Die Bourne Identität - Doug Liman (2002)
Verfasst: So 3. Jul 2022, 06:19
Die Bourne Identität
The Bourne identity
USA/Tschechien/Deutschland 2002
Regie: Doug Liman
Matt Damon, Franka Potente, Clive Owen, Chris Cooper, Adewale Akinnuoye-Agbaje, Julia Stiles, Brian Cox, Anthony Green, Roberto Bestazzoni, Walton Goggins, Jimmy Jean-Louis, Delphine Lanson
OFDB
Es müsste so gegen Ende der 80er gewesen sein, als ich Der Borowski Betrug von Robert Ludlum das erste Mal las. Ich kannte schon einige seiner Bücher, aber sowas wie dieser Roman war noch nicht dabei gewesen. Ein Überhammer von einem Agentenroman, der eine unsagbar spannende Grundkonstellation in düsteren Farben genüsslich vor dem Hintergrund europäischer Städte entspinnt. Großartige Charaktere, spannende Action, ein grandioser Schreibstil – Ludlum war damals für mich der Größte, und konnte das dann mit Romanen wie Der Matarese Bund noch vertiefen, bis heute mein Lieblingsroman von Ludlum.
Vor kurzem habe ich Der Borowski Betrug mal wieder gelesen, mehr als 30 Jahre nach dem ersten Mal. 30 Jahre, in denen ich Ludlum auf eine Stufe gestellt habe mit moderneren Autoren wie Arne Dahl oder Jussi Adler-Olsen. Bei dieser Zweitlesung war ich nun nicht unbedingt enttäuscht, aber ich habe mich ein paar Mal doch einigermaßen durch die Seiten quälen müssen. Schier endlose Dialoge über ein offensichtliches Trauma, viel Selbstmitleid beim Helden, und vor allem die unaufhörliche Schleife von Codewörtern, die dem Helden immer und immer wieder im Kopf herumgeistern, drücken nach und nach das Interesse am Schicksal des Helden ein wenig nach unten. Dazu ein paar offensichtliche Logiklöcher, und irgendwann während des Lesens passierte es, dass ein Held entzaubert wurde. Spannend war vor allem, dass ich den Roman überhaupt nicht in Übereinstimmung bringen konnte mit dem großartigen Film, den ich nun schon einige Male gesehen habe, und der mich jedes Mal aufs Neue begeistert. Ein Vergleich musste her …!
Der Roman handelt im Wesentlichen davon, dass der Agent Bourne (in der deutschen Übersetzung Borowski) als Gegenstück zum Terroristen Carlos aufgebaut werden soll, der vor allem in den 70er-Jahren, aber auch noch im folgenden Jahrzehnt, der meistgesuchteste Terrorist der Welt war. Bourne soll unter dem Namen Caine Morde, die Carlos begangen hat, für sich beanspruchen, und Carlos somit herausfordern. Nach einem Attentat in Marseille wird Bourne mit einer Kugel im Kopf in das Mittelmeer geworfen, dort aber von Fischern entdeckt. Er hat eine Amnesie, und versucht nun, seine wahre Identität zu finden, sich seine eigene Vergangenheit wieder bewusst zu machen, und gleichzeitig auch Carlos zu stellen, der nach wie vor Jagd auf ihn macht. Dabei wird ihm von der Wirtschaftswissenschaftlerin Marie geholfen, einer Kanadierin, die er in Zürich als Geisel nimmt um einer Falle zu entgehen, und mit der er in ein Verhältnis taumelt.
Der Film unterschlägt nun den gesamten Erzählstrang um Carlos, und zaubert stattdessen einen unausstehlichen afrikanischen Diktator aus dem Hut, den Bourne töten sollte, und anstatt von Terroristen wird Bourne von den Sicherheitsleuten dieses Diktators angeschossen und fällt ins Meer. Wiederum wird er von Fischern gefunden, hat eine Amnesie, und versucht nun herauszufinden wer er eigentlich ist. Gejagt wird er von seinem eigentlichen Auftraggeber, der CIA, die nicht gewillt ist einen unkontrollierten Killer in Europa frei herumlaufen zu lassen, und Bourne einen Haufen Auftragsmörder auf den Hals hetzt. Hilfe bekommt er von der deutschen Herumtreiberin Marie, die er mit 20.000 Dollar ködert, damit sie ihn von Zürich nach Paris fährt, was allmählich zu einer ganz zarten Romanze führt.
Robert Ludlum war als Executive Producer bei der Verfilmung seines eigenen Romans dabei, hat also die Änderungen folgerichtig alle abgesegnet. Änderungen, die dem Film sehr gut getan haben! Denn es ist klar, dass im Jahre 2002 ein einstiger Topterrorist keinen mehr hinter dem Ofen hervorholen kann. Der 11. September 2001 hat in Bezug auf grausame Ermordungen Unschuldiger ganz andere Maßstäbe gesetzt, und Al-Qaida war zum Veröffentlichungszeitpunkt des Films in aller Munde. Ein kleiner dicker Venezolaner, der vor mehr als 30 Jahren mal eine große Nummer war, das interessierte 2002 doch überhaupt keinen mehr. Zudem hätte dieser Plot eine sehr hohe Komplexität ins Spiel gebracht. Eine Komplexität, die in einem Roman erheblich besser verarbeitet werden kann als in einem Film, auch wenn er knapp zwei Stunden dauert.
Ein Film funktioniert halt einfach anders als ein Buch, und weil Ludlum dies erkannt hat, ist DIE BOURNE IDENTITÄT weder ein unrealistischer James Bond-Verschnitt geworden, noch ein rückwärtsgewandter Schnarchnasenagentenfilm. Stattdessen hat BOURNE dazu beigetragen, den modernen Actionfilm mit aus der Taufe zu heben. Neben realistischen Figuren sind es vor allem die Action mit Zeitraffer und die hektischen Schnitte, die zwar erst mit dem zweiten Teil DIE BOURNE VERSCHWÖRUNG als durchgehendes (und oftmals nerviges) Stilmittel eingesetzt wurden, die aber auch hier bereits zur Genüge vorhanden sind. Doch im Gegensatz zum zweiten Teil findet IDENTITÄT eine perfekte Balance zwischen altmodischer Over-theTop-Action und modernem Schnittgewitter. Was ich mit altmodischer Action meine? Damit meine ich zum Beispiel eine Autoverfolgungsjagd durch Paris, die gleichermaßen CHARLIE STAUBT MILLIONEN AB und LEBEN UND STERBEN IN L.A. zitiert: Mit einem alten und heruntergekommenen Mini quer durch Paris. Keine CGIs, keine fliegenden Autos, einfach nur eine gute und altmodische Verfolgungsjagd durch die Gassen und über die Boulevards einer Großstadt, das meine ich. Keine Spielereien mit Handys und Kommunikationstechnologien, sondern Männer mit Fäusten und Schusswaffen im Kampf einer gegen den anderen. Und einen Helden, der seelenruhig eine Hausfassade herunterklettert, nachdem er im gleichen Gebäude ein ziemliches Chaos angerichtet hat. Keine übermenschlichen Stunts, und vor allem keine (oder zumindest keine erkennbaren) Computer-Effekte, sondern gute alte handgemachte Action- und Stuntarbeit. Bei den Aufnahmen war Alain Figlarz für die Stunts zuständig, und dass der weiß wie so etwas funktioniert kann jeder bestätigen, der schon mal einen französischen Actionfilm der letzten 30 Jahre gesehen hat.
Von den gesehenen Bourne-Filmen halte ich IDENTITÄT aus den genannten Gründen für den stärksten. Bourne (die Person) ist zwar unbesiegbar, weiß alles und kann alles, aber durch seine Amnesie wirkt er schwach und verletzlich, was ihn sympathisch macht. Ein Faktor, der in den Nachfolgern ein wenig untergeht. Zudem hat er in diesem Film eine Menge Mörder am Hacken die ihn jagen, ohne dass er eigentlich weiß warum. Ein Umstand, der ihm wiederum unsere Sympathien einbringt, während er in den nächsten Filmen eher im Angriffsmodus agiert. Aber dieser freundliche Assassine, in Verbindung mit der erwähnten erstklassigen Action und den überhaupt nicht ultramodernen Schauplätzen, das ist einfach starkes Actionkino, das den Spagat zwischen einer anständig erzählten Story und herausragend inszenierter Ballerei ziemlich perfekt hinbekommt. Im Gegensatz zum nicht so dolle gealterten Roman und mit einem Wort: Zeitlos!
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8/10