Rossa Venezia - Andreas Bethmann (2003)
Verfasst: So 18. Jul 2021, 19:48
Originaltitel: Rossa Venezia
Produktionsland: Deutschland 2003
Regie: Andreas Bethmann
Darsteller: Sabine Ironheart, Romana, Marianna Bertucci, Jens Hammer, Daniel Ortolan, Jesús Franco, Lina Romay, Michelle Bond
Fragt man Menschen, die sich mit solchen Dingen auskennen, was denn das Opus Magnum Andreas Bethmanns sei, quasi der Film seines umfangreichen Oeuvres, der das Menschenbild und die Ästhetik dieses Ausnahmeregisseurs am besten in der Nussschale zusammenfasse, bekommt man zumeist ROSSA VENEZIA als Antwort. Fragt man mich, welcher der mit Abstand unsäglichste, unbefriedigendste, unmöglichste Film gewesen ist, den ich in letzter Zeit gesehen habe, wird man ebenso die beiden Worte ROSSA und VENEZIA zu hören bekommen.
Zweieinhalb Stunden dauert das Machwerk in der mir vorliegenden Fassung und besteht größtenteils aus uninspirierten, weil wahllos in die, hust, „Handlung“ geworfenen Hardcore-Sequenzen, (mit großer Emphase auf Dildo-Spielchen), Frauenfolter-Einlagen, die ein ganz neues Maß an Chauvinismus und Misogynie aufs Tableau bringen, (nicht umsonst ist Bethmann Autor des Buchs „Die 100 besten Frauenfolter-Filme“), touristischer Ansichten, die Bethmann vom letzten Venedig-Urlaub mitgebracht hat, (Gondeln; Paläste; Täubchen); dazwischen zerrt man den greisen Jess Franco nebst Lebensgefährtin Lina Romay in einem mich eher traurig stimmenden Cameo vor die Kamera – und an der Peripherie „erzählt“ ROSSA VENEZIA dann auch noch so etwas Ähnliches wie einen Neuaufguss einiger der Hauptthemen aus Bethmanns fünf Jahre zuvor entstandenem TODESENGEL:
Eine Frau erwischt ihren Ehemann in flagranti mit einer anderen im Bett; per Pistole und Mistgabel macht sie kurzen Prozess mit den Ehebrechern; zehn Jahre hinter schwedischen Gardinen bekommt die Gute für ihre Kurzschlusstat aufgebrummt; sie sitzt ihre Zeit in einem Frauengefängnis ab, wo lesbische Liebe und sadistische Perversionen an der Tagesordnung stehen, da der Knast von einer grausamen Direktorin beherrscht wird; die Jahre vergehen und unsere Heldin steigert sich mehr und mehr in eine pathologische Sexualfeindlichkeit hinein: Kaum ist sie entlassen, beginnt sie, Venedig von der Sünde zu reinigen; im Klartext heißt das: Sie bezieht ihr leerstehendes Haus in der Via Maledetta 31 (sic!), und wartet dort entweder wie die Spinne im Netz, dass sich schmusende Pärchen in die Ruine verirren oder bestellt sich Call-Girls und Dienstmädchen, um diese sodann auf grausamste Weise vom Leben in den Tod zu befördern, (ich schwöre: so viel Genitalgewalt wie in diesem Film habe ich wahrscheinlich noch nie gesehen: das dürfte echt schon das Niveau irgendwelcher semi-professioneller BDSM-Filmchen sein!) Ein Kommissar sowie Pathologe Dr. Bertucci (!) beschließen, der Mordserie ein Ende zu bereiten, die seit Neustem über die Lagunenstadt hinwegfegt; außerdem sind da noch die Schwestern der Ehebrecherin, denen unser Racheengel im Rausch eines "mentalen Orgasmus" die Lebenslichter ausblasen möchte, und zwei Huren, die unsere Heldin aus gemeinsamen Gefängniszeiten kennen, und inzwischen die „Agentur Aphrodite“ betreiben, deren Mädchen reihenweise tot und verstümmelt aufgefunden werden. Wie sedierte Schlangen wuseln all diese fragmentarischen Handlungsstränge übereinander hinweg, verknoten sich manchmal, laufen die meiste Zeit aber unverbunden nebeneinander her. Sowieso zählt doch nur eins: Zu jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit Vaginen in Großaufnahme zu kredenzen, - und diesen Vaginen flugs auch noch mit Stichwerkzeugen, heißen Eisen oder Elektro-Dildos zu Leibe zu rücken.
Positives über ROSSA VENEZIA zu sagen, fällt mir schwer: Dramaturgisch ist diese krude Mixtur aus WIP-Sleaze, Giallo-Slasher, (wenn unsere Heldin bei manchen ihrer Mordtaten die Schwarzhandschuhe überstreift), und primitivstem Gewaltporno so unausgegoren wie unlogisch und unästhetisch. Keine Kameraeinstellung, keine Montage-Entscheidung, kein noch so klitzekleiner Moment mag mir einfallen, der ROSSA VENEZIA auch nur ein Stückchen über fades Mittelmaß hinausheben würde. Die Porno-Synchro, die immergleiche Porno-Mucke, die gestelzten Dialoge tun ihr Übriges, mir auch jenseits der frauen- und menschenfeindlichen Exzesse den Appetit zu verderben. Dass der komplette Film retrospektiv aus dem Off von der Frauenschlächterin erzählt wird, und dass deren Tagebucheinträge vor schwülstiger Wortakrobatik, stilistischen Entgleisungen und pseudo-philosophischer, pseudo-poetischer Sentenzen nur so strotzen, ist der letzte Sargnagel, den es noch bedarf, um ROSSA VENEZIA am tiefsten Punkt des Golfs von Venedig versinken zu lassen. (Ich mag kaum glauben, dass im Vorspann ein gewisser Jörg Kopetz als Autor dieser wie De-Sade-Repliken eines Sechzehnjährigen anmutenden Texte aufgeführt wird – hätte ich derartiges verbrochen, würde ich Gott und die Welt in Bewegung setzen, nicht namentlich damit in Verbindung gebracht zu werden!) Darstellerisch greift Bethmann anscheinend vorwiegend auf Personen aus dem horizontalen Gewerbe zurück, (die teilweise in den Stabsangaben nur als „Romana“ oder „Jorge“ geführt werden); ebenfalls mit von der Partie sind alte Bekannte wie Daniel Perée, der bereits im TODESENGEL sein schauspielerisches (Nicht-)Können unter Beweis stellen durfte; keine Freude bereitet es, mitansehen zu müssen, wie Jess Franco und Lina Romay ein um ihre ermordete Tochter trauerndes Ehepaar spielen, sie eher im Overacting-Modus, er eher, als wisse er gar nicht, vor wessen Kamera er gerade agiere – die letzten Einträge in Francos Filmographie zählen sicher nicht zu seinen Glanzwerken, aber verdient hat es dieser Don Quijote des europäischen Exploitation-Kinos sicher nicht, auf seine alten Tage in einen derartigen Müllhaufen hineingezogen zu werden.
Himmelschreiende Szenen hagelt es en masse: Franco und Romay werden zur Identifikation einer Frauenleiche, bei der es sich um ihre Tochter handeln könnte, zu Pathologe Dr. Betucci gebeten, wobei der Körper ein Geisterbahngerippe ist, an dem nur noch spärliche Fetzen Haut hängen; sinnbefreite Nebenschauplätze entführen uns in die Rechtsmedizin, wo eine Putzfrau aus Neugierde eine weitere Leiche mustert und von der sie ertappenden Ärztin zum Oralverkehr genötigt wird, wenn diese sie nicht verpfeifen soll: „So eine dreckige Fotze!“, würgt die Reinigungskraft nach vollendetem Cunnilingus und erbricht sich in ihren Wäscheeimer, während die Doktorin schmunzelt: „Na, schmeckt Dir meine Fotze etwa nicht!?“; in einer sinnbefreiten Rückblenden wohnen wir bei, wie die Gefängnisdirektorin eine rothaarige Frau (genannt: die Scharlachhure Babylon!) von ihrem lüsternen Lakaien malträtieren lässt, und als ihre zertrümmerte und amputierte Hand zu Boden neben einen Rottweiler fällt, guckt dieser nur gelangweilt die Gummiprothese an…
Ach, mir fällt doch eine Sache ein, die mir an ROSSA VENEZIA gefallen hat: In einer Szene kann man an der Wand eine Kopie des berühmten Dürer-Stichs „Ritter, Tod und Teufel“ erkennen, auf dessen untere Hälfte die Kamera in einem schludrigen Schwenk zufährt. Und damit hat es sich dann auch mit lobenden Worten über einen Film, der letztendlich all das verkörpert, wovor mich meine Eltern, als das bei mir losging mit der Leidenschaft fürs transgressive Kino, immer gewarnt haben…