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Originaltitel: Candyman
Herstellungsland: USA / 2021
Regie: Nia DaCosta
Darsteller(innen): Yahya Abdul-Mateen II, Teyonah Parris, Nathan Stewart-Jarrett, Colman Domingo, Kyle Kaminsky, Vanessa Williams, Rebecca Spence, Carl Clemons-Hopkins, Brian King, Miriam Moss, Cassie Kramer, Mark Montgomery u. A.
Etwa drei Jahrzehnte nach dem Tod von Helen Lyle wird der Rassismuserfahrungen verarbeitende Künstler Anthony McCoy, der gerade bemüht ist, erfolgreich aus einer Schaffenspause herauszukommen, vom Bruder seiner ihn unterstützenden Lebensgefährtin Brianna Cartwright auf die Legende vom Candyman aufmerksam gemacht. Diese inspiriert ihn dazu, die Gentrifizierung im Chicagoer Viertel Cabrini Green künstlerisch zu verarbeiten... Kaum in seinem Kunstprojekt "Say My Name" aufgegriffen, in welchem die Rezipient(inn)en aufgefordert werden, den Namen Candyman fünfmalig vor einem Spiegel auszusprechen, beginnt diese Mythenfigur auch schon, in McCoys Umfeld zu erscheinen und (Weiße) zu morden. Der Künstler selbst wird auch alsbald von Erscheinungen des Candyman heimgesucht, der als sein Spiegelbild in Erscheinung tritt, derweil ein Geschäftspartner und eine Kritikerin kurz nach einem Treffen mit ihm ihr Leben verlieren... das beunruhigt Cartwright zunehmend, zumal McCoy sich immer wunderlicher verhält – und seit einem Bienenstich eine sonderbare Wandlung durchmacht. Und schließlich muss McCoy erfahren, dass sein Schicksal ganz besonders eng an den Candyman-Mythos gebunden ist – der zudem viel weiter zurückreicht als bloß bis zum einhändigen Schwarzen, der einige Jahre vor McCoys Geburt von weißen Cops als vermeintlicher Kinderquäler erschlagen wurde...
„I am the writing on the wall, the sweet smell of blood. Be my victim.”
US-Filmemacher Jordan Peele, der mit seinen Rassismus-kritischen Horrorfilmen „Get Out“ und „Wir“ in den 2010er Jahren für Aufsehen sorgte, ließ sich offenbar vom Erfolg des „Halloween“-Films von Regisseur David Gordon Green inspirieren, der im Jahre 2018 einen neuen zweiten Teil darstellte, also sämtliche bisher erschienenen, an John Carpenters Subgenre-begründenden Stalk’n’Slash-Film anknüpfenden Fortsetzungen ignorierte. So verfasste Peele zusammen mit Win Rosenfeld und Nia DaCosta ein Drehbuch, das die Geschichte von „Candyman“, jenem US-Horrorfilm aus dem Jahre 1992, weiterspinnt, ohne zu berücksichtigen, was in den seitdem veröffentlichten zwei Fortsetzungen vor sich ging. Peele produzierte auch gleich zusammen mit Rosenfeld sowie Ian Cooper, überließ den Regiestuhl jedoch dem Nachwuchstalent Nia DaCosta („Little Woods“). „Candyman’s Fluch“, wie das Original in seiner deutschen Fassung hieß, basiert wiederum auf einer in England statt wie die Filme in Chicago angesiedelten Kurzgeschichte Clive Barkers, in der der Candyman, wie man ihn kennt, jedoch gar nicht vorkommt (und schon gar nicht erscheint, wenn man seinen Namen fünfmal in einen Spiegel spricht). Da es aus der Mode gekommen ist, Fortsetzungen mit einer entsprechenden Ziffer im Titel zu kennzeichnen, heißt nun also auch DaCostas Film, der im Sommer 2021 in die Kinos kam, schlicht „Candyman“.
„Candyman is a way to deal with the fact that these things happened to us, are still happening!”
Das Chicagoer Stadtviertel Cabrini-Green, einst ein Arbeiterbezirk voller Sozialwohnungen, ist mittlerweile weitestgehend durchsaniert und -gentrifiziert. Erst kürzlich haben der Künstler Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II, „Aquaman“) und seine Frau Brianna Cartwright (Teyonah Parris, „Chi-Raq“) dort eine schöne, moderne Wohnung bezogen, in der sich Anthony auch sein Studio eingerichtet hat. Leider mangelt es ihm an Inspiration, was sich jedoch ändert, als ihm Briannas Bruder Troy (Nathan Stewart-Jarrett, „Wenn du König wärst“) vom Flammentod der Reporterin Helen Lyle als eine Art urbane Legende berichtet. Anthony stellt eigene Nachforschungen an und wird bald mit Helen Lyles damaligem Forschungsgegenstand konfrontiert: dem Mythos des Candyman – einem großgewachsenen schwarzen Mann, der anstelle einer rechten Rand einen Haken hat und unbarmherzig alle tötet, die es wagen, ihn anzulocken, indem sie seinen Namen fünfmal in einen Spiegel sprechen. Anthony stellt im Rahmen einer Vernissage einen Spiegel auf und fordert die Besucher(innen) auf, eben dies zu tun. Nach einem brutalen Doppelmord in der Galerie scheint es tatsächlich, als sei der Candyman zurückgekehrt – und Anthony ist mit seiner Kunst zum Stadtgespräch avanciert. Seiner Popularität kommt das zugute, doch weiß er wirklich, was er da herausbeschworen hat…?
„Tell everyone.“
Die Produktionslogos zu Beginn des Vorspanns werden als visueller Gag spiegelverkehrt gezeigt, was ein erster Hinweis ist sowohl auf die optische Verspieltheit des Films, die sich in einigen Szenen in Details und Zooms zeigt, als auch auf das verstärkte Agieren mit dem Spiegelmotiv als elementarem Bestandteil des Candyman-Mythos: Der Spiegel als Fenster in eine dunkle Welt, durch die der Candyman in die vertraute Realität schreitet. Lange Zeit ist er lediglich in Spiegeln zu sehen, während er zeitgleich ganz real und brutal wütet. Zugleich fungiert der Spiegel als beunruhigendes Zerrbild der eigenen Seele, in dem für Anthony die Realität und die eigene Identität infrage gestellt werden. Im Kontrast zu einigen grafisch herben Gewalt- und Ekelszenen stehen die originell mittels Scherenschnittfiguren in Schattenspielen visualisierten Rückblenden (während andere Rückblenden schauspielerisch realisiert wurden). Seine Handvoll Jumpscares hat „Candyman“ wohldosiert, viele Gewalteruptionen finden jedoch nicht selten offscreen statt. Der eine oder andere dezente Verweis auf Genreklischees untermauert die Absicht, mit eben jenen zu brechen. Dass hier mehr männliche als weibliche Nacktheit zu sehen ist, ist nur ein Beispiel dafür.
Während viele Horrorfilme, insbesondere Slasher, in Kleinstädten angesiedelt, wird der urbane Ansatz des ‘92er Originals aufgegriffen und weiterentwickelt, indem das Phänomen der Gentrifizierung verhandelt wird. Am dominantesten jedoch ist das Thema Rassismus, das in unterschiedlichen Ausformungen als sich durch die US-Historie bis in die Gegenwart ziehender roter Faden dargestellt wird und den Candyman schließlich gar zu einer Art Black-Lives-Matter-Racheengel macht. Dass der Film diesmal auch über den Candyman hinaus auf schwarze Hauptdarsteller(innen) setzt, ist da nur folgerichtig – und dass eine der männlichen Figuren auf selbstverständliche Weise homosexuell ist und mit einem Mann zusammenlebt, ist Ausdruck einer gleichberechtigten Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Zusammengenommen ergibt all das einen sehenswerten Post-Slasher mit ausgeprägtem Bewusstsein für gesellschaftliche Missstände und politische Entwicklungen, eingebettet in einen um zahlreiche Aspekte erweiterten Mythos.
Unklar bleibt, weshalb manch grafischer Spezial- und Make-up-Effekt vor der Kamera ausgekostet wird, viele jedoch nicht. Am Rating dürfte es kaum gelegen haben. Sollte das Budget zu niedrig gewesen sein, wäre das schade. Das vor der Kamera versammelte Ensemble lässt dafür schauspielerisch nichts anbrennen, insbesondere Abdul-Mateen II überzeugt mit seinem Spagat aus gutaussehendem, durchtrainiertem jungem Mann und verunsichertem, von Selbstzweifeln geplagtem und sich zunehmend entfremdendem, auch äußerlich veränderndem Künstler. Zudem wartet die Besetzung in Vanessa Williams und Tony Todd mit einer Veteranin und einem Veteran aus der Erstverfilmung auf. Ist einem diese jedoch nicht mehr so geläufig oder hat man sie womöglich noch gar nicht gesehen, dürfte einem bei der Rekapitulation der Hintergründe in DaCostas Fortsetzung früher oder später der Faden verlorengehen.
Das furiose Finale überrascht mit mindestens einer Wendung sowie seiner Drastik, lässt sich als Cliffhanger für eine weitere Fortsetzung verwenden, beantwortet jedoch nicht unbedingt alle Fragen. Die größte, die mir blieb, ist die nach der inneren Logik der Mythos-Weiterentwicklung in Kombination mit den Wendungen gegen Ende, die ich mir noch nicht abschließend beantworten konnte. Greift da wirklich ein Puzzlestück sauber ins andere? Bis ich diesbezüglich schlauer bin, ist meine Bewertung unter Vorbehalt zu betrachten.
Re: Candyman - Nia DaCosta (2021)
Verfasst: Mo 8. Nov 2021, 17:13
von buxtebrawler
Erscheint voraussichtlich am 06.01.2022 bei Universal auf Ultra-HD-Blu-ray, Blu-ray und DVD:
Re: Candyman - Nia DaCosta (2021)
Verfasst: Sa 19. Feb 2022, 08:20
von jogiwan
Schön gemachter, sehr modern wirkender Horrorstreifen mit selbstbewussten und erfolgreichen schwarzen Figuren und sehr großen Themen wie Rassismus, Gewalt und Gentrifizierung, die hier von Regisseurin Nia DaCosta mit Hinweis auf den ähnlich lautenden Streifen aus dem Jahr 1992 angerissen werden. Hier geht es um einen aufstrebenden Künstler, der dem „Candyman“ auf die Spur kommt und was im Vorgänger meines Wissens nach als „urbaner Mythos“ deklariert wurde, geht hier dann aber in eine doch etwas andere und weit größere Richtung. Mit seiner in einem künstlerischen Umfeld angesiedelten Geschichte und seinen ernsthaften Figuren ist „Candyman“ mit einem Fuß auch im Arthouse-Drama und die wunderbaren Bilder moderner Kunst und Architektur stehen im ständigen Widerspruch zu den alten gesellschaftlichen Problemen der amerikanischen Gesellschaft, die hier immer wieder in den Fokus gerückt werden. Die Mischung fand ich ausnehmend spannend, genauso wie die originelle Geschichte und ich würde auch nicht meinen, dass sich die Macher an den Themen überhoben haben. „Candyman“ ist meines Erachtens äußerst gelungen, ansprechend und am Puls der Zeit. Tipp!
Re: Candyman - Nia DaCosta (2021)
Verfasst: Sa 12. Nov 2022, 16:50
von sergio petroni
Anthony McCoy ist Maler in einer Schaffenskrise. Zusammen mit seiner Freundin Brianna bezieht Anthony
eine schick renovierte Wohnung im Chicagoer Viertel Cabrini Green. Obwohl Brianna alles versucht,
um für Anthony eine Ausstellung zu organisieren, findet dieser in der etablierten Kunstszene keine
Anerkennung. Erst als Anthony per Zufall von dem Mythos Candyman erfährt, scheint er ein neues Ziel vor Augen
zu haben. Mit vollem Einsatz rekonstruiert er die wahren Begebenheiten und taucht tief in die
Vergangenheit Chicagos ein. Und diese ist geprägt von Rassismus, Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung
bis hin zu Lynchmorden. Anthony versucht das Candyman angetane Unrecht in einer neuen Bildserie
zu verarbeiten, was ihm recht erfolgreich gelingt. Plötzlich interessieren sich auch namhafte
Galerien für seine Bilder. Zeitgleich vollzieht Anthony allerdings auch eine charakterliche Wandlung,
und die Todesfälle in seinem Umfeld mehren sich.
Der inzwischen allseits bekannte Jordan Peele steckt maßgeblich hinter diesem neuen Candyman-Aufguß.
Die Regie wurde der bis dahin kaum bekannten Nia DaCosta übertragen. Wie bei Peele üblich, versucht sich
der große Horror-Fan an einer Melange aus Vollbluthorror und Aufarbeitung des an Schwarzen in Amerika
begangenem Unrecht; ohne dabei bei zweitem Punkt jemals oberlehrerhaft, anklagend oder gar unversöhnlich
zu wirken, ganz im Gegenteil. Allerdings kommt die Kunstszene Chicagos so gar nicht gut dabei weg.
Es wird direkt der Bogen zum Original von Bernard Rose geschlagen. Die Fortsetzungen
werden geflissentlich ignoriert, dafür wird ausführlich auf die inzwischen selbst zur Legende gewordene
Helen Lyle eingegangen; sogar ein Kommentar vor ihr bzw. Virginia Madsen wurde für diesen Film eingespielt.
Nachdem Anthony während seiner Recherchen von einer Biene gestochen wurde, und dieser Stich sich immer weiter entzündet,
findet bei ihm nicht nur eine geistige Verwandlung statt, sondern auch eine optische.
Und hier findet der Streifen mühelos in die Horror-Spur. Inszenierung, Effekte, Musik, Stimmung,
alles paßt und bietet einen mehr als gelungenen Genrestreifen, zusätzlich mit einer Botschaft versehen.
8/10