Stray - Elizabeth Lo (2020)
Verfasst: Mi 20. Apr 2022, 08:23
Originaltitel: Stray
Produktionsland: USA 2020
Regie: Elizabeth Lo
Cast: Straßenhunde auf den Gassen Istanbuls
2016 dreht Ceyda Torun mit KEDI eine Dokumentation über Istanbuler Straßenkatzen; 2019 widmen sich Elsa Kremser und Levin Peter in SPACE DOGS dem Alltag von Straßenhunden in den Vororten Moskaus; und 2020 erscheint mit Elizabeth Los STRAY ein Film, der wirkt wie eine Zusammenführung der beiden vorherigen Werke: Erneut ist Istanbul der Schauplatz, nur stehen diesmal nicht herrenlose Miezen im Mittelpunkt, sondern Straßenhunde, die aufgrund eines speziellen türkischen Gesetzes weder misshandelt noch eingefangen werden dürfen, und somit in größtenteils friedlicher Ko-Existent mit den Bürgern und Bürgerinnen der türkischen Hauptstadt leben.
Dabei erinnern das Sujet und der Umstand, dass auch Elizabeth Lo die Kamera gerne auf Augenhöhe ihrer hündischen Protagonisten bringt, die Welt aus deren Perspektive zu zeigen versucht, ihre Linse dicht an die feuchten Lefzen, das verfilzte Fell, die wedelnden Schwänze heranführt, viele der Bilder natürlich unweigerlich an SPACE DOGS. Allerdings fehlt STRAY dessen kompromisslose Härte sowie der Versuch, die Geschichte zweier Moskauer Straßenhunde in eine breitere Geschichte der Beziehung Mensch und Hund einzubetten, (im Falle SPACE DOGS: die Geschichte von Tierexperimenten im Zuge der sowjetischen Raumfahrtforschung). Eine der schrecklichsten Szenen in SPACE DOGS ist sicherlich die, in der unsere vierbeinigen Helden einer Katze nachstellen, sie schließlich erwischen und nicht etwa sogleich töten, sondern minutenlang mit dem verwundeten Tier ein brutales Spiel treiben – eine Szene, bei der Kremser und Levin schonungslos draufhalten. Auch in STRAY erscheinen manchmal die Kätzchen, die wir aus KEDI kennen, im Bild, doch kommt es nie zum Äußersten: Entweder nehmen die Hunde erfolglos die Verfolgung auf oder ein Schnitt erspart uns das Wissen darüber, was wohl passiert sein könnte, wenn sie eine der Straßenkatzen zwischen die Kiefer bekommen hätte. Der Ansatz Elizabeth Los ist vielmehr ein poetisch-humanistischer – was ihren Film wiederum KEDI angleicht. Wie Ceyda Torun ist Lo daran interessiert, nicht so sehr die Ungerechtigkeiten aufzuzeigen, denen Straßenhunde durch Menschen ausgesetzt sind. Stattdessen hat ihr Film beinahe etwas Utopisches darin, dass er sich, eben genauso wie KEDI, darauf konzentriert, uns vorzuführen, wie sich die Istanbuler Bevölkerung um ihre Straßenhunde kümmert: Auch wenn mal ein Hund mitten im Eingang eines Cafés liegt und döst, ist der Besitzer ganz behutsam darin, das Tier aufzuscheuchen, damit ein Lieferant mit Wasserflaschen die Schwelle passieren kann; zwischendurch führt ein Vater seine kleine Tochter an eine Hündin heran, um ihr die Angst vor den Tieren zu nehmen, lässt sie Leckerlis verteilen, kurz das Fell berühren; und überhaupt sind unsere insgesamt drei animalischen Helden zumindest nachts in Gesellschaft einer Gruppe Ausgestoßener, mit denen sie eine freundschaftliche Zweckgemeinschaft bilden: Es handelt sich um eine Gruppe jugendlicher Flüchtlinge aus Syrien, die sich illegal in Istanbul aufhalten, Klebstoff schnüffeln, um ihre Perspektivlosigkeit zu ertragen, sich damit über Wasser halten, dass sie am Strand Touristennepp verkaufen oder auch mal kleinere Diebstähle unternehmen, und die die Hunde wie selbstverständlich als Haustiere adoptieren, mit ihnen im Arm einschlafen, ihnen zu fressen geben, in kurzen Anflügen kindlicher Unbeschwertheit mit ihnen herumtollen. Am Ende sind die Hunde gewissermaßen aber auch schuld daran, dass die syrischen Teenager von der Polizei verhaftet und (mutmaßlich) in ihre Heimat abgeschoben werden: Die Jungen erfahren von einem Wurf Welpen, der in einem umzäunten Bereich des Hafengebiets geboren worden ist; es hilft nichts, beim Nachtwächter zu betteln und flehen: Ich darf euch die Hündchen nicht rausgeben, nicht ein einziges!; also brechen die Buben kurzerhand auf das Gelände ein und stibitzen sich einen Welpen – worauf die Istanbuler Polizei auf den neugeborenen Hund aufmerksam wird, die Personalien der Kids kontrolliert, und deren Schicksal ihren Lauf nimmt. Quasi beiläufig liefert Elizabeth Lo durch diesen Subplot durchaus unbequeme Einblicke in verdrängte gesellschaftliche Randzonen, die beispielweise KEDI vollends ausspart; nichtsdestotrotz verweilt ihr Fokus aber konsequent auf dem Alltag der Hunde, der auch nach Verhaftung ihrer Freunde aus Syrien in exakt denselben ästhetisierten Bildern weiterläuft wie bisher: Man schlummert mitten in der Fußgängerzone; man besucht Läden, wo man weiß, dass es dort Almosen für einen gibt; man hält Ausschau, ob nicht irgendwo eine Katze zu jagen ist; man reinigt einander gegenseitig den Pelz; man hat – (in einer der komischsten Szenen des Films) – Sex während einer Demonstration für Frauenrechte, worauf eine ältere Dame die Hunde auseinandertreibt: Ihr Schweine, hört sofort auf damit!
STRAY ist nicht so niederschmetternd wie SPACE DOGS und nicht so lyrisch wie KEDI, trotzdem ein schöner Brückenschlag zwischen beidem.