Vampires in Italian Cinema 1956-1975 - Michael Guarneri (2020)
Verfasst: Di 22. Feb 2022, 14:45
Was für eine wunderbare Dissertationsschrift, die Northumbria-University-Absolvent Michael Guarneri hier bei der Edinburgh University Press vorgelegt hat!
Mit einem erfrischenden Positivismus nähert er sich seinem Korpus an insgesamt 33 Filmen zwischen 1956 und 1975, sprich, dem Goldenen Zeitalter des italienischen Kinos, in denen allesamt Vampire und Vampirinnen meist größere, zuweilen kleiner Rollen innehaben. Angefangen bei Riccardo Fredas und Mario Bavas I VAMPIRI, dem 1956er Startschuss für ein genuin stiefelländisches Horrorkino, über die einschlägigen Klassiker von - erneut - Freda, Bava, Margheriti bis hin zu Peplum-Horror-Hybriden à la ROMA CONTRO ROMA oder ERCOLE AL CENTRO DELLA TERRA, avantgardistisch angehauchten Arthouse-Schockern wie Corrado Farina HANNO CAMBIATO FACCIA oder Genre-Parodien wie Lucio Fulcis IL CAV. COSTANTE NICOSIA DEMONIACO, OVVERO: DRACULA IN BRIANZA nähert sich der Autor seinem sinnvoll eingegrenzten Untersuchungsgegenstand unter zwei Hauptgesichtspunkten: 1) Der Frage, was die vampirischen Figuren in besagten Filmen unter Gender-Aspekten über das Geschlechterverhältnis im patriarchalen Italien zwischen unmittelbarer Nachkriegszeit, ökonomischem Boom und 68er Kulturrevolte erzählen, sowie 2) Der Frage, was man anhand der ins Auge gefassten Filme über die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen Realitäten des Produktionslandes zu erfahren vermag, sprich, ganz im Sinne Kracauers: Wie sich die außerfilmische Wirklichkeit bewusst oder unbewusst in ästhetischen Artefakten spiegelt.
Länger Exkurse zu den Kontexten, in denen Guarneri die Streifen verortet, - zum Beispiel die Spezifika italienischer Filmproduktion nach 1945 oder die Virulenz vampirischer Metaphorik in linkspolitischen Diskursen von Marx über Marcuse bis Pasolini – sind als Grundierung der filmischen Feinanalysen nicht nur vonnöten, sondern bieten dem interessierten Leser in kompakter Weise harte Fakten, die sich, wie der Autor luzide aufzeigt, mehr oder minder direkt in den betrachteten Werken wiederfinden lassen. Besonders gelungen ist zum Beispiel das Kapitel, in dem Guarneri mit Vampir-Gestalten auftrumpfende Pepla nach Referenzen auf Mussolini-Faschismus und Kriegserfahrung abklopft. Ebenso nur loben kann ich es, was der Autor so alles an die ökonomische Situation Italiens in den 50ern betreffendem Subtext aus einem auf den ersten Blick harmlos-naiven Spaß wie Stenos TEMPI DURI PER I VAMPIRI hervorkitzelt, und wenn im Abschnitt zu Farina dieser viel zu unbesungene Meisterregisseur in Form von Exzerpten aus einem Interview, das Guarneri kurz vor seinem Tod mit ihm geführt hat, gar selbst Wort zu kommt, wüsste ich wirklich nicht, was ich an dieser fundierten Studie großartig bemängeln sollte.
Ergänzt wird das Ganze übrigens noch von einem Appendix, in dem drei Filmprojekte vorgestellt werden, die es (leider) nie über die Planphase hinausgeschafft haben, von einer umfassenden, fast vierzig Seiten einnehmenden Bibliographie, einem Verzeichnis all der Archive, in die Guarneri sich auf der Suche nach brisanten Originaldokumenten gestürzt hat, sowie einer Handvoll Photographien, aus denen eine hervorsticht, in der man Mario Bava beim Herumalbern am Set von LA MASCHERA DEL DEMONIO sehen kann. Wäre doch nur jede Veröffentlichung zum Italo-Genre-Kino mit solch einer Ernsthaftigkeit, mit solchem Scharfblick, mit solcher sprachlichen Eloquenz gesegnet...