Schwein bleibt Schwein - Chanan Šmajin (1931)
Verfasst: So 14. Aug 2022, 22:36
Originaltitel: Свині завжди свині
Produktionsland: Ukraine 1931
Regie: Chanan Šmajin
Cast: Erast Garin, Ivan Tverdochlib, Marija Maksakova, Borys Bezgin, Fedir Nikitin
Der obskurste Film der diesjährigen Bonner Stummfilmtage dürfte wahrscheinlich die ukrainische Satire STANTSIIA PUPKY aus dem Jahre 1931 sein.
Die Grundprämisse klingt bereits, wie maßgeschneidert für mich: Ein junger Wissenschaftler soll zwei schwangere Meerschweinchen per Zug zu einer Bakteriologischen Forschungsinstitut bringen, wo irgendwelche nicht näher erläuterten Experimente auf die Guinea Pigs warten. Seine Mitreisenden jedoch sind von den „Ratten“, wie sie sie schimpfen, wenig begeistern, - zumal die Meersäue gerne auch mal aus ihrem Käfig ausbüxen und an Bord für Unruhe sorgen. Unruhe rufen derweil auch zwei weitere Schweine hervor, diesmal jedoch welche von der Sorte „Domestiziertes Hausschwein“, die sich unbefugt im Gleisbett des Bahnhofs Pupky aufhalten, den der Zug passieren muss. Bis die Tiere eingefangen sind und die Strecke wieder frei ist, legt die Lok eine unvorhergesehene Rast ein, und die Reisenden nutzen ihre Chance, das Pupky-Personal – einen aufschneiderischen Bahnhofvorsteher nebst seinem trotteligen Assistenten – darauf hinzuweisen, dass der Jungforscher sein Getier als Handgepäck mit sich führt. Dies setzt nun eine wahre Lawine an bürokratischen Feinheiten in Gang, da niemand der Verantwortlichen so recht weiß, wie die Meerschweinchen denn nun deklariert werden sollen – und wie es sich für eine ordentliche Lawine gehört, häufen sich die Turbulenzen, die Hinrissigkeiten, die Katastrophen, als das Bahnhofspersonal-Duo eine Möglichkeit erkennt, aus dem Meerschweinchen-Fall eigennützigen Profit zu schlagen, als ein Waggon mit Saatgut, das eine junge Frau eigentlich zur Aussaat zu ihrer Kolchose befördern sollte, führerlos im Nirgendwo verschwindet, als sich letztlich gar eine Kommission aus der nächsten Stadt auf den Weg macht, um das Chaos der Pupky-Station in Augenschein zu nehmen, und für die entsprechenden Konsequenzen zu sorgen.
Ein bisschen erinnert der zwar spitzzüngige und ungestüme, jedoch niemals in plumpen Klamauk abdriftende Tonfall dieses kurzweiligen Streifens an jene Episode in LES DOUZE TRAVAUX D’ASTÉRIX, wo unsere gallischen Freunde dem berühmt-berüchtigten Passagierschein A38 hinterherjagen. Es hat gar etwas Kafkaeskes, wenn beispielweise die erwähnte junge Frau zahllose Institutionen abklappern muss, um endlich jemanden zu finden, der sich für zuständig erhält, ihr über den Verbleib ihres Saatguts Auskunft zu geben, und es karikiert unmissverständlich autoritäre Strukturen, hirnloses Machtstreben, geistlose Intoleranz, wie der Bahnhofschef, sein Sidekick und ihr Verhältnis zueinander gezeichnet werden. Erfreut bin ich zwar nicht über den kurzen Moment, in dem eins der Hausschweine am Bein gepackt und ein Stück über die Gleise gezerrt wird, dafür gibt’s zahllose Großaufnahmen süßer Meerschweinchen, eine wenig strenge, wenig formalistische, vielmehr agile und lebhafte Mise en Scène sowie einen subtilen Schlussgag mit einer ziemlich klugen, ziemlich witzigen Zeitlupensequenz. Kurios ist nicht zuletzt die Fassung, die in Bonn über die Leinwand flimmerte: Diese nämlich wurde erst 2015 zufällig im Bundesarchiv aufgestöbert; bis dato galt STANTSIIA PUPKY als verschollen. Kurios ist sie deshalb, weil sie über einen deutschsprachigen Vorspann verfügt, in dem ein Textband darüber aufklärt, dass das Reichsministerium nachfolgenden Film eigentlich nicht zur Kinoauswertung freigegeben habe, man ihn nun aber dennoch quasi in einer geheimen Sitzung zu sehen bekomme, allerdings im Anschluss niemandem von der Existenz des Streifens erzählen solle, - (Zitat: "Es ist unter allen Umständen untersagt, Außenstehenden von dieser Vorführung und dem Inhalt des Films Kenntnis zu geben.") - ein Gelübde, das ich hiermit nunmehr dummerweise gebrochen habe.
Bis morgen Abend könnt ihr diese selbsternannte "Filmkarikatur in fünf Akten" noch kostenlos auf der Seite der Bonner Stummfilmtage streamen; dann wird sie hoffentlich bald in einer ordentlichen DVD-Edition mit anderen frühen Klassikern des ukrainischen Kinos für den Heimgebrauch zugänglich gemacht:
https://filmfestival.culturebase.org/de_DE/films/schwein-bleibt-schwein.21124