss dem französischen Philosoph Lyotard vorgeschwebt haben, als er Anfang der 70er sein normatives Programm eines „Anti-Kinos“ formuliert hat: Ein Kino wie Feuerwerkerei, unter deren Koronen, Regenbögen, Großbränden solche Dinge wie Erzählökonomie, Ökonomie der Produktionsmittel, Ökonomie der technisch-ästhetischen Innovationen (und der ganze Rattenschwanz, der mit ihnen zusammenhängt), einfach weggeblasen werden, als hätte es solche Tendenzen nie gegeben im Kino (oder sonst wo)…

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