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Baal - Volker Schlöndorff (1970)

Verfasst: Fr 30. Sep 2022, 06:26
von Maulwurf
 
Baal
Deutschland 1970
Regie: Volker Schlöndorff
Rainer Werner Fassbinder, Sigi Graue, Margarethe von Trotta, Günther Neutze, Hanna Schygulla, Marian Seidowsky, Irmgard Paulis, Wilmut Borell, Christine Schuberth, Walter Sedlmayr, Günther Kaufmann, Miriam Spoerri, Johannes Buzalski, Carla Egerer, Michael Gempart, Peer Raben, Jean Launay, Andrea Brüdern, Claudia Butenuth, Harry Baer, Irm Hermann, Rudolf Waldemar Brem, Sigi Sommer, Herbert Rimbach, Ulf-Jürgen Wagner, András Fricsay Kali Son, Wilhelm Grasshoff, Sabine von Maydell, Eva Pampuch


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OFDB

Baal. Gefeierter Dichter der Hochkultur, rebellischer Underground-Poet der miesesten Kaschemmen. Deklamatorische Zeilen, hochtrabende Kunst einerseits, miese und realistisch-abgefeimte Menschen andererseits. Ein erschreckendes Sittenbild zwischen 1918 (der ersten Version) und 1970 (dem Film). Ein frühes Theaterstück von Bertold Brecht, gefilmt nicht, wie damals üblich, mit statischer Kamera, sondern dynamisch und beweglich, voller Querverweise und als Konglomerat der verschiedenen Versionen des ursprünglichen Stücks.

Schlöndorff wollte damals kein Theater abfilmen, und er wollte auch nicht eine Theaterszenerie in Filmkulissen drehen. Was immer BAAL auch geworden ist, und wie immer man zu diesem Film auch stehen mag, aber eines ist BAAL nicht geworden: Theater.

Aber was ist BAAL denn? Vom cineastischen Standpunkt her gesehen ist der Film eine Reise in die Abgründe der Unterschichten und der Soziopathen, und fast könnte man meinen, dass Schlöndorff und Fassbinder hier die Trinkerepen eines Uwe Schrader vorwegnehmen. Dem Dichter Baal wird zwar als kommender Messias der Lyrik von der Mäzenerie der Hof gemacht, doch der lehnt das Leben in Saus und Braus, also letzten Endes seine Prostitution an das Kapital, rundweg ab, und geht lieber weiterhin in die miesen und billigen Kneipen. Saufen, vögeln, mit Menschen spielen und sie brechen, das ist seine Welt. Er demütigt Johanna, die darum ins Wasser geht. Er schwängert Sophie und stößt sie eiskalt von sich. Einzig sein Freund Ekart darf bei ihm bleiben, denn Baal begehrt Ekart. Aber als Ekart mit einer Frau rummacht, bricht sich die Eifersucht bei Baal Bahn und es kommt zu einer Tragödie.

Brechts Witwe Helene Weigel hatte sicherlich Recht, dass eine Lederjacke und eine Kippe im Mundwinkel keinen Bertolt Brecht machen. Aber wollten Schlöndorff und Fassbinder denn Brecht darstellen? Ich glaube nicht – Fassbinder stellt sich selber dar, er zieht, wie Schlöndorff es in der Rückschau ganz richtig feststellt, die Rolle an sich und macht sie zu einem Spiegel seiner selbst. Wir sehen hier nicht Brecht und auch nicht Baal, wir sehen Fassbinder in seinem Kampf gegen die etablierte Kultur und gegen das meinungsformende Bildungsbürgertum. Gegen starre Leitplanken in der Kunst und gegen eine bornierte und beengende Gesellschaft. Ein Künstler, der tief in sich alles an Kunst findet was er braucht, und der diese seine Kunst in die Welt hinausschreit wie ein François Villon und vor Lebenslust schier platzt.

Dazu gibt Schlöndorff den Brecht’schen Originaltext vor, und fertig ist ein cineastisches Erlebnis der etwas anderen Art. Wie wenn die Figuren bei Uwe Schrader in Versen und Gedichten sprechen. Wie wenn Gosse und Hochkultur sich vereinigen, nur ohne die meist dazugehörige Prostitution der Kunst und ohne den nachfolgenden qualitativen Abfall. Wie Punk, nur auf einem anderen literarischen Niveau.

BAAL kann man als hochartifizielles Kunstkino ansehen, das mit dem wahren Leben nichts zu tun hat, dieses aber ständig beschwört und sich somit selbst ad absurdum führt. BAAL kann aber auch als spannendes Experiment zwischen Rinnstein und Champagner angesehen werden, in dem einige der herausragenden Schauspieler aus Fassbinders Anti-Theater viel zu kurze Rollen haben und eine völlig eigene, an der bedingungslosen Realität angelehnte, Welt erschaffen. Eine Bewertung ist in jedem Fall nicht möglich, dazu ist dieser Film zu … Vielschichtig. Brachial. Zart. Und vor allem viel zu eigen. Klare Empfehlung für alle, für die Film mehr ist als nur eine Abfolge von Schießereien und Explosionen.

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Interessante Hintergrundinformationen zur Verfilmung gibt es in der Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Baal_(1970)

Und spannenderweise ist mir dieses Lied seit der Sichtung nicht mehr aus dem Kopf gegangen:


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