Night People. Menschen die man nicht sieht. Die unsichtbar sind. Die nur in der Nacht arbeiten um ihren Geschäften möglichst unbeobachtet nachgehen zu können. Van Dyke, der ein geheimes, ein unsichtbares Netz von Kontakten und Informanten in beiden Teilen der Stadt unterhält und versucht, die Dinge nicht eskalieren zu lassen. Seine Mitarbeiterin „Hoffy“ Hoffmeier (Anita Björk), die ebenfalls in beiden Teilen der Stadt zuhause ist; in dem anderen Teil möglicherweise ein bisschen zu sehr. Der russische Verbindungsmann Petrochine (Peter van Eyck), der den Kontakt zwischen den Geheimdiensten am Laufen hält. Alles bleibt immer im Dunklen, alles bleibt unter der Oberfläche und möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Vor allem die erste halbe Stunde, wenn Leatherby Senior „denen da oben“ mal so richtig Druck machen will und den Russen gute amerikanische Dollars anbieten will denen doch seiner Meinung nach niemand auf der Welt widerstehen kann, diese erste halbe Stunde baut viel Druck auf und skizziert eine Welt im Halbdunkel, in der schnelle Gedanken von noch schnelleren Aktionen abgelöst werden, und niemand wirklich immer sicher sein kann, wer sein Gegenüber denn nun tatsächlich ist. Wo eine Umarmung jederzeit die letzte, und ein Kuss auch ein Judaskuss sein kann, wenn nicht sogar ein Todeskuss.
Das war die gute Nachricht. Die schlechte: Leider bleibt es bei dieser Skizzierung. Nunnally Johnson schafft es leider nicht, die Welt der Agenten und Doppelagenten konsequent mit der meines Erachtens dafür benötigten Düsternis und Zwiespältigkeit zu malen. Beginnend mit einem fröhlich-schmetternden Militärmarsch (der, dafür kann aber der Film nichts, in den 70ern als Musik in der Werbung des Putzmittels „Der General“ verwurstet wurde, und damit zumindest für deutsche Ohren verbrannt ist: Der Klassiker des Sousaphon-Marschs
Stars And Stripes Forever) baut Johnson neben der schnell und sprunghaft erzählten eigentlichen Geschichte immer wieder kleine Episödchen ein, welche die Handlung wahrscheinlich auflockern sollen, tatsächlich aber eine leise Heiterkeit erzeugen, die dem Film nicht gut tut. Dass selbst van Dyke sich mitten in der Arbeit einmal nebenbei nach dem Stand eines Football-Matches erkundigt bremst den Film genauso für einen Moment aus, wie die unhumorigen Monologe von van Dykes Adjutanten McColloch wie Fremdkörper wirken. Denn die Handlung an sich ist spannend und wie geschrieben schnell dargeboten. Viele Aktionen werden gar nicht gezeigt oder oft auch nur erwähnt - was in der ersten Nacht von Hoffys Untersuchung passiert, in der van Dyke erst um 3 Uhr nachts zurückkehrt vom Dienst, das erfahren wir nie - und solche Dinge erzeugen viel Spannung. Gerade weil der Zuschauer in diesem Augenblick nicht mehr weiß als der völlig überrumpelte Leatherby Senior, der sich unvermittelt in einem unüberschaubaren Netz geheimdienstlicher Aktivität wiederfindet.
Auch dass die Worte „Geheimdienst“ oder „Abwehr“ nicht ein einziges Mal verwendet werden tut dem Film gut. Hier wird ebenfalls die Spannung in der Schwebe gehalten, und viele Dinge klären sich im Kopf des Zuschauers erst nach dem Ende des Films, wenn er über das Gesehene nachdenkt. Dann fällt auch erst auf, wie düster das Schicksal von Frau Schindler und ihrem Mann ist – Ein typisches(?) Kriegsschicksal, das mit seinen vielen echten und falschen Ebenen tief in die gnadenlose Welt der Spionage führt, und in Andeutungen einiges an Grausamkeiten bereit hält. Dem gegenüber stehen dann wieder Comic Reliefs wie der Arzt Dr. Malik auf seiner Suche nach einer Zigarette oder die zumindest anfänglich polternde Art Leatherbys mit seinem kapitalistischen Schwung bei dem Versuch, seine Dollars an den Mann zu bringen.
Nunnally Johnson versucht auf diese Weise wahrscheinlich, in eine gute und überzeugend-dunkle Geschichte ein wenig Erleichterung hineinzubringen, und zerstört sich damit das eigene Storytelling. Schade, denn das Nachdenken über das Gesehene lohnt. Wer ist das Ehepaar Schindler wirklich? Wie mag das Leben von Hoffy aussehen, sowohl vor der gezeigten Handlung als auch danach? Bittere Momente, die über Assoziationen einen Schauer erzeugen, und den spannenden Plot erstklassig untermalen. In diesen Momenten ist DAS UNSICHTBARE NETZ ein erstklassiger Noir, der tief in die Schatten hineinführt und dort über verschachtelte Ebenen hinweg geschickt Spannung aufbaut.
Mattthias Merkelbach schreibt über Nunnally Johnsons DIE SPINNE „[..]wie überhaupt Johnsons flinke Dialogsprache an den seelenverwandten Autor und Regisseur [Joseph L. Mankiewicz] gemahnt. Seinerzeit wurde er von den Kritikern dafür abgestraft - zu bühnenhaft, dialoglastig, manieriert und darstellerisch übertrieben.“ (1) Attribute, die auf DAS UNSICHTBARE NETZ teilweise ebenfalls zutreffen, und das Filmvergnügen trotz vieler guten Ideen doch ein wenig trüben. Auf der anderen Seite wird der Zuschauer wieder mit diesem blechernen Militärmarsch verabschiedet, der die Oberfläche mit Knalleffekten zukleistert, und die wahre Arbeit im Untergrund so geschickt übertüncht. Der dafür sorgt, dass ein Geschäftsmann quer durch die Welt jettet, nur um zu verstehen, dass die Arbeit manchmal woanders stattfindet als man denkt.
DAS UNSICHTBARE NETZ ist ein stellenweise recht ambivalentes Vergnügen, dessen Stärken, nämlich die guten Schauspieler und die interessante Geschichte, einer Inszenierung geopfert werden, die nicht immer hält was sie verspricht. Aber es ist auf jeden Fall auch bemerkenswert, dass ich vier Monate nach der Sichtung des Films immer noch darüber nachdenke was ich denn nun eigentlich schreiben soll, weil ich den Film einerseits nicht verteufeln will, und andererseits nicht die richtigen Worte finde um seine Qualitäten herauszustellen. Eben diejenigen Qualitäten, die nicht direkt zu fassen sind, sondern sich erst mit ein wenig Nachdenken einstellen. Wie gute Geheimdienstarbeit eben so ist …
(1)
https://www.der-film-noir.de/v1/node/1248
6/10