Der Student von Prag - Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener (1913)
Moderator: jogiwan
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Der Student von Prag - Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener (1913)
Originaltitel: Der Student von Prag
Produktionsland: Deutschland 1913
Regie: Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener
Darsteller: Paul Wegener, John Gottowt, Lyda Salmonova, Grete Berger, Fritz Weidemann, Lotha Körner
…und gestern dann also zum wiederholten Mal DER STUDENT VON PRAG gesehen, jenen 1913er Stummfilm, der als einer der ersten „Autorenfilme“ der Kinogeschichte gilt, (weil das Originaldrehbuch vom Schriftsteller-Enfant-Terrible Hanns Heinz Ewers stammt), der als einer der ersten Horrorfilme der Kinogeschichte gilt, (weil er das bereits in der literarischen Romantik heiß und innig geliebte Doppelgänger-Motiv einsetzt, um seinem Helden, sprich, dem Publikum einen Schauer nach dem andern den Rücken hinabzujagen), und der zumindest inhaltlich gewissermaßen diejenige Art von Kino vorwegnimmt, mit der das Deutsche Reich ab Ende der 1910er, Anfang der 1920er international zu Ruhmeszügen ansetzen sollte, (wenn ihn seine Theater- und/oder Unter-Freiem-Himmel-Kulissen natürlich nichtsdestotrotz ästhetisch meilenweit von expressionistischen Studiobauten bzw. gemalten Hintergründen wie in DAS CABINET DES DR. CALIGARI oder DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM trennen.)
Über weite Strecke hat man noch das Gefühl, einer Theaterinszenierung beizuwohnen: Die Kamera befindet sich zumeist frontal vor den expressiv agierenden Schauspielern; für heutige Sehgewohnheiten werden die einzelnen Szenen stets ein paar Takte zu lang ausgespielt. Bedenkt man, dass sowohl Hauptdarsteller Paul Wegener, (der einen „wilden“ Studenten verkörpert, obwohl er bereits an die vierzig Lenze zählt) wie Autor Ewers und der Däne Stellan Rye nie zuvor einen Film gedreht haben, ist das Ergebnis durchaus erstaunlich: Geschickt wird mit der Raumtiefe operiert; man versucht, so viele Ereignisse wie möglich in eine einzelne Planszene zu stopfen; besonders hat es mir die Tatsache angetan, dass man einen herrschaftlichen Salon anscheinend aus Pappwänden irgendwo in der freien Landschaft errichtet hat, sodass er sich nach hinten hin zu einem Birkenwäldchen öffnet. Ein bisschen Prager Lokalkolorit, (unter anderem ein hübsches Stelldichein auf dem, wie ich vermute, nachgebauten Jüdischen Friedhof), gibt’s ebenso wie Spezialeffekte (vorwiegend primitive Split-Screen-Verfahren, wenn unser Held seinem eigenen Spiegelbild gegenübersteht), die noch immer tadellos überzeugen.
Storytechnisch rekapituliert Ewers, (der heute vor allem für seine splattrigen Kurzgeschichten bekannt ist und wegen dessen 1909er Debüt-Roman mir heute noch die Kinnlade offensteht angesichts der Fülle an sodomitischen, nekrophilen, sadomasochistischen Handlungen, die sich darin stapeln), gängige Topoi der literarischen Romantik: Ein bettelarmer Student verguckt sich in eine Comtesse; ein schrulliger Kauz namens Scapinelli, der wirkt, als sei er aus einer Geschichte E.T.A. Hoffmanns gepurzelt, überhäuft ihn mit Goldgulden, damit er seine Liebste ordentlich beeindrucken kann; Haken an der Sache: Im Gegenzug fordert Scapinelli das Spiegelbild Balduins – und so nimmt das Unheil seinen Lauf, denn der zombiehaft umherwandelnde Doppelgänger laviert unseren Helden alsbald von einer Katastrophe in die nächste, bestreitet für ihn tödlich ausgehende Duelle, erschrickt die begehrte Comtesse bis ins Mark, führt den bemitleidenswerten Tropf letztendlich in den Selbstmord. Schauerromantisch schön ist die Schlussszene: Balduin hockt auf seinem eigenen Grab und füttert mit verdrießlicher Miene einen zahmen Raben…
Wer genau DER STUDENT VON PRAG gedreht hat, darüber streiten sich die Geister; höchstwahrscheinlich hat jeder des kreativen Trios Ewers, Wegener und Rye seinen Beitrag für das künstlerische Gelingen dieses kleinen, feinen Streifens geliefert, - nicht zu vergessen Kamerapionier Guido Seeber und Ausstatter Rochus Gliese, der fortan mit Wegener eine fruchtbare Zusammenarbeit aufrechterhalten wird, die unter anderem 1920 im Film DER VERLORENE SCHATTEN mündet, wo die beiden eine ganz ähnliche Geschichte erzählen, mit dem Unterschied, dass der dortige Held, ein Stadmtusikus, nicht sein Spiegelbild verpfändet, um sich der Liebe einer höhergestellten Dame zu versichern, sondern einem umherreisenden Signore seinen Schatten verkauft.
DER STUDENT VON PRAG mag nicht schlaflose Nächte bereiten wie NOSFERATU, nicht die atemberaubenden Kulissen des GOLEMs aufbieten, nicht psychologisch bis zum Anschlag ausdeutbare Haken schlagen wie CALIGARI, - aber Pflichtprogramm für alle, die sich für Genre-Kino interessieren, ist er natürlich allemal.
Re: Der Student von Prag - Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener (1913)
Vielen Dank, Salvatore, für die Vorstellung!
Genau meine Kragenweite, der Film ist dann auch gleich auf meiner Wunschliste gelandet ...
Genau meine Kragenweite, der Film ist dann auch gleich auf meiner Wunschliste gelandet ...
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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Re: Der Student von Prag - Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener (1913)
Der Film ist wirklich klasse und wird Dir bestimmt gefallen. Als ich vor ein paar Jahren anfing, mich mit dem Thema Film zu beschäftigen und Texte von Kracauer gelesen habe, führte kein Weg an DER STUDENT VON PRAG vorbei. Spiegel- und Doppelgängermotiv kommen stets in den Lichtspielen zum Tragen und DER STUDENT VON PRAG ist der m. E. beste Anschauungsuntericht, um das Ganze richtig einzuordnen.
Re: Der Student von Prag - Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener (1913)
Rezi anlässlich der Veröffentlichung durch die edition filmmuseum:
Prag, um 1820: Balduin (Paul Wegener) ist der „beste Fechter und wildeste Student“ der Stadt. Sein exzessiver Lebensstil hat ihn allerdings in den Bankrott getrieben. So nimmt er das Angebot des geheimnisvollen Scapinelli (John Gottowt) an, diesem für hunderttausend Goldgulden sein Spiegelbild zu verkaufen. Mit dem Geld versucht er dann, die Komtesse Margit Schwarzenberg (Grete Berger) zu erobern. Die in ihn verliebte Lyduschka (Lyda Salmonova) lässt er dafür links liegen. Etwas, was sich bald rächen soll…
„Der Student von Prag“ gehört zu jenen Stummfilmen, die ich wohl am Häufigsten gesehen habe. Dies in unterschiedlichen Fassungen und an den unterschiedlichsten Orten. Zuletzt bei der TV-Ausstrahlung der restaurierten Fassung 2014 auf Arte. Eben jene findet sich auch auf der vorbildlichen Doppel-DVD, die vom Filmmuseum München herausgebracht wurde. Wenn man dem sehr informativen Booklet Glauben schenken kann, sorgte eben diese Fassung auch für viel Streit hinter den Kulissen. So ging Wilfried Kugel, der als Rechteinhaber des Hanns-Heinz-Ewers-Nachlasses offensichtlich maßgeblich an der Restaurierung beteiligt war, im Zorn, da er mit der musikalischen Orchestrierung durch Bernd Thewes, sowie mit der langsameren Laufgeschwindigkeit nicht einverstanden war. Das Ende vom Lied war dann, dass Wilfried Kugel die Aufführung der Arte-Restauration untersagte. Auf der Doppel-DVD finden sich aber nun zwei Versionen des Filmes. Die für Arte hergestellte Fassung mit einem Orchesterscore und einer verlangsamten Laufgeschwindigkeit, sowie die scheinbar von Kugel bevorzugte, etwa schneller Fassung mit einem Piano-Score. Die Musik selber wurde 1913 von Josef Weiss für den Film komponiert. Es handelt sich hierbei also um eine zeitgenössische Originalmusik. Neben diesen beiden Versionen, kann man sich noch die US-amerikanische, nur 41 Minuten dauernde Fassung ansehen, welche bis vor Kurzem noch die einzige auf DVD Verfügbare war.
Rätselhaft bleibt, wer letztendlich „Der Student von Prag“ inszeniert hat. Während die DVD den Autoren Hanns Heinz Ewers als alleinigen Regisseur aufführt, hatte ich den Film immer seinem Hauptdarsteller Wegener – der später den berühmten „Der Golem, wie er in die Welt kam“ drehen sollte zugeordnet. In manchen Quellen taucht auch der dänische Regisseur Stellan Rye auf. In der IMDb wird er neben Wegener als Co-Regisseur geführt. Wie dem auch sei, „Der Student von Prag“ war ein Meilenstein der Filmgeschichte. Trotz seiner sehr frühen Entstehungszeit.1913 war das Kino ja gerade mal 18 Jahre alt und technisch revolutionäre Filme wie „Die Geburt einer Nation“, der ja als Beginn des modernen Kinos gilt, waren auch noch zwei Jahre entfernt. Natürlich hat „Der Student von Prag“ noch viel Theaterhaftes, vor allem bei den Sets, die sehr eindeutig als Bühnen erkennbar sind. Doch es wurden auch schon viele Außenaufnahmen an Originalschauplätzen im alten Prag verwendet. Auch die Kameratricks sind noch heute höchst beeindruckend. Die Aufnahmen in denen Balduin mit seinem bösen Ich konfrontiert wird, müssen dem Publikum damals ähnlich den Atem haben stocken lassen, wie die revolutionären CGI-Effekten in „Terminator 2“ oder „Jurassic Park“ den Zuschauern Anfang der 90er Jahre.
Hauptdarsteller Paul Wegener war bei den Dreharbeiten bereits 39 Jahre, was man ihm auch ohne weiteres ansieht. Daher ist er nicht gerade die Idealbesetzung für den jungen Studenten, aber darüber lässt sich leicht hinweg sehen. Nimmt man als Maßstab, dass das Schauspiel der Akteure 1913 noch sehr theatralisch war, nimmt sich Wegener sogar recht zurück. Vor allem, wenn man ihn mit seinem Gegenspieler, den von dem Österreicher John Gottowt gespielten Scapinelli, vergleicht. Gottowt legt seinen Scapinelli allerdings recht übertrieben an und wirkt wie ein fleischgewordener Springteufel, was aber wiederum durchaus zu seiner Rolle passt. Hanns Heinz Ewers Drehbuch ist ganz der schwarzen Romantik verschrieben, in der Nachfolge eines E.T.A. Hoffmann, den der damals enorm erfolgreiche Autor fanatischer Romane (wie „Der Zauberlehrling“ und „Alraune“) auch als Vorbild bezeichnete. Damit kommt ihm auch die Ehre zuteil mit seiner Faust-ischen Geschichte einer der ersten deutschen Horrorfilme, ja Horrorfilme generell, zu sein. Zwar wirkt „Der Student von Prag“ aus heutiger Sicht hier und dort etwas holprig, aber zieht man den Umstand in Betracht, dass sich hier unerfahrene Filmemacher (egal, ob nun Ewers, Wegener oder Rye hauptsächlich Regie führten – alle drei hatten vor 1913 noch keinen Film gedreht) an einem noch sehr jungen Medium versuchten, dann ist das Ergebnis schlichtweg enorm.
„Der Student von Prag“ ist ein Meilenstein der Filmgeschichte und liegt nun erstmals in seiner vollständigsten und schönsten Form auf DVD vor. Hanns Heinz Ewers Geschichte des Studenten Balduin bedient sich frei bei Elementen aus der „Faust“-Geschichte, ebenso wie bei Edgar Allen Poe und E.T.A. Hoffmann. Das der Film teilweise noch etwas unfertig und unfokussiert wirkt (wie eine für die Handlung nicht wichtige, sehr in die Länge gezogene Fuchsjagd) liegt daran, dass hier noch mit dem jungen Film experimentiert wurde und die Filmemacher noch über keine keine große Erfahrung mit dem Medium hatten. Die Trickeffekte sind aber auch heute noch überzeugend.
Die Edition Filmmuseum hat mit der Veröffentlichung von „Der Student von Prag“ mal wieder eine tolle Arbeit hingelegt, die vollkommen Zurecht mit dem Willy-Haas-Preis für bedeutende internationale Publikationen zum deutschsprachigen Film bzw. zum Film in Deutschland prämiert wurde. Wie oben bereits beschrieben, liegt der Film auf zwei Scheiben in drei verschiedenen Versionen vor, die sich in Musik, Vorführgeschwindigkeit (und im Falle der US-Version auch in Länge) unterscheiden. Ferner wurde als Bonus noch der Kurzfilm „Die ideale Gattin“ (16 Minuten) beigelegt, bei dem wiederum Hanns Heinz Ewers zusammen mit einem gewissen Marc Henry Regie führt und ein junger Ernst Lubitsch eine kleine Nebenrolle spielt. Ansonsten spielen in dieser kurzen burlesken Komödie noch Grete Berger und Lyda Salmonova mit, die ja beide auch beim „Student von Prag“ dabei sind. Das informative Booklet enthält u.a Texte von Ewers über das Kino und eine Erklärung zu den unterschiedlichen Versionen. Im CD-Rom-Teil (ja, so etwas gibt es noch) findet man das Originalskript, das Programmheft, Werbematerial und noch einiges mehr.
Bilder und einige interessante Anmerkungen in den Kommentaren gibt es hier noch:http://www.filmforum-bremen.de/2016/12/ ... -von-prag/
Prag, um 1820: Balduin (Paul Wegener) ist der „beste Fechter und wildeste Student“ der Stadt. Sein exzessiver Lebensstil hat ihn allerdings in den Bankrott getrieben. So nimmt er das Angebot des geheimnisvollen Scapinelli (John Gottowt) an, diesem für hunderttausend Goldgulden sein Spiegelbild zu verkaufen. Mit dem Geld versucht er dann, die Komtesse Margit Schwarzenberg (Grete Berger) zu erobern. Die in ihn verliebte Lyduschka (Lyda Salmonova) lässt er dafür links liegen. Etwas, was sich bald rächen soll…
„Der Student von Prag“ gehört zu jenen Stummfilmen, die ich wohl am Häufigsten gesehen habe. Dies in unterschiedlichen Fassungen und an den unterschiedlichsten Orten. Zuletzt bei der TV-Ausstrahlung der restaurierten Fassung 2014 auf Arte. Eben jene findet sich auch auf der vorbildlichen Doppel-DVD, die vom Filmmuseum München herausgebracht wurde. Wenn man dem sehr informativen Booklet Glauben schenken kann, sorgte eben diese Fassung auch für viel Streit hinter den Kulissen. So ging Wilfried Kugel, der als Rechteinhaber des Hanns-Heinz-Ewers-Nachlasses offensichtlich maßgeblich an der Restaurierung beteiligt war, im Zorn, da er mit der musikalischen Orchestrierung durch Bernd Thewes, sowie mit der langsameren Laufgeschwindigkeit nicht einverstanden war. Das Ende vom Lied war dann, dass Wilfried Kugel die Aufführung der Arte-Restauration untersagte. Auf der Doppel-DVD finden sich aber nun zwei Versionen des Filmes. Die für Arte hergestellte Fassung mit einem Orchesterscore und einer verlangsamten Laufgeschwindigkeit, sowie die scheinbar von Kugel bevorzugte, etwa schneller Fassung mit einem Piano-Score. Die Musik selber wurde 1913 von Josef Weiss für den Film komponiert. Es handelt sich hierbei also um eine zeitgenössische Originalmusik. Neben diesen beiden Versionen, kann man sich noch die US-amerikanische, nur 41 Minuten dauernde Fassung ansehen, welche bis vor Kurzem noch die einzige auf DVD Verfügbare war.
Rätselhaft bleibt, wer letztendlich „Der Student von Prag“ inszeniert hat. Während die DVD den Autoren Hanns Heinz Ewers als alleinigen Regisseur aufführt, hatte ich den Film immer seinem Hauptdarsteller Wegener – der später den berühmten „Der Golem, wie er in die Welt kam“ drehen sollte zugeordnet. In manchen Quellen taucht auch der dänische Regisseur Stellan Rye auf. In der IMDb wird er neben Wegener als Co-Regisseur geführt. Wie dem auch sei, „Der Student von Prag“ war ein Meilenstein der Filmgeschichte. Trotz seiner sehr frühen Entstehungszeit.1913 war das Kino ja gerade mal 18 Jahre alt und technisch revolutionäre Filme wie „Die Geburt einer Nation“, der ja als Beginn des modernen Kinos gilt, waren auch noch zwei Jahre entfernt. Natürlich hat „Der Student von Prag“ noch viel Theaterhaftes, vor allem bei den Sets, die sehr eindeutig als Bühnen erkennbar sind. Doch es wurden auch schon viele Außenaufnahmen an Originalschauplätzen im alten Prag verwendet. Auch die Kameratricks sind noch heute höchst beeindruckend. Die Aufnahmen in denen Balduin mit seinem bösen Ich konfrontiert wird, müssen dem Publikum damals ähnlich den Atem haben stocken lassen, wie die revolutionären CGI-Effekten in „Terminator 2“ oder „Jurassic Park“ den Zuschauern Anfang der 90er Jahre.
Hauptdarsteller Paul Wegener war bei den Dreharbeiten bereits 39 Jahre, was man ihm auch ohne weiteres ansieht. Daher ist er nicht gerade die Idealbesetzung für den jungen Studenten, aber darüber lässt sich leicht hinweg sehen. Nimmt man als Maßstab, dass das Schauspiel der Akteure 1913 noch sehr theatralisch war, nimmt sich Wegener sogar recht zurück. Vor allem, wenn man ihn mit seinem Gegenspieler, den von dem Österreicher John Gottowt gespielten Scapinelli, vergleicht. Gottowt legt seinen Scapinelli allerdings recht übertrieben an und wirkt wie ein fleischgewordener Springteufel, was aber wiederum durchaus zu seiner Rolle passt. Hanns Heinz Ewers Drehbuch ist ganz der schwarzen Romantik verschrieben, in der Nachfolge eines E.T.A. Hoffmann, den der damals enorm erfolgreiche Autor fanatischer Romane (wie „Der Zauberlehrling“ und „Alraune“) auch als Vorbild bezeichnete. Damit kommt ihm auch die Ehre zuteil mit seiner Faust-ischen Geschichte einer der ersten deutschen Horrorfilme, ja Horrorfilme generell, zu sein. Zwar wirkt „Der Student von Prag“ aus heutiger Sicht hier und dort etwas holprig, aber zieht man den Umstand in Betracht, dass sich hier unerfahrene Filmemacher (egal, ob nun Ewers, Wegener oder Rye hauptsächlich Regie führten – alle drei hatten vor 1913 noch keinen Film gedreht) an einem noch sehr jungen Medium versuchten, dann ist das Ergebnis schlichtweg enorm.
„Der Student von Prag“ ist ein Meilenstein der Filmgeschichte und liegt nun erstmals in seiner vollständigsten und schönsten Form auf DVD vor. Hanns Heinz Ewers Geschichte des Studenten Balduin bedient sich frei bei Elementen aus der „Faust“-Geschichte, ebenso wie bei Edgar Allen Poe und E.T.A. Hoffmann. Das der Film teilweise noch etwas unfertig und unfokussiert wirkt (wie eine für die Handlung nicht wichtige, sehr in die Länge gezogene Fuchsjagd) liegt daran, dass hier noch mit dem jungen Film experimentiert wurde und die Filmemacher noch über keine keine große Erfahrung mit dem Medium hatten. Die Trickeffekte sind aber auch heute noch überzeugend.
Die Edition Filmmuseum hat mit der Veröffentlichung von „Der Student von Prag“ mal wieder eine tolle Arbeit hingelegt, die vollkommen Zurecht mit dem Willy-Haas-Preis für bedeutende internationale Publikationen zum deutschsprachigen Film bzw. zum Film in Deutschland prämiert wurde. Wie oben bereits beschrieben, liegt der Film auf zwei Scheiben in drei verschiedenen Versionen vor, die sich in Musik, Vorführgeschwindigkeit (und im Falle der US-Version auch in Länge) unterscheiden. Ferner wurde als Bonus noch der Kurzfilm „Die ideale Gattin“ (16 Minuten) beigelegt, bei dem wiederum Hanns Heinz Ewers zusammen mit einem gewissen Marc Henry Regie führt und ein junger Ernst Lubitsch eine kleine Nebenrolle spielt. Ansonsten spielen in dieser kurzen burlesken Komödie noch Grete Berger und Lyda Salmonova mit, die ja beide auch beim „Student von Prag“ dabei sind. Das informative Booklet enthält u.a Texte von Ewers über das Kino und eine Erklärung zu den unterschiedlichen Versionen. Im CD-Rom-Teil (ja, so etwas gibt es noch) findet man das Originalskript, das Programmheft, Werbematerial und noch einiges mehr.
Bilder und einige interessante Anmerkungen in den Kommentaren gibt es hier noch:http://www.filmforum-bremen.de/2016/12/ ... -von-prag/
Früher war mehr Lametta
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Re: Der Student von Prag - Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener (1913)
Der Student Balduin (Paul Wegener) führt im Prag des Jahres 1820 ein unstetes Leben. Anerkannt als
bester Fechter Prags ist er genauso anerkannt als Frauenheld und Tunichtgut, immer in Geldnöten.
Zufällig sieht er einen Reitunfall der Komtesse Margit von Schwarzenberg (Grete Berger)
und steht ihr bei. Hernach sucht er die Nähe der Komtesse, wohl um sich von ihr aushalten zu lassen.
Doch der Verlobte der Komtesse hat ein wachsames Auge auf sie. Als sich Balduin offenbar tatsächlich
in Margit verliebt, sucht er nach anderen Geldquellen. Nun kommt der Magier Scapinelli (John Gottowt) in's
Spiel, der Balduin eine Riesensumme für eine offenbare Kleinigkeit bietet. Balduin unterschreibt
Scapinellis Vertrag und verliert mitnichten nur eine Kleinigkeit, sondern sein eigenes Spiegelbild.
Fortan streift Balduins Spiegelbild als bösartiger Doppelgänger Balduins durch Prag und richtet
ein Unheil nach dem anderen an. Die in Balduin verliebte und von ihm immer verschmähte Lyduschka (Lyda Salmonova)
versucht Balduin zu helfen. Doch das Unheil nimmt seinen Lauf....
Der schon früh vom Siegeszug des Kinos überzeugte Hanns Heinz Ewers verfilmte hier in Zusammenarbeit
mit dem früh verstorbenen Dänen Stellan Rye und Paul Wegener seinen eigenen Roman. Wir schreiben das Jahr 1913,
und es ist mehr als ungewöhnlich, eine, zumal fantastische, Geschichte in Spielfilmlänge von etwa eineinhalb Stunden
zu verfilmen. Ungewöhnlich zu jener Zeit sind auch die Anzahl an Außenaufnahmen bzw. an Originalschauplätzen
in Prag.
Auch trickechnisch bewegt sich der Streifen mit seinen Rückprojektionen auf hohem Niveau. Die Szene,
in der Balduins Spiegelbild plötzlich im Spiegel ein Eigenleben beginnt und schlußendlich aus dem Spiegel
heraustritt ist legendär.
Im Bereich Funfact ist einzuordnen, daß der knapp vierzigjährige Paul Wegener den Studenten Balduin gibt
und der etwa dreißigjährige John Gottowt den greisen Scapinelli. Ewers war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten
mit Grete Berger zusammen. Im richtigen Leben heirateten Balduin (Wegener) und Lyduschka (Salmonova)
bald nach Beendigung des Films.
Interessant auch der Werdegang der am Film Beteiligten während der Nazi-Diktatur. Während Wegener
immer gegen den Nationalsozialismus wetterte und während des Krieges wohl auch Menschenleben
rettete, indem er Verfolgte bei sich versteckte, hatte Ewers ein eher ambivalentes Verhältnis zum Regime.
Betrieb er anfangs noch Propaganda im Sinne des Nationalsozialismus, wurden dennoch kurz nach Machtantritt
Ewers Werke verboten und er selbst zum Fürsprecher von jüdischen und homosexuellen Kollegen.
Ganz tragisch endeten die Karrieren von John Gottowt und Grete Berger, die zunächst mit Berufsverboten
belegt und später ermordet wurden.
bester Fechter Prags ist er genauso anerkannt als Frauenheld und Tunichtgut, immer in Geldnöten.
Zufällig sieht er einen Reitunfall der Komtesse Margit von Schwarzenberg (Grete Berger)
und steht ihr bei. Hernach sucht er die Nähe der Komtesse, wohl um sich von ihr aushalten zu lassen.
Doch der Verlobte der Komtesse hat ein wachsames Auge auf sie. Als sich Balduin offenbar tatsächlich
in Margit verliebt, sucht er nach anderen Geldquellen. Nun kommt der Magier Scapinelli (John Gottowt) in's
Spiel, der Balduin eine Riesensumme für eine offenbare Kleinigkeit bietet. Balduin unterschreibt
Scapinellis Vertrag und verliert mitnichten nur eine Kleinigkeit, sondern sein eigenes Spiegelbild.
Fortan streift Balduins Spiegelbild als bösartiger Doppelgänger Balduins durch Prag und richtet
ein Unheil nach dem anderen an. Die in Balduin verliebte und von ihm immer verschmähte Lyduschka (Lyda Salmonova)
versucht Balduin zu helfen. Doch das Unheil nimmt seinen Lauf....
Der schon früh vom Siegeszug des Kinos überzeugte Hanns Heinz Ewers verfilmte hier in Zusammenarbeit
mit dem früh verstorbenen Dänen Stellan Rye und Paul Wegener seinen eigenen Roman. Wir schreiben das Jahr 1913,
und es ist mehr als ungewöhnlich, eine, zumal fantastische, Geschichte in Spielfilmlänge von etwa eineinhalb Stunden
zu verfilmen. Ungewöhnlich zu jener Zeit sind auch die Anzahl an Außenaufnahmen bzw. an Originalschauplätzen
in Prag.
Auch trickechnisch bewegt sich der Streifen mit seinen Rückprojektionen auf hohem Niveau. Die Szene,
in der Balduins Spiegelbild plötzlich im Spiegel ein Eigenleben beginnt und schlußendlich aus dem Spiegel
heraustritt ist legendär.
Im Bereich Funfact ist einzuordnen, daß der knapp vierzigjährige Paul Wegener den Studenten Balduin gibt
und der etwa dreißigjährige John Gottowt den greisen Scapinelli. Ewers war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten
mit Grete Berger zusammen. Im richtigen Leben heirateten Balduin (Wegener) und Lyduschka (Salmonova)
bald nach Beendigung des Films.
Interessant auch der Werdegang der am Film Beteiligten während der Nazi-Diktatur. Während Wegener
immer gegen den Nationalsozialismus wetterte und während des Krieges wohl auch Menschenleben
rettete, indem er Verfolgte bei sich versteckte, hatte Ewers ein eher ambivalentes Verhältnis zum Regime.
Betrieb er anfangs noch Propaganda im Sinne des Nationalsozialismus, wurden dennoch kurz nach Machtantritt
Ewers Werke verboten und er selbst zum Fürsprecher von jüdischen und homosexuellen Kollegen.
Ganz tragisch endeten die Karrieren von John Gottowt und Grete Berger, die zunächst mit Berufsverboten
belegt und später ermordet wurden.
Zuletzt geändert von sergio petroni am Sa 20. Nov 2021, 13:06, insgesamt 1-mal geändert.
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
- Salvatore Baccaro
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Re: Der Student von Prag - Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener (1913)
Sergio im Stummfilmrausch!
Re: Der Student von Prag - Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener (1913)
Früher war mehr Lametta
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Re: Der Student von Prag - Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener (1913)
Schön wäre es. Aber leider viel zu wenig Zeit dafür....
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“