Assassino senza volto - Angelo Dorigo (1967)
Verfasst: Di 2. Feb 2021, 11:28
Originaltitel: Assassino senza volto
Produktionsland: Italien 1967
Regie: Angelo Dorigo
Darsteller: Giuliano Raffaelli, Lawrence Thierney, Luigi Batzella, Anita Tedesco, Genevieve Soné, Gabriella Mantovani, Rita Klein, Mara Berni
Der Name Angelo Dorigo hat mir bis zur Lektüre von Christian Keßlers Giallo-Buch überhaupt nichts gesagt: Mag man den einschlägigen Sekundärquellen Glauben schenken, hat der Mann lediglich in sieben Filmen Regie geführt, von denen einzig seinem 1958er Debut, der romantischen Komödie AMORE E GUAI, (nicht zuletzt aufgrund der schauspielerischen Leistung Marcello Mastroiannis), von der zeitgenössischen Kritik und zeitgenössischem Publikum bescheinigt wird, ein sehenswertes Werk zu sein. Da ich allerdings weder diesen Streifen kenne noch einen der vier übrigen, die Dorigo in den frühen und mittleren 60ern verantwortet hat, kann ich mich seinen beiden Gialli – A… COME ASSASSINO von 1966; ASSASSINO SENZA VOLTO von 1968 – völlig unvoreingenommen zuwenden – und auf angenehme Überraschungen hoffen…
ASSASSINO SENZA VOLTO eröffnet mit einer recht stimmungsvollen Prologsequenz. Schauplatz ist, wie wir später erfahren werden, ein Schlösschen im englischen Hinterland namens Nottingham Castle, in dem der blaublütige Walter MacDonald zusammen mit seiner Gattin Barbara residiert. Diese allerdings zeigt in letzter Zeit besorgniserregende Anzeichen eines zerrütteten Verstands: Immer öfter geistert die junge Frau durch die weitläufigen Gänge und Gemächer des Gemäuers, manchmal in Begleitung einer geladenen Schusswaffe, was bei Walter und ihrer Cousine Mary verständlicherweise zu Stirnfalten der Besorgnis führt. In der Nacht, in die uns der Film in seinen ersten Minuten unvermittelt hineinwirft, zucken nicht nur die Blitze am Himmel und grimmiger Donner rollt, sondern Barbara ist erneut mit geladener Pistole im Somnambulen-Modus unterwegs. Als Mary sie beim Schlafwandeln erwischt und ihr die Waffe entreißen möchte, scheint sich die Schlossherrin zwar zurückzuziehen, - doch dann wird Mary von einer bavaesquen POV-Kamera attackiert, die sie eine Wendeltreppe hinauf aufs Dach des Gebäudes verfolgt, wo sie entweder vor lauter Schreck von den Burgzinnen stürzt oder aber vom gesichtslosen Angreifer eigenhändig in die Tiefe befördert wird. Notiz am Rande: Dies könnte eine durchaus unterhaltsame und spannende Angelegenheit werden…
Nach dem Vorspann, (bei dem mir bereits der deplatzierte Jazz missfällt, dessen beschwingt-fröhliche Klänge später noch häufiger zu hören sein werden, wenn der Score von Coriolano Gori sich nicht an süßlichen Sommerfrische-Melodien versucht oder ein pompöses Feuerwerk abfackelt, als müsste er gerade den Weltuntergang musikalisch illustrieren), hat uns die Handlung plötzlich nach Italien katapultiert. Das erfahren wir von Barbara höchstselbst, die in der Ich-Perspektive aus dem Off ein Loblied auf das Stiefelland anstimmt: So viele schöne Farben und freundliche Menschen und so viel Harmonie und Sonne, ganz anders als im tristen, verregneten England! Während Dorigo es für eine gute Idee hält, in minutenlangen Szenen eines Volksfestes zu schwelgen, bei denen junge Männer halsbrecherisch um die Wette reiten und von einer euphorischen Menge dafür bejubelt werden – (Szenen, die ich mir auch prächtig in einem zeitgenössischen Mondo vorstellen könnte) –, und ich noch über den Zeitsprung rätsle, der die halbwahnsinnige Barbara aus Nottingham Castle ins südliche Europa versetzt hat, wechseln wir auch bereits erneut den Schauplatz und lernen unseren Helden John Brenton kennen, seines Zeichens aufstrebender Architekt, der von Barbara eingeladen worden ist, um ihr verfallenes Anwesen in Schuss zu bringen, sprich, einer flächendeckenden Modernisierung zu unterziehen.
Bereits kurz nach seiner Auskunft wundert sich Brenton darüber, weshalb die MacDonalds diesen Auftrag denn ausgerechnet ihm erteilt hätten: In London gebe es doch so viele fähige Architekten! Nun, Vetternwirtschaft ist im Spiel gewesen: Bei Brentons alter Bekanntschaft Frances, zu der er nach dem gemeinsamen Studium den Kontakt verloren hat, handelt es sich ausgerechnet um Barbaras Busenfreundin, weshalb es nahelag, ihm aus ehemaliger Verbundenheit den prestigeträchtigen Job zuzuschanzen. Lange währt Brentons Freude über das unverhoffte Wiedersehen mit Frances allerdings nicht, stellt unser Held doch bald fest, dass im Uhrwerk des Schlosses und vor allem seiner Bewohner so manches Ticken neben der Spur läuft: Vor einiger Zeit sei beispielweise Cousine Mary spurlos verschwunden; auch die Phasen der Geistesabwesenheit, die Barbara immer öfter überkommen, bleiben ihm nicht verborgen; und dann sind da noch einige mehr oder minder schräge Gestalten, die sich in Nottingham Castle tummeln – die bigotte Gouvernante Judith zum Beispiel, oder Hausverwalter Clark, (verkörpert von niemand anderem als Luigi Batzella), der andauernd mit Walter irgendwelche dubiosen Geschäfte abzuwickeln scheint, und nicht zuletzt ein namenloser Taubstummer, der als geistig beeinträchtigtes Faktotum einfache Hausmeistertätigkeiten verrichtet und durch sein debiles Auftreten per se gänsehautinduzierend wirkt. Und dann tischt Barbara John auch noch folgende Gespenstergeschichte auf: Angeblich habe ein Vorfahre Judiths, ein gewisser Sir Cannigan, einst eine Lady MacDonald entführt, worauf der Unhold von der Kirche exkommuniziert und als Hexenmeister aufs Schafott gewandert sei; nunmehr spuke seine ruhelose Seele noch immer in den Mauern von Nottingham Castle, schauder!
Zunächst aber geht ein ganz anderes Gespenst in den dunklen Hallen herum: Nämlich das der Liebe, die Barbara und Brenton zueinander zu empfinden beginnen, und die einerseits dazu führt, dass Barbara sich immer mehr von ihrem unterkühlten Ehemann entfremdet, und andererseits in Brenton der Wunsch reift, seine Dienste nicht allein auf die Restauration des Familienschlosses zu beschränken, sondern außerdem Barbara aus ihrer zunehmenden Geistesumnachtung zu erlösen. Als dann die Magd Kate das gleiche Schicksal wie Mary ereilt und nach einer weiteren Gewitternacht jede Spur von ihr fehlt – (während wir natürlich wissen, dass der geheimnisvolle Killer ihr den Garaus gemacht hat) –, nimmt Brenton die Nachforschungen bezüglich der Leichen im Keller der MacDonalds in die eigene Faust…
Wie meine Inhaltsangabe schon andeutet, hat ASSASSINO SENZA VOLTO – (trotz seiner angenehm fiebrigen Exposition) – mehr mit gediegenem pseudo-britischem Schlossspuk à la deutscher Edgar-Wallace-Krimis zu tun als mit dem, was man normalerweise mit dem Etikett des klassischen Giallos versieht: Sonderlich kreativ sind die Morde nicht ausgefallen – nach dem Turmsturz zu Beginn werden die weiteren Opfer allesamt wenig eindrucksvoll mit einer langläufigen Pistole niedergestreckt –; überhaupt wissen unsere Helden über weite Strecken der (kompakten) Laufzeit nicht einmal, dass um sie herum Morde geschehen – weder die Leichen von Cousine Mary noch die der Kammerzofe Kate werden bis zum Finale überhaupt von Brenton ans Tageslicht gefördert. Stattdessen dominieren das Geschehen äußerst geschwätzige Dialogpassagen, in denen Barbara und Brenton über ein sogenanntes „Giocco della Torre“ philosophieren, ein zumindest mir völlig unbekanntes Gesellschaftsspiel, bei dem man sich drei Personen auf dem Dach eines hohen Turms vorstellen und dann entscheiden soll, wenn man eine hinunterschmeißen müsste, welche das sein würde – quasi eine morbide und irgendwie auch ziemlich beknackte Variation von: Welche Schallplatten, welche Bücher, welche Italo-Pornos würdest Du mit auf eine einsame Insel nehmen, wenn es nicht mehr als drei sein dürften? Ansonsten müht sich der von Signore Dorigo persönlich geskriptete Streifen alle paar Minuten einen Eimer rote Heringe auszukippen, ohne dass das dem gemächlich dahinplätschernden Tempo irgendwelche rasanteren Fahrwasser verschaffen würde – und ohne dass Montage oder Kamera irgendwelche Anstrengung erkennen lassen würden, der kaum in die Gänge kommen wollenden Geschichte einen ästhetischen Mehrwert aufzupfropfen. Wenigstens etwas Bewegung gerät in die Sache, wenn nach Kates Verschwinden eine neue Dienstmagd namens Betty auftaucht, die nicht nur in bester Flirtlaune ist, sondern auch über ein niemals stillstehendes Plappermaul verfügt, (das ihr schließlich zum Verhängnis werden wird). Wenn sie mit dem taubstummen Hausmeister eine naiv-unschuldige Freundschaft anknüpft, kann man davon durchaus gerührt sein, - nicht zuletzt auch deshalb, wenn man weiß, dass der Darsteller des Taubstummen Lawrence Tierney heißt. Der nämlich ist in den 40ern aufstrebender Hollywood-Star gewesen, hat dann aber von seiner Trunksucht und damit verbundenen Gewaltexzessen einen Karriereknick verpasst bekommen, der ihn schließlich, als er in den USA keinen Fuß mehr in die Tür setzen konnte, nach Europa führte, wo er sich in drittklassigen Produktionen wie vorliegender verdingen musste. Wenn er als Abziehbild eines wandelnden Behindertenklischees lallend und Augen rollend stumpf umhertapst, dann erinnert das an die ähnlich tragische Art und Weise, mit der auch Lon Chaney jr. oder Boris Karloff am Ende ihres Lebens in wüstesten Trash-Kanonen verpulvert wurden.
Auch sonst fällt ASSASSINO SENZA VOLTO mit einigen mindestens eigentümlichen Ideen auf: Was soll das beispielweise, die Krimihandlung durch eine Italienreise Barbaras rahmen zu lassen, in der diese, geheilt und glücklich, einem Volksfest beiwohnt? (Und diese Rahmenhandlung dann noch nicht mal als solche kenntlich zu machen: Erst in den letzten Minuten begreift man, dass die vorherigen Italienaufnahmen NACH dem Mittelteil des Films angesiedelt sein sollen, und uns Barbara quasi retrospektiv ihr Schicksal kundtut.) Neben den mehrfachen Referenzen an das „Turmspiel“ irritierten mich außerdem lange Dialoge, in denen sich die Protagonisten über mittelalterliche Rittertugenden lustig machen: Wo hierbei der Bezug zur Handlung liegen soll, erschloss sich mir ebenso wenig wie der Umstand, dass der Vorspann aufgebaut ist wie die Personenliste zu einem altmodischen Theaterstück: Per Lochblende wird das Gesicht des jeweiligen Darstellers eingeblendet, wozu nicht nur sein Rollenname erscheint, sondern auch eine kurze Beschreibung, welche Funktion er innerhalb der Handlung einnehmen wird, beispielweise: „Barbara MacDonald, la proprietaria del castello“, oder „Clark, l'amministratore“, oder „John Brenton, l’architetto“. Falls das ironisch gemeint sein sollte, hat die Ironie bei mir keinen Fuß fassen können. Am seltsamsten jedoch finde ich die Entscheidung, eine der Figuren im letzten Drittel einen Alptraum durchleben zu lassen, in den die bisher verübten Morde aus subjektiver Sicht des Killers eingefügt sind – ein Akt, der die (sowieso wenig überraschende) Identität des Killers über eine Viertelstunde vor Filmende einfach mal en passant so gut wie preisgibt. Meine liebste Szene indes ist die folgende: Gerade eben hat Barbara einen weiteren Anfall erlitten, worauf sich Frances und Brenton um sie kümmern. Da betritt Walter die Szenerie und verkündet, soeben im Schloss drei Tote gefunden zu haben. Ach was, drei Tote!?, wundern sich Brenton und Frances, - nur um danach sofort zum Tagesgeschäft überzugehen und Walter vom Zustand seiner Ehefrau zu berichten. Auf den Gedanken, zu fragen, wer denn die Toten seien und wo sie liegen und wie sie überhaupt zu Tode gekommen sind, kommt unser Held zu keiner Sekunde.
Alles in allem ist ASSASSINO SENZA VOLTO so altbacken, dass man den erzählerischen Sand richtig zwischen den Kiefern knacken hören kann, zudem dramaturgisch unausgegoren, angefüllt mit rätselhaften Momenten, die der erwünschten Wirkung der Spannungserzeugung eher Beine stellen als ihr nach vorne helfen, und sowohl als Giallo wie auch als Gruselkrimi mindestens zweite, wenn nicht dritte Liga. Einen Lichtblick stellt aber immerhin Luigi Batzella dar, den ich nur anzuschauen brauche, und schon türmen sich vor meinem geistigen Auge all die schönen Stunde auf, die dieser Genius mir mit seinen eigenen Regiearbeiten wie LA BESTIA IN CALORE oder NUDA PER SATANA oder KAPUT LAGER verschafft hat. Als Hausverwalter würde ich Batzella sofort mit Kusshand anstellen, glaubt mir…