Bibi & Tina - Detlev Buck (2014)
Verfasst: Do 30. Sep 2021, 11:40
Originaltitel: Bibi & Tina
Produktionsland: Deutschland 2014
Regie: Detlev Buck
Darsteller: Lina Larissa Strahl, Lisa-Marie Koroll, Ruby O. Fee, Louis Held, Fabian Buch, Winnie Böwe, Michael Maertens, Charly Hübner
Huch, ich bin wirklich begeistert!
Die OSTWIND-Reihe, der ich mich kürzlich ausgiebig widmete, ist ja eher naturalistisch gehalten; selbst die beiden WENDY-Filme wirken im Vergleich völlig geerdet, ihrer überzogenen Postkartenkitsch-Ästhetik zum Trotz; BIBI & TINA wiederum ist nichts weniger als „Tarantino for the Kidz“, wie ihn unser Dän McBrewer beim parallel zur Sichtung verlaufenen Chatgespräch bezeichnet hat.
Erstes/Einziges Manko: Im Bibiversum bin ich komplett ortsfremd; ich kenne weder die Namen der einzelnen Pferde noch weiß ich, wie sich die Junghexe Bib Blocksberg und ihre Reiterfreundin Tina kennengelernt haben; einige Dinge wie die Tatsache, dass Bibi überhaupt über Hexenkünste verfügt, diese aber von ihrer Umwelt stumm toleriert werden, haben sich mir auch nach weit über neunzig Minuten Laufzeit nicht erschlossen – wobei meine diesbezügliche Unwissenheit im Endeffekt eigentlich nur dazu beigetragen hat, die surrealen Qualitäten dieses eigenartigen Films noch zu steigern. Ich schreibe bewusst „surreal“, obwohl ich in letzter Zeit dazu übergegangen bin, nicht mehr jeden etwas aus der Spur ausbüxenden Film mit diesem Terminus zu bedenken; bei BIBI & TINA passt das Wort jedoch wie das Eisen auf den Huf: Ich würde mein letztes Hemd dafür geben, diesen Streifen in Anwesenheit von Breton & Co. in einem Pariser Kino der 20er zu sichten!
Zugegebenermaßen prosaisch mutet die Handlung an: Bibi besucht ihre Freundin Tina auf dem Reiterhof, wo diese anscheinend lebt. Beide plagen sich mit den typischen Teenager-Problemen: Jungs und Pickel. Dann aber mutet das Drehbuch ihnen noch zwei weitaus gravierendere Störfaktoren zu: Ein Vorzeige-Kapitalist namens Hans Kakmann (sic!) hat in unmittelbarer Nähe zum Bio-Gestütt einen Reiterhof bezogen; dort werden die Pferde nicht nur mit unlauteren Mitteln gedopt, sondern auch der Plan ausgeheckt, dass das Gestüt von Tinas Mutter aufgekauft werden soll; vor allem im Blick hat Kakmann dabei das Fohlen Sokrates (genannt „Socke“), dessen Familienstammbaum erwarten lässt, dass aus ihm einmal ein optimales Rennpferd werden wird; bis zum anstehenden prestigeträchtigen Reitturnier möchte Kakmann das Jungtier gerne in seinem Besitz bringen und durch dessen Hilfe den Lorbeerkranz davontragen, was wiederum Bibi und Tina überhaupt nicht passt und dazu führt, dass Bibi als Endgegnerin gegen Kakmann in den Ring steigt. Die zweite Baustelle, die es in BIBI & TINA abzuarbeiten gilt, ist zwischenmenschlicher Natur: Seit langen Jahren führt Tina eine Beziehung mit Alexander; dieser entstammt dem Adelsgeschlecht derer von Falkenstein, das quasi direkt neben dem Bio-Hof von Tinas Mutter in einem Prunkschloss residiert; hereinschneit nun aber Alexanders Cousine Sophie, die sich nichts sehnlicher wünscht, als Alexander mit sich in ein englisches Vorzeigeinternat mitzunehmen; Eifersüchteleien sind nunmehr an der Tagesordnung und irgendwann zweifelt Tina gar, ob sie und Alexander überhaupt noch genügend Potenzial für eine Partnerschaft auf die Waage bringen…
Bewusst zurückhaltend habe ich den reinen Inhalt von BIBI & TINA geschildert, um nun unmso mehr enthusiastische Worte für Detlev Bucks Umsetzung dieser abgehangenen 0815-Pferdemädchengeschichte zu haben, denn: Meine Güte, was wird denn hier nicht für ein Feuerwerk an sonnendurchfluteter Kitschästhetik, an bizarren Ideen, an metareflexiven Stunts abgebrannt! Im Prinzip hatte ich während des gesamten Films das Gefühl, dass im Subtext ein typischer Jugendfilm für reitaffine Mädels dekonstruiert werden sollte: Viele Momente wirken derart überaffirmativ inszeniert, dass sie wie ihre eigene Parodie anmuten – und dadurch, dass sie diesen Eindruck erwecken, schon wieder derart durch die Decke gehen, dass sie mich in einer Rekurs-Bewegung emotional jenseits jeder ironischen Brechung vollkommen abholen. Der Vergleich mit dem kürzlich gesichteten thailändischen TEARS OF THE BLACK TIGER hinkt für mich kein bisschen: BIBI & TINA ist genauso bunt und schillernd, spielt genauso bewusst mit Versatzstücken aus der Filmgeschichte, dreht genauso freudig all die Topoi und Stereotypen durch den Fleischwolf, um daraus sein ganz eigenes Hack zu gewinnen.
Es blubbern Pferdedopingmittelchen im Mad-Scientist-Labor; Bibi verwandelt Tina und sich in Ballerinas, worauf die beiden Mädels sich gegen in ostasiatischen Kampfkünsten geschulte Zwillingsbrüder, die sich als Leibwächter Kakmanns verdingen, behaupten müssen; immer wieder stagniert die Handlung, um ausgedehnten Gesangseinlagen Platz zu machen, die als veritable Musikvideos in nuce daherkommen: Da besingt Erzfeind Kakmann im FDP-Modus all das Geld, das er bereits gescheffelt hat und noch scheffeln wird; da gestehen sich Sophie und Stallbursche Freddy ihre ständetranszendierende Liebe; da wird vor allem das Freundespaar Bibi und Tina mit ihren beiden Pferden Amadeus und Sabrina besungen, als gelte es, Nationalheldinnen zu ehren. Für mich tritt die schematische Handlung bei all diesen Schauwerten weit in den Hintergrund: Es ist eine wahre Lust, diesen für sich stehenden Augenblicken beim Sich-Entrollen zuzusehen – ein Kino heruntergebrochen auf die von ihm evozierten Emotionen, ein Kino der bloßen Impulse, ein Kino, das nicht den Intellekt, sondern den sensorischen Apparat anspricht.
Besonders mochte ich das „Überwachungspferd“ in Kakmanns High-Tech-Rennstall, das einen Roboter darstellt, der bei unbefugtem Zutritt zu fiepen anfängt; besonders mochte ich auch, wie völlig unmotiviert Menschen auf einmal mitten in Szenen zu singen und Instrumente zu spielen anfangen, als würden wir uns in einem 50er Schlagerfilm befinden; gut ist es auch, dass BIBI & TINA vergleichsweise offensiv mit der körperlichen Zuneigung seiner Protagonisten umgeht: Während beispielweise in der keuschen OSTWIND-Serie Küsse nur angedeutet werden, finden hier die Lippen von Tina und Alexander oft und gerne zueinander, was diesem Film einen unverkrampften Umgang mit Sexualität bescheinigt. Großartig sind nicht zuletzt viele Details wie beispielweise, dass Kakmann beim Telefonieren einen Telefonhörer an sein Smartphone anschließt oder die Szene, in der die Vorfahren des Fohlen Sokrates als Ahnengalerie über eine Aufnahme des ebenfalls telefonierenden Vaters von Alexander eingeblendet werden.
Kurzum: Ich hatte meinen Spaß und gucke zufrieden grunzend auf die Tatsache, dass es von diesem Streifen bislang noch drei Fortsetzungen gibt. Falls ich jemals Kinder haben sollte, wäre dies ein guter Startpunkt dafür, sie an das Wunder des Films heranzuführen.