Seite 1 von 1

Malombra - Carmine Gallone (1917)

Verfasst: Di 15. Feb 2022, 20:21
von Salvatore Baccaro
MV5BMGJhZmRjY2EtNjRmMS00MmJmLWFjYmYtZTk1YjJiZjRiZjcyXkEyXkFqcGdeQXVyMjQ0ODE4OTU@._V1_FMjpg_UX1000_.jpg
MV5BMGJhZmRjY2EtNjRmMS00MmJmLWFjYmYtZTk1YjJiZjRiZjcyXkEyXkFqcGdeQXVyMjQ0ODE4OTU@._V1_FMjpg_UX1000_.jpg (157.19 KiB) 351 mal betrachtet

Originaltitel: Malombra

Produktionsland: Italien 1917

Regie: Carmine Gallone

Cast: Lyda Borelli, Amleto Novelli, Augusto Mastripietri, Amedo Ciaffi, Francesco Cacace, Consuelo Spada, Giulia Cassini-Rizzotto


Nach dem Tod ihrer Eltern zieht Marina di Malombra in das an einem abgeschiedenen Ufer des Comer Sees liegende Schloss ihres Onkels, dem Grafen Cesare d’Ormegno. Ihre Tage verbringt die frischgebackene Waise mit Müßiggang, zugleich fasziniert wie angeödet von der einsamen Atmosphäre, die Familiensitz und angrenzenden Seen umgibt, und wohlwissend, dass ihr Oheim sie erst aus seiner Obhut entlassen wird, wenn er sie in den sicheren Hafen der Ehe übergeben kann. Eines Tages entdeckt Marina durch Zufall ein Geheimfach in einem Spinett, das bislang als reines Dekoelement in ihrem Zimmer herumgestanden hat: Ein handschriftliches Manuskript ist dort versteckt, verfasst von Cecilia, der ersten Gattin von Cesares Vater, die einst mit der Begründung, sie habe den Verstand verloren, ihre Lebenszeit in exakt diesen Räumlichkeiten beschließen musste -, dabei haben Cesares Vater und seine Mutter einen Komplott gegen die arme Frau ausgeheckt, da diese vorhatte, ihren Gatten für einen anderen Mann zu verlassen. Direkt wird die lesende Marina von der Verblichenen adressiert: Wer immer diese Zeilen lese, solle in ihrem Namen Rache an sämtlichen noch lebenden Sprösslingen derjenigen Familie verüben, die sie auf dem Gewissen habe. Mehr und mehr vertieft Marina sich in das Dokument, und identifiziert sich im Gegenzug zunehmend mit der Toten. Das geht so weit, dass sie alsbald handfeste Pläne zu schmieden beginnt, ihren Onkel für die Verbrechen seines Vaters und seiner Großmutter zur Rechenschaft zu ziehen, - zumal dieser keinen Hehl daraus macht, längst einen idealen Ehemann für seine Nichte ausgepickt zu haben, und ihrer Zustimmung einen rein sekundären Platz bei der Entscheidung einräumt, wer Marina vor den Traualter geleiten soll. Kann die Liebe zu dem Dichter Silla sie davon abhalten, endgültig mit dem Geist Cecilias zu verschmelzen und Cesare an den Kragen zu gehen?

Carmine Gallone hat zwischen 1913 und 1962 weit über hundert Filme inszeniert, darunter Pompöses wie GLI ULTIMI GIORNI DI POMPEI (1926), Faschistisches wie SCIPIONE L’AFRICANO (1937), Melodramatisches wie CARMEN DI TRASTEVERE (1962). MALOMBRA, seine Verfilmung eines Schauerromans von Antonio Fogazarro aus dem Jahre 1881, ist ein Diven-Film, wie sie die italienische Filmindustrie in den 1910er Jahren fließbandartig herstellte: Lyda Borelli, zu diesem Zeitpunkt ein Superstar des Stiefelland-Kinos, beherrscht den Film in nahezu jeder einzelnen Szene. Ihre Schauspielkunst ist durchaus melodramatisch, stellenweise gar ekstatisch, geprägt von Momenten des Stillstands, in denen Borelli ihren Körper in eine Statue verwandelt, und von Momenten, in denen sie ruckartig von einer Pose in die nächste wechselt. Natürlich kann man diesen speziellen Acting-Style heillos antiquiert und theatralisch finden. Mir demgegenüber behagt es sehr, Borelli bei ihren physischen Entgleisungen zuzusehen, und ich wüsste nicht, wo im Tonfilm jenseits des Kinos Andrzej Zulawskis oder ausgewählten EXORCIST-Rip-Offs weibliche Körper derartig zum Emblem für psychische Grenzzustände werden würden.

Freilich, die Story von MALOMBRA wird recht schleppend erzählt, streckt sich über einen (wenig interessanten) Romanzen-Subplot, und wirkt für jemandem wie mich, dem die Romanvorlage unbekannt ist, stellenweise einigermaßen konfus, - wobei es dem Film sicher nicht hilft, dass bis heute zwei seiner Rollen verschollen sind. Andererseits ist MALOMBRA von Anfang an durchtränkt von einer schaurig-traurigen Stimmung: So heißt es zu Beginn, dass die örtlichen Fischer nur mit Gänsehaut zum Schloss derer von d’Ormegno hinaufblicken können, wenn sie an seinen Grundfesten vorbeischippern und ein Bediensteter stellt Marina ihr Schlafgemach mit den Worten vor, dass dort der Teufel zu Hause sein soll. Obwohl es sich bei MALOMBRA natürlich nicht um einen reinrassigen Horrorfilm handelt, sind die Anleihen bei der Schwarzen Romantik dennoch unübersehbar: Gerade das Motiv, der gespenstischen Besessenheit spielt der Film in manchen Szenen durchaus kongenial aus. Ein ikonisches Bild beispielweise zeigt Marina, wie sie sich Cecilia als Phantom imaginiert, das geisterhaft zu ihr ans Lesepult tritt: Per Überblendung scheinen der transparente Leib der einen Figur und der intransparente Leib der anderen ineinander zu fließen. Weitere glorreiche Momente wären derjenige, in der Marina, schon völlig okkupiert von den Gedanken daran, ihrem Onkel in Cecilias Namen den Garaus machen zu müssen, beim Abendessen plötzlich zu einer Gabel greift und diese mit verzerrtem Gesicht in die Tischdecke rammt, als sei ihre Hand zu einer Raubtierklaue geworden; ein (narrativ ein bisschen unmotivierter) Ausflug zu den mythenumrankten „Höhlen des Schreckens“, dem denkbar grusligsten Ort, um, wie es hier geschieht, jemandem einen Heiratsantrag zu machen; sowie die Omnipräsenz von welkenden oder bereits verwelkten Blumen: In einer Szene ist Cecilias ehemaliges Schlafzimmer förmlich tapeziert mit ihnen! Bei diesem ganzen Reigen aus Todessehnsucht, mentalem Spuk, unheimlichen Landschaften, tristen Schlossfluren und aufkeimender Geisteskrankheit ist es kein Wunder, dass Marinas Onkel, als sie ihm ein Buch mit Erzählungen Edgar Poes hinhält, das sie eben in der Bibliothek gefunden hat, kritisch die Nase rümpft und seine Nichte bittet, sich nicht zu sehr in die Lektüre solcher düsterer Stoffe zu vertiefen. Ohne MALOMBRA über Gebühr einen feministischen Impetus unterjubeln zu wollen, erzählt der Film zumindest in seinem Subtext durchaus auch von Hysterie und Wahnsinn als Formen weiblichen Widerstands gegen ein patriarchales System, - wenn die Revolte auch, wenig überrascht, am Ende nicht in einem Emanzipationsprozess gipfelt, sondern in Mord und Totschlag.

Visuell bin ich bei MALOMBRA mehrmals niedergekniet. Nicht so sehr beeindruckt haben mich die opulenten Kostüme, in die Borelli ständig schlüpft – (mindestens achtzehnmal wechselt sie im Verlauf der Handlung ihre Garderobe!) –, sondern vor allem die eine oder andere pittoreske Bildkomposition: Marina, lebenssatt, wie sie in einem Boot herumliegt und ihren Körper der stechenden Sonne darbietet; eiine Gruppe Landvolk, das folkloristische Tänze aufführt; Marina, die sich scheinbar fremdbestimmt eines Nachts mit einem Kerzenleuchter wappnet, um Cesare einen Schreck einzujagen, der ihn paralysieren wird, und die dabei mit unheilvollen Blick so knapp neben der Kameralinse in unsere Richtung schaut, dass sie beinahe die vierte Wand durchbricht. Da verzeihe ich gerne die eine oder andere Redundanz im Handlungsverlauf, die eine oder andere kitschige Liebesszene zwischen Marina und ihrem Herzblatt Silla, den einen oder anderen ausufernden Nebenschauplatz, wenn der Film in seinen Schlüsselmomenten derlei Grandesse besitzt. Für eine Nation wie Italien, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine genuine Horror-Tradition entwickeln wird und zuvor hauptsächlich durch Realismus und Verismus glänzte, ist das tatsächlich ein schönes Schauerstück geworden...