Darsteller(innen): Jürgen Holtz, Jutta Hoffmann, Albert Kitzl, Eva Mattes, Elke Czischek, Katya Jaremenko, Wiebke Frost, Franz Viehmann,Ercan Özcelik, Ernst-Georg Schwill, Ursula Staack, Irm Hermann u. A.
Friedhelm Motzki (Jürgen Holtz), ein dauernörgelnder West-Berliner und Frührentner, durch den Tod seiner Frau Doris alleingelassen, versprüht seine Abneigung gegen alles und jeden, vor allem aber gegen die Wiedervereinigung Deutschlands. Die Ossis, für ihn ein faules und unfähiges Pack, wollen den Westen nur ausbeuten. Seine Schwägerin Edith (Jutta Hoffmann) hilft ihm zwar bei Beerdigung und Haushalt, stammt jedoch auch aus dem Osten und bietet ihm dazu noch Paroli. Lediglich den türkischen Gemüsehändler Gülüsan kann er leiden...
„Das Leben ist nirgendwo so schön als wie bei uns hier.“
Der deutsche Drehbuchautor Wolfgang Menge war dafür bekannt, den Deutschen sehr genau aufs Maul zu schauen und seine Beobachtungen satirisch zu verarbeiten. Seine populärste Figur ist der reaktionäre Kleinbürger Alfred Tetzlaff, Hauptfigur der SitCom „Ein Herz und eine Seele“ aus den 1970ern. An jenes Konzept knüpfte er an, als er die Figur Friedhelm Motzki für die 13-teilige SitCom „Motzki“ ausarbeitete, einen frustrierten West-Berliner Frührentner, der seine eigene Verbitterung nach dem Tod seiner Frau auf die ostdeutsche Bevölkerung und die deutsch-deutsche „Wiedervereinigung“ projiziert. Die im Jahre 1993 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlte Serie wurde von Regisseur Thomas Nennstiel („Mocca für den Tiger“) inszeniert und sorgte für einige Kontroversen.
„Du wirst doch wohl nicht ernsthaft behaupten, dass ihr so Deutsche wart wie wir!“
Der ehemalige Fahrlehrer Fiedhelm Motzki (Jürgen Holtz, „Rosa Luxemburg“) lebt nach dem Tod seiner Frau Doris mit seiner ostdeutschen Schwägerin Edith Rosenthal ( Jutta Hoffmann, „Trotz alledem!“) und der ihm zugelaufenen „Osttöle“ Bismarck in seiner Wohnung im Berliner Wedding zusammen. Er beschäftigt Edith, die zu DDR-Zeiten in einem Kindergarten für MfS-Mitarbeiter(innen) arbeitete, als Haushälterin. Ihre Hilfe nimmt er wie selbstverständlich an, nicht ohne keine Gelegenheit auszulassen, über die DDR und ihre ehemaligen Bürger(innen) herzuziehen und sich regelrecht von der Stasi verfolgt zu fühlen. Das Politik- und Gesellschaftssystem der BRD ist für ihn das Maß aller Dinge und alle Schlechte kommt „von drüben“. Seine Nachbarin Carmen Schneppel (Elke Czischek, „Peng! Du bist tot!“), von ihm nur verächtlich „Schnepfe“ genannt, lehnt er aufgrund ihres (aus seiner Sicht) alternativen Lebensstils ab, was er sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit spüren lässt. Großen Gefallen findet er hingegen an den russischen Fotomodellen, die in einer Boutique in der Nachbarschaft arbeiten. Zu einem längeren Besuch quartiert sich seine naive Cousine Gisela Klipschitz (Eva Mattes, „Woyzeck“) aus Bonn ein, die nicht müde zu betonen wird, ihr Mann arbeite „im Bundestag“, was immerhin nicht gelogen ist: Er ist dort als Pförtner angestellt. Wirklich zu Motzki auf schaut nur der türkische Gemüsehändler Gülüsan Üksknürz (Albert Kitzl, „Wir können auch anders…“), der in ihm einen ganz normalen Deutschen sieht, sich mit ihm gutstellt und sämtliche ausländerfeindlichen Tiraden Motzkis geflissentlich zu überhören scheint, dafür aber dessen Vorurteile gegenüber „Ossis“ übernimmt.
„So grässlich, wie du tust, kann niemand sein!“ – „Ich schon!“
Die Serie beginnt drei Tage nach Doris‘ Tod, aber von Trauer oder Zuneigung zu seiner Frau ist bei Motzki keine Spur. Ihr Ableben sei gemein gewesen, schließlich lasse sie ihn jetzt allein mit all den Ausländern und dem ganzen „Zonenpack“. Motzki erspinnt die Verschwörungstheorie, Honecker und Mielke hätten die Wiedervereinigung selbst initiiert, und landet immer wieder auf dem Boden der Tatsachen, wenn er zusammen mit Edith Doris‘ Beerdigung vorbereiten muss, einem Verwandten Ükzknürz‘ beim Gebrauchtwagenkauf „behilflich“ ist, eine neue Waschmaschine anschafft und als notorischer Geizkragen die alte gratis zu entsorgen versucht, sich mit ungebetenem Besuch herumplagen muss oder auf die „faulen“ Bauarbeiter vor seiner Haustür schimpft. Mehr Freude bereitet ihm die Fotosession mit den russischen Mannequins in seiner Wohnung, weniger hingegen der Ausflug in den Spreewald mit seiner nach einem von ihm selbst verschuldeten Unfall zeitweilig auf den Rollstuhl angewiesenen Cousine sowie Edith und Ükzknürz, denn diese Spritztour fällt im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser.
„Sind Sie Friedhelm Motzki?“ – „Was denken Sie? Gregor Gysi?!“
Stets beschwört Motzki die Vorteile der Marktwirtschaft und holt zu Erklärungsversuchen gegenüber den ach so minderbemittelten Mitmenschen aus, doch je besserwisserischer er auftritt, desto härter fällt er selbst auf die Schnauze. Die ungebildete Cousine Gisela ist für die Vorurteile gegenüber Berlin zuständig und verkörpert mit ihrem doof-naiven wesen die überhebliche, aber tumbe Wessi-Tussi, die gar nicht merkt, wie viel Diskriminierendes eigentlich in ihren Äußerungen steckt. Der bevorstehende Regierungsumzug von Bonn nach Berlin wird häufig thematisiert, revisionistische und revanchistische Sprüche gen Polen abgesondert und gegen weibliche Emanzipation gewettert. Episode 11, „Wunder“, fällt etwas aus der Reihe, handelt es sich doch um eine köstliche Religionssatire. Die Heldin der Serie ist die stets um Ausgleich bemühte, nicht auf den Mund gefallene und empathische Edith, während der sich stets überlegen fühlende Motzki als genau der Kotzbrocken und zugleich armseliger Verlierer dargestellt wird, der er ist.
In der letzten Episode sucht Edith eine neue Anstellung als Kindergärtnerin, wird jedoch aufgrund ihrer „Stasi-Vergangenheit“ abgelehnt, womit die Serie erstmals über Motzkis Gepöbel hinaus den Finger in die Wunde tatsächlicher, seinerzeit ganz realer Probleme manch Ostdeutscher legt, die unverschuldet enorme Schwierigkeiten hatten, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Motzki sucht derweil nach einer neuen Haushälterin und gerät witzigerweise an eine Ostdeutsche, die exakt dem Stereotyp entspricht, das Motzki bis dahin permanent lediglich behauptet hatte: eine arbeitsscheue Frau mittleren Alters, die auf die Ausbeutung durch die Wessis schimpft. Das macht den Rundumschlag perfekt. Am Schluss kommt es in Motzkis Sitzgruppe zu einem Wortgefecht zwischen ihm und Edith, gefolgt von versöhnlichen Worten Ediths, die zugleich als Appell ans Publikum, man müsse miteinander auskommen, zu verstehen sind.
Dies wurde offenbar nicht von allen verstanden, ebenso wenig die bissige Ironie der Serie, die ja nun gerade nicht Motzkis Meinung untermauert, geschweige denn ihn als positive Identifikationsfigur anbietet. So wurden Forderungen nach einer Absetzung der Serie aufgrund seiner beleidigenden Tiraden laut, wobei anscheinend übersehen wurde, dass eigentlich ganz etwas anderes als problematisch ausgelegt werden könnte, nämlich die klischeebehaftete Darstellung Üksknürz‘, der zwar einerseits durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist, andererseits aber – offenbar kulturell geprägt – ein derartiger Sexist ist, dass er seine eigenen Frau kaum Rechte zugesteht. Natürlich gab und gibt es auch das in der Realität und mit Sicherheit wollten Menge & Co. genau diesem Menschenschlag auch einen mitgeben, de facto aber ist dadurch die einzige Migrantenfigur der Serie eher negativ konnotiert. Dass Edith in Episode 9 von Rechtsextremisten körperlich attackiert wird, wird hingegen nicht gezeigt, sondern lediglich in einem recht kurzen Dialog angesprochen – ansonsten bleibt das Thema Rechtsextremismus (Stichwort „Baseballschlägerjahre“) ausgespart.
Nichtsdestotrotz ist diese Serie, in der die ehemalige DDR zur Projektionsfläche für den Frust eines verbitterten alten weißen Mannes wird, eine humoristische Bestandsaufnahme der Nachwendezeit und damit ein aufschlussreiches Zeitdokument deutsch-deutscher Befindlichkeiten. Ihre theaterhafte Inszenierung erinnert stark an „Ein Herz und eine Seele“ und wirkte damit 1993 eventuell für ein US-SitComs gewohntes, jüngeres Publikum etwas altmodisch, auch ist die Pointendichte woanders bestimmt höher. Dennoch lohnt sich eine Wiederentdeckung, denn wie Motzki schlagfertig so politisch unkorrekt wie nur möglich vom Leder zieht, ist damals wie heute im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Deutschlands alles andere alltäglich, und Jürgen Holtz‘ Mut zur Hässlichkeit ist eine Wucht.
Der Mitteldeutsche Rundfunk antwortete noch im selben Jahr mit der Produktion der SitCom „Die Trotzkis“, in der eine sächsische Familie im Mittelpunkt steht. Die DVD-Auswertung liegt schon bereit, ich bin gespannt.
Re: Motzki - Thomas Nennstiel (1993) [TV-Serie]
Verfasst: Fr 14. Jan 2022, 21:18
von Arkadin
An die Serie erinnere ich mich noch gut. War ja auch tatsächlich überall in den Schlagzeilen.
Mir hatte sie damals nicht gefallen. Zu sehr empfand ich sie als "Ein Herz und eine Seele"-Abklatsch.
Und womit ich damals echte Probleme hatte war, dass mir alle Figuren abgrundtief unsympathisch waren.
"Ekel Alfred" fand ich ja immer sowohl lustig, als auch tragisch. Was vielleicht an Schuberts Darstellung lag.
Den mochte man zwar nicht, aber irgendwie war der doch... in Mangel eines besserer Wortes sage ich mal "knuffig".
Motzki ging das - meiner Erinnerung nach - völlig ab. Das war einfach nur ein widerliches, kaltes A***loch. So habe ich das damals wenigstens empfunden. Aber das ist ja mittlerweile auch 30 Jahre her. Müsste ich mal wieder reinschauen.
Re: Motzki - Thomas Nennstiel (1993) [TV-Serie]
Verfasst: So 16. Jan 2022, 13:21
von sid.vicious
Arkadin hat geschrieben: ↑Fr 14. Jan 2022, 21:18
Mir hatte sie damals nicht gefallen. Zu sehr empfand ich sie als "Ein Herz und eine Seele"-Abklatsch.
Und womit ich damals echte Probleme hatte war, dass mir alle Figuren abgrundtief unsympathisch waren.
Das habe ich ebenso in Erinnerung. Deshalb hatte ich nur selten die die Serie reingeschaut. Die Dialoge in bzw. aus EIN HERZ UND EIN SEELE kenne ich allerdings zum größten Teil auswendig.
Re: Motzki - Thomas Nennstiel (1993) [TV-Serie]
Verfasst: Mo 17. Jan 2022, 09:59
von buxtebrawler
Arkadin hat geschrieben: ↑Fr 14. Jan 2022, 21:18
An die Serie erinnere ich mich noch gut. War ja auch tatsächlich überall in den Schlagzeilen.
Mir hatte sie damals nicht gefallen. Zu sehr empfand ich sie als "Ein Herz und eine Seele"-Abklatsch.
Und womit ich damals echte Probleme hatte war, dass mir alle Figuren abgrundtief unsympathisch waren.
"Ekel Alfred" fand ich ja immer sowohl lustig, als auch tragisch. Was vielleicht an Schuberts Darstellung lag.
Den mochte man zwar nicht, aber irgendwie war der doch... in Mangel eines besserer Wortes sage ich mal "knuffig".
Motzki ging das - meiner Erinnerung nach - völlig ab. Das war einfach nur ein widerliches, kaltes A***loch. So habe ich das damals wenigstens empfunden. Aber das ist ja mittlerweile auch 30 Jahre her. Müsste ich mal wieder reinschauen.
Ja, war schon eine Art "Ein Herz und eine Seele"-Update. Aber weshalb war dir sogar Edith unsympathisch?
"Motzki" ist tatsächlich in gewisser Weise "härter", vielleicht auch den härteren Zeiten geschuldet. Tetzlaffs tragische Note kam m.E. zuweilen auch durch seine arg naive Frau zustande, mit der er "gestraft" war. Motzkis Frau hingegen ist von Anfang an tot, stattdessen hat er mit Edith nun eine starke Frauenfigur an seiner Seite.
@Arkadin und sid.vicious: Habt ihr auch "Die Trotzkis" geguckt?
Re: Motzki - Thomas Nennstiel (1993) [TV-Serie]
Verfasst: Mo 17. Jan 2022, 11:45
von Arkadin
buxtebrawler hat geschrieben: ↑Mo 17. Jan 2022, 09:59
[Aber weshalb war dir sogar Edith unsympathisch?
(...)
@Arkadin und sid.vicious: Habt ihr auch "Die Trotzkis" geguckt?
"Die Trotzkis" war mir bis eben gar kein Begriff.
Zu der Figur der Edith. Wie gesagt, das ist 30 Jahre her, dass ich das geguckt habe und richtig erinnern kann ich mich nur an en Motzki selber.
Dazu muss ich sagen, dass das Thema DDR für mich Anfang der 90er überhaupt nicht relevant war. Ich hatte da auch Null persönliche Beziehungen hin.
Ich vermute mal, deswegen konnte ich mit der Figur Edith auch nichts anfangen und hab die eher als schlechten "Rita"-Ersatz wahrgenommen, die ja in "Herz/Seele" dem Ekel auch immer ordentlich Kontra gegeben hat. Durch die einerseits sehr große Ähnlichkeit, andererseits der dann doch gravierende Unterschiede zwischen "Herz/Seele" und "Motzki" bin ich da auch nie wirklich reingekommen.