Der Student von Prag - Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener (1913)
Verfasst: Fr 22. Okt 2021, 17:22
Originaltitel: Der Student von Prag
Produktionsland: Deutschland 1913
Regie: Hanns Heinz Ewers, Stellan Rye, Paul Wegener
Darsteller: Paul Wegener, John Gottowt, Lyda Salmonova, Grete Berger, Fritz Weidemann, Lotha Körner
…und gestern dann also zum wiederholten Mal DER STUDENT VON PRAG gesehen, jenen 1913er Stummfilm, der als einer der ersten „Autorenfilme“ der Kinogeschichte gilt, (weil das Originaldrehbuch vom Schriftsteller-Enfant-Terrible Hanns Heinz Ewers stammt), der als einer der ersten Horrorfilme der Kinogeschichte gilt, (weil er das bereits in der literarischen Romantik heiß und innig geliebte Doppelgänger-Motiv einsetzt, um seinem Helden, sprich, dem Publikum einen Schauer nach dem andern den Rücken hinabzujagen), und der zumindest inhaltlich gewissermaßen diejenige Art von Kino vorwegnimmt, mit der das Deutsche Reich ab Ende der 1910er, Anfang der 1920er international zu Ruhmeszügen ansetzen sollte, (wenn ihn seine Theater- und/oder Unter-Freiem-Himmel-Kulissen natürlich nichtsdestotrotz ästhetisch meilenweit von expressionistischen Studiobauten bzw. gemalten Hintergründen wie in DAS CABINET DES DR. CALIGARI oder DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM trennen.)
Über weite Strecke hat man noch das Gefühl, einer Theaterinszenierung beizuwohnen: Die Kamera befindet sich zumeist frontal vor den expressiv agierenden Schauspielern; für heutige Sehgewohnheiten werden die einzelnen Szenen stets ein paar Takte zu lang ausgespielt. Bedenkt man, dass sowohl Hauptdarsteller Paul Wegener, (der einen „wilden“ Studenten verkörpert, obwohl er bereits an die vierzig Lenze zählt) wie Autor Ewers und der Däne Stellan Rye nie zuvor einen Film gedreht haben, ist das Ergebnis durchaus erstaunlich: Geschickt wird mit der Raumtiefe operiert; man versucht, so viele Ereignisse wie möglich in eine einzelne Planszene zu stopfen; besonders hat es mir die Tatsache angetan, dass man einen herrschaftlichen Salon anscheinend aus Pappwänden irgendwo in der freien Landschaft errichtet hat, sodass er sich nach hinten hin zu einem Birkenwäldchen öffnet. Ein bisschen Prager Lokalkolorit, (unter anderem ein hübsches Stelldichein auf dem, wie ich vermute, nachgebauten Jüdischen Friedhof), gibt’s ebenso wie Spezialeffekte (vorwiegend primitive Split-Screen-Verfahren, wenn unser Held seinem eigenen Spiegelbild gegenübersteht), die noch immer tadellos überzeugen.
Storytechnisch rekapituliert Ewers, (der heute vor allem für seine splattrigen Kurzgeschichten bekannt ist und wegen dessen 1909er Debüt-Roman mir heute noch die Kinnlade offensteht angesichts der Fülle an sodomitischen, nekrophilen, sadomasochistischen Handlungen, die sich darin stapeln), gängige Topoi der literarischen Romantik: Ein bettelarmer Student verguckt sich in eine Comtesse; ein schrulliger Kauz namens Scapinelli, der wirkt, als sei er aus einer Geschichte E.T.A. Hoffmanns gepurzelt, überhäuft ihn mit Goldgulden, damit er seine Liebste ordentlich beeindrucken kann; Haken an der Sache: Im Gegenzug fordert Scapinelli das Spiegelbild Balduins – und so nimmt das Unheil seinen Lauf, denn der zombiehaft umherwandelnde Doppelgänger laviert unseren Helden alsbald von einer Katastrophe in die nächste, bestreitet für ihn tödlich ausgehende Duelle, erschrickt die begehrte Comtesse bis ins Mark, führt den bemitleidenswerten Tropf letztendlich in den Selbstmord. Schauerromantisch schön ist die Schlussszene: Balduin hockt auf seinem eigenen Grab und füttert mit verdrießlicher Miene einen zahmen Raben…
Wer genau DER STUDENT VON PRAG gedreht hat, darüber streiten sich die Geister; höchstwahrscheinlich hat jeder des kreativen Trios Ewers, Wegener und Rye seinen Beitrag für das künstlerische Gelingen dieses kleinen, feinen Streifens geliefert, - nicht zu vergessen Kamerapionier Guido Seeber und Ausstatter Rochus Gliese, der fortan mit Wegener eine fruchtbare Zusammenarbeit aufrechterhalten wird, die unter anderem 1920 im Film DER VERLORENE SCHATTEN mündet, wo die beiden eine ganz ähnliche Geschichte erzählen, mit dem Unterschied, dass der dortige Held, ein Stadmtusikus, nicht sein Spiegelbild verpfändet, um sich der Liebe einer höhergestellten Dame zu versichern, sondern einem umherreisenden Signore seinen Schatten verkauft.
DER STUDENT VON PRAG mag nicht schlaflose Nächte bereiten wie NOSFERATU, nicht die atemberaubenden Kulissen des GOLEMs aufbieten, nicht psychologisch bis zum Anschlag ausdeutbare Haken schlagen wie CALIGARI, - aber Pflichtprogramm für alle, die sich für Genre-Kino interessieren, ist er natürlich allemal.