Malombra - Mario Soldati (1942)
Verfasst: Mi 16. Feb 2022, 19:36
Originaltitel: Malombra
Produktionsland: Italien 1942
Regie: Mario Soldati
Cast: Isa Miranda,Andrea Checchi, Irasema Dilián, Gualtiero Tumiati, Nino Crisman, Giacinto Molteni, Doretta Sestan
1917 stellte Carmine Gallones Adaption eines Romans von Antonio Fogazzaro mit Stummfilmdiva Lyda Borelli in der Hauptrolle eine der ersten Instanzen von etwas dar, das man im weitesten Sinne als „Italo-Horror“ bezeichnen könnte, (zumindest, wenn man, wie ich es getan habe, die ein, zwei Schauerszenen, in denen unsere Heldin vom ruhelosen Geist einer Verwandten „besessen“ wird, unter den pittoresken Landschaftsaufnahmen, den melodramatischen Exzessen und den ausladend-dekadenten Bildkompositionen voller Blumenbouquets, wallenden Kostümen und luxuriösen Inneneinrichtungen herausschält und auf ein Podest hebt). 25 Jahre später, nämlich 1942, widmet sich Regisseur Mario Soldati einem Tonfilm-Remake desselben Stoffs: Als Marina d’Malombra glänzt diesmal Isa Miranda, seinerzeit ein internationaler Filmstar, die in ihren späteren Jahren beispielweise noch in Mario Bavas ECOLOGIA DEL DELITTO zu sehen sein sollte – und die, meiner Meinung nach, dem theatralisch-ekstatischen Schauspiel Lyda Borellis genauso wenig das Wasser reichen kann wie dieses auf weit über zwei Stunden Laufzeit aufgeblasene Epos es fertigbrachte, mich auch nur ansatzweise so zu fesseln wie die 1917er Variante.
Offenkundig ist es, dass Mussolini seinerzeit versucht hat, mit seiner neugegründeten Cinecittà Hollywood Konkurrenz zu machen, - weshalb MALOMBRA auf den ersten Blick wirkt wie ein akkurates Amalgam all der familienträgodischen und herzschmerzenden Sujets, die jenseits des Großen Teichs zelebriert wurden. Leider übernimmt MALOMBRA aber auch all diejenigen Elemente des Klassischen Hollywoods, mit denen ich mich nie habe anfreunden können: Die Kinematographie ist sehr zurückhaltend, stellenweise beinahe steril; die Story entwickelt sich zähflüssig und versandet zuweilen in reichlich redundanten Seitenplots; es ist ein gefälliges Kino, dem sich Soldati hier verschreibt, eins, das Worte wie Subversion oder Transgression nicht mal buchstabieren könnte, wenn man sie ihm in Großbuchstabentransparenten vor die Nase hielte, (wohingegen es im 1917er MALOMBRA ja zumindest, wie gesagt, die eine oder andere mimische Entgleisung Borellis gibt oder den einen oder anderen morbiden Einfall, der nach welkenden Blumen riecht.)
Die Story ist aus dem Vorgänger bekannt: Marina d’Malombra verwaist, wird von ihrem Onkel Cesare d‘Omergo aufgenommen, der einen Herrschaftssitz am Comer See bewohnt. In einem Spinett findet unsere Helfin Briefe der ersten Frau von Cesares Großvater, Cecilia, die in äußerst suggestivem Ton verfasst sind: Wer diese Schriftstücke findet, der soll mich rächen! usw. Denn Cecilia wurde, da sie sich in einen andern Mann verguckte, von ihrem Gatten sowie dessen Mutter für irrsinnig erklärt und bis zu ihrem Tod in jenem Zimmer eingesperrt, wo Marina nun residiert. In ihrer Einsamkeit und unter der Aussicht, dass sie Cesares Obhut erst verlassen darf, wenn sie den Mann ehelicht, den der Onkel für sie ausgesucht hat, steigert sich Marina immer mehr in Cecilias Schicksal hinein, verschmilzt schließlich gar mental mit der rachsüchtigen Toten und möchte deren letzten Wunsch in die Tat umsetzen: Sämtliche lebenden männlichen Nachkommen derer von d’Omergo sollen mit ihrem Leben für das an Cecilia begangene Unrecht büßen…
Zugegeben, die Handlung ist komplexer ausgefallen als im Original, (und damit höchstwahrscheinlich dichter am zugrundeliegenden Roman, den ich bislang noch nicht gelesen habe): Viel Zeit wird darauf verwendet, das Verhältnis zwischen den einzelnen Figuren zu beleuchten, (dass Marinas Verlobter Silla der Sohn einer alten Freundin von Marinas Onkel ist, wird im 1917er Film beispielweise völlig unter den Tisch gekehrt); das heißt indes aber auch, dass mindestens ein Drittel der Länge dafür herhalten muss, für die eigentliche Geschichte überflüssige Nebenstränge zu bebildern, namentlich zum Beispiel die Suche eines Hausgastes von Marinas Onkel namens Steinegge nach seiner ohne ihn aufgewachsenen Tochter. Immerhin: Wo die 1917er Fassung eher im Subtext abhandelt, dass sowohl Marina wie Cecilia Opfer eines mit eiserner Faust regierenden Patriarchats sind, wird dieser Punkt im 1942er MALOMBRA mehr als deutlich veranschaulicht, denn Marinas Onkel Cesare wird unverblümt als einer der unsympathischsten Vertreter seines Geschlechts gezeichnet, der nahezu vollkommene Kontrolle über das Leben unserer Heldin zu erlangen sucht. Solche progressiven Tendenzen, denen man mit etwas gutem Willen vielleicht gar eine sachte feministische Perspektive unterschieben könnte, zertrampelt MALOMBRA dann aber im Finalakt wieder, wenn der Film plötzlich die Erzählhaltung wechselt und uns die Ereignisse des letzten Drittels beinahe ausschließlich aus dem männlichen Blickwinkel Sillas vor Augen führt: Der 1917er Film war demgegenüber einzig und allein auf Lyda Borelli zugeschnitten.
Erheiternd immerhin ist eine ellenlange Sequenz gegen Ende, wenn sich ein Geistlicher plötzlich berufen fühlt, zumindest verbal Sherlock Holmes zu spielen, und plotfremde Tiraden darüber hält, wer Cesare denn so erschreckt haben könnte, dass der Graf davon paralysiert worden ist: Für ein paar Minuten wird MALOMBRA zum geschwätzigen Whodunit, obwohl wir freilich längst wissen, dass Marina ihrem Onkel den Schreck seines Lebens eingejagt hat, und obwohl die privatdetektivischen Ambitionen des Klerikers zu keinem späteren Zeitpunkt mehr aufgegriffen werden. Einige hübsche Schüsse auf den Comer See lasse ich mir auch noch genauso gefallen wie eine (kurze) Szene, in der Marina wie im Wahn auf dem Klavier klimpert. Aber sonst ist das für mich weitgehend uninteressantes Derivats-Kino, das sich an Hollywood dranhängt, ohne eine eigene Vision zu entwickeln, und mir dafür Schlaftröpfchen in den Abendtee träufelt, als solle ich mit mangelndem Esprit vergiftet werden…