Zur Chronik von Grieshuus - Arthur von Gerlach (1925)
Verfasst: Mo 31. Jan 2022, 11:42
Originaltitel: Zur Chronik von Grieshuus
Produktionsland: Deutschland 1925
Regie: Arthur von Gerlach
Cast: Lil Dagover, Paul Hartmann, Rudolf Forster, Gertrud Arnold, Rudolf Rittner, Arthur Kraußneck, Gertrude Welcker, Hans Peter Peterhans
Zugegeben, rein inhaltlich reißt das von Fritz Langs Ex-Frau, späteren nationalsozialistischen Parteigängerin und noch späteren Trägerin des Bundesverdienstkreuzes auf Grundlage einer Theodor-Storm-Novelle verfasste Drehbuch keine Bäume aus: Ein norddeutsches Adelsgeschlecht um 1700 und ihr Stammschloss irgendwo in der Heide bei Holstein; zwei Brüder, von denen der eine in die Ferne reist, um Jura zu studieren, und sich der andere in die Tochter eines Bediensteten verliebt; ein Vater, der es gar nicht gerne sieht, wie sein Jüngster mit einer Unfreien anbandelt, und ihm deshalb droht, ihn zu enterben, sollte er die Finger nicht von der Magd lassen; ein Sohn, der seine Liebe über alles stellt, und es gerne in Kauf nimmt, zur Persona non grata zu werden, weil er nicht im Traum daran denkt, auf seinen Vater statt auf sein Herz zu hören; ein Vater, der bei all der Aufregung einen Herzschlag erleidet; schließlich ein Bruder, der aus der Fremde zurückkehrt und es ebenfalls als Schandmal erachtet, das ihn und seine Familie zum Gespött des ganzen Landes macht, dass sein Bruder eine Frau aus dem gemeinen Volk geehelicht hat; Streit um das Erbe, der dahingehend eskaliert, dass besagte Frau aus dem gemeinen Volk eine Frühgeburt erleidet und dann der Tod ereilt, und dass der im Sinne des Vaters handelnde Bruder vom ausgestoßenen Bruder erschlagen wird; die Flucht des überlebenden Bruders und das einsame Aufwachsen seines kleinen Sohnes allein im zunehmend verfallenden Schloss; die Witwe des getöteten Bruders, die es sich in den Kopf gesetzt hat, den Buben, was das Erbe betrifft, auszubooten: Sie allein möchte Herrin von Grieshuus werden!
Eine Geschichte also, wie sie sich kaum vertrauter von einem Standardszenario zum nächsten hangeln könnte: Liebe, Mord, Eifersucht, Erbstreit, Standesdünkel, - aus diesem Stoff ist die halbe Weltliteratur gestrickt. Und was macht diese Ufa-Produktion daraus? Nichts weniger als ein Fest für alle Sinne, vor allem aber für die Augen: Unter Oberaufsicht der Szenenbildner Robert Herlth (DER MÜDE TOD) und Walter Röhring (DAS CABINET DES DR. CALIGARI), und unter Mitwirkung des Architekten Hans Poelzig (DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM) entstehen auf dem Neubabelsberger Studiogebäude nicht nur das in einer Art „weichen“, naturalistischen Expressionismus gehaltene Schloss Grieshuus, sondern auch eine komplette Heide- und Moorlandschaft inklusive künstlicher Seen und Wäldchen; in seiner Lichtsetzung orientiert sich ZUR CHRONIK VON GRIESHUUS deutlich an der Tradition der Schauerromantik mit seinen verwinkelten Gängen, seinen schattenvollen Räumen, seinen traurigen Gemäuern; die sorgsam komponierten Bilder schwören eine vergangene Zeit herauf, ohne sie allzu sehr zu romantisieren oder zu stilisieren: Da kann ich mich gerne mit einem Plot arrangieren, der im Grunde einzig allein erzählt, wie sich eine Familie im Kampf um ihr Erbe zerfleischt, wenn die Tragödie visuell einen derartigen Rausch darstellt, dass der Cast zuweilen zur gestischen und mimischen Übertreibung neigt, oder dass die Dramaturgie manchmal ein wenig schleppend gerät: Wundervoll ist der Beginn, wenn ein Heidewanderer bei den Ruinen von Grieshuus rastet und die Aufnahme zweier Hunde, die auf einem Stein des ehemaligen Burgportals eingraviert sind, nahtlos in die Vergangenheit überleitet; Einstellungen wie aus einem Horrorfilm könnten die windgepeitschten Heiden sein, wenn ein Unwetter über sie hinwegfegt; kongenial ist es inszeniert, wenn, sobald das Drama seinen Lauf nimmt, jedes Gebäude, jedes Zimmer, selbst die Natur von einem übermenschlichen Verhängnis überzogen zu sein scheint, und selbst die örtliche Kirche wirkt wie ein finsteres Loch ohne Hoffnungsschimmer. Neben ZUR CHRONIK VON GRIESHUUS hat Regisseur Arthur von Gerlach bloß noch drei Jahre zuvor die Stendhal-Adaption VANINA ODER DIE GALGENHOCHZEIT gedreht; kurz nach Fertigstellung des Films stirbt er aus Gründen, die ich bislang nicht eruieren konnte, - so wie dieser Mensch überhaupt einem Phantom gleicht angesichts der spärlichen Informationen, die man über ihn finden kann.