Ach du Scheiße! - Lukas Rinker (2022)
Verfasst: Fr 28. Okt 2022, 10:57
Originaltitel: Ach du Scheiße!
Produktionsland: Deutschland 2022
Regie: Lukas Rinker
Cast: Thomas Niehaus, Gedeon Burkhard, Rodney Charles, Olga von Luckwald, Friederike Kempter, Micaela Schäfer
In Nürnberg blättere ich in einem Hotelfoyer in einem Magazin, das allein über die aktuellen Kinofilme der Lebkuchenstadt und des angrenzenden Erlangen berichtet: Irgendein neues Drama mit Til Schweiger, und ein neuer Girlpopbandmusikfilm mit der Darstellerin der Bibi Blocksberg aus den Detlev Buck’schen BIBI&TINA-Abenteuern, und ein neues Sequel oder Prequel von John Carpenters HALLOWEEN, diesmal unter dem resignativen Titel HALLOWEEN ENDS, und, apropos Halloween: George Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD kommt wohl in ausgewählten Kinos in einer frischrestaurierten Fassung auf die Leinwand, und zwar passenderweise just zum Abend vor Allerheiligen. Es dauert nur wenige Minuten, bis ich meinen Kontaktmann in Braunschweig per SMS angefragt habe: Ey, Du hast doch schon vor Jahren DAWN OF THE DEAD an Halloween zu uns geholt, am letzten Abend vorm zweiten Lockdown, wo wir anfangs noch fürchteten, wir würden Punkt Mitternacht aus dem Kino gekehrt werden, weil die verschärften Infektionsschutzregeln ab 1. November greifen. Er antwortet mir, während ich neben Blap im PKW gen Norden sitze: Nein, leider nicht. Der Kinobesitzer habe bereits für einen anderen Film votiert. Er sei machtlos. Ich runzle die Stirn: Was kann noch mehr schmettern als NIGHT OF THE LIVING DEAD an Halloween!? Auf meine irritierte Frage kommt zurück: ACH DU SCHEISSE! Meine Stirnrunzeln werden zu Kratern: Na, komm! Raus mit der Sprache! Wie heißt der Film! So schlimm kann's doch nicht sein!? – Er heißt ACH DU SCHEISSE!, lautet die Antwort, und ich erinnere mich dumpf an ein Gespräch, dem ich mit halbem Ohr bei einer der Mahlzeiten in Nürnberg lauschte, wo eine ortsansässige Dame von einem Streifen berichtete, der alsbald in die Kinos trudeln soll, und der ausschließlich auf einem Dixie-Klo spiele, und weder mit Blut noch mit Exkrementen geize, und, ja, in dem Moment schwant mir Übles…
ACH DU SCHEISSE! ist der Debüt-Langfilm eines gewissen Lukas Rinker, der zuvor einzig eine Handvoll Kurzfilme und eine Miniserie auf dem Kerbholz hat. Fürs diesjährige Braunschweiger Filmfestival wurde der Streifen als potentieller Beitrag eingerichtet, jedoch ohne es letztendlich in die Finalauswahl zu schaffen. Trotzdem ist der Screener noch immer auf der festivaleigenen Plattform verfügbar, wo ich ihn als mindestens fünfzigprozentiges Filmfestvereinsmitglied nach wenigen Klicks aufgespürt habe. Die Kritiken derjenigen Leute im Netz, die das Werk bisher sehen durften, überschlagen sich vor Euphorie: Rotzig, dreckig, frech soll ACH DU SCHEISSE! sein; endlich wieder ein mutiger Genre-Beitrag aus Deutschland!; eine originelle Mixtur aus derber Satire, Echtzeitthriller und feinstem Gekröse! Es dauert weniger als eine halbe Stunde, bis ich mir sicher bin: Nein, nichts davon werde ich unterschreiben können, leider!, stattdessen hänge ich bis über beide Ohren in einer audiovisuellen Toilettenschüssel, und permanent betätigt jemand die Spülung…
Vielleicht sollte ich aber einfach mit dem beginnen, was mich an Rinkers Film begeistert hat. Props bekommt der Regisseur und Drehbuchautor jedenfalls dafür, dass er seinem Konzept von Anfang bis Ende treubleibt, niemals auch nur ansatzweise in Versuchung gerät, es irgendwie aufzuweichen. Konsequent wählt ACH DU SCHEISSE! als ausschließlichen Schauplatz seines Dramas den engen Raum eines handelsüblichen Dixie-Klos, das sodann, je weiter die Handlung voranschreitet, umso mehr Blessuren davonträgt, bis es im Finale quasi kaum noch existiert, und sich unser Held letztlich doch unter freiem Himmel befindet. Dafür, dass der Platz in einem solchen Vehikel naturgemäß recht begrenzt ist, schafft es Rinker doch, sich genügend unterschiedliche Kameraperspektiven und Bildkompositionen aus dem Ärmel zu schütteln, um besagten engen Raum durchweg interessant zu gestalten. Dass wir uns im Prinzip ausnahmslos in einem Radius aufhalten, der nur ein wenig größer sein dürfte als der eines geschlossenen Sargs, ist zumindest mir über weite Strecken des Films nur aufgefallen, wenn ich mich bewusst darauf konzentriert habe. Ebenso versiert zeigt sich Rinker darin, den (unsichtbaren) Raum außerhalb unserer klaustrophobischen Klokammer zu inszenieren: Draußen nämlich wird ein rauschendes Fest abgehalten; der Oberbürgermeister eines bayrischen Städtchen hält eine Ansprache, bittet einen japanischen Investor ans Mikrofon, erläutert in salbungsvollen Worten den Anlass, weshalb Blasmusikkapelle, saufende Gäste und lokale Prominenz zusammengekommen sind: Ein Gebäudekomplex, bei dem es sich um das Elternhaus des Bürgermeisters handelt, soll in die Luft gesprengt werden, und das Areal im Anschluss Bauland für geplante Großprojekte mit fernöstlichen Finanzspritzen hergeben. Von all diesen Reden, von den angezapften Bierfässern, von der volkstümlichen Festzeltstimmung bekommen wir allein auf akustischer Ebene etwas mit – und trotzdem ergibt sich wie von selbst ein recht plastisches Bild dessen, was sich dort an korrupten Politikern, monetenschweren Großinvestoren und weißbiertrunkenem Dorfvolk versammelt haben mag, trotz – oder gerade weil – an unsere Ohren nur das dringt, was vom Festivität an Musik, an Wortfetzen, an sonstigen Geräuschkulissen über den Äther geht. Damit muss ich meine Lobeshymnen allerdings bereits enden, denn, mit Verlaub, diese beiden Elemente tragen ganz sicher nicht einen Spielfilm über neunzig Minuten Laufzeit.
Worum geht es aber eigentlich im Kern? Unser Held heißt Frank und erwacht zu Beginn in einem umgestürzten Dixie-Klo. Wie er dorthin kam? Tja, das weiß der arme Architekt selbst nicht mehr, da er wohl etwas Schweres gegen den Kopf bekommen hat, und eine Kurzzeitamnesie die Folge ist. Was er indes schnell begreift, ist, dass er ziemlich in der Scheiße steckt: Blutüberströmt, mit fremdem Kot und Toilettenwasser bekleckert, außerdem wurde einer seiner Arme von einer Stahlstange aufgespießt, wohl in dem Moment, als die Toilettenkabine durch die Lüfte wirbelte. In anderen Worten: Er ist festgenagelt wie ein Schmetterling in einem Museumsschaukasten. Für den Großteil seiner Laufzeit beschränkt sich ACH DU SCHEISSE! nunmehr auf zwei Handlungsstränge, die parallel ablaufen: A) Je weiter die Ohnmacht von Frank weicht desto mehr lichten sich auch die Nebel seiner Erinnerungen, und er rekonstruiert Stück für Stück die einzelnen Vorkommnisse, die ihn in seine jetzige im wahrsten Wortsinne beschissene Lage versetzt haben: Was ihm derart heftig gegen den Schädel gebretzelt ist? Wer es gewesen ist, der dazu führte, dass ihm dieses Etwas gegen den Schädel bretzelte? In welcher Gefahr seine Verlobte schwebt, und was es mit der gefesselten und geknebelten Frau auf sich hat, die er erblicken hat, wenn er durch eins der Löcher, die er in die Toilettenwand gebohrt hat, nach draußen blickt, sowie B) Frank begreift bald, dass sich das Dixie-Klo inmitten des Geländes befindet, das von Oberbürgermeister Horst beziehungsweise dessen Sprengmeister Bob in einer halben Stunde dem Erdboden gleichgemacht sein werden soll. Im Klartext: Die Uhr tickt, und mit jeder Sekunde nähert sich der förmlich im Dixie fixierte Frank seinem eigenen Ende mit Siebenmeilenstiefeln. Mit den verrücktesten Methoden versucht er also, sich aus seiner misslichen Situation zu befreien, seinen extremverletzten Leib aus der Kabine zu hieven, die Außenwelt auf sich aufmerksam zu machen – und mutiert dabei zu einem blutbefleckten und kotverschmierten McGyver, der sich wie ein Bilderbuch-Bricoleur all der Dinge bedient, die sich in Greifweite aufhalten, um daraus mögliche Hilferufe zu generieren: Da ist sein Handy, das noch funktioniert, jedoch mitten im Sud der Kloschüssel schwimmt, und dessen Tasten er lediglich mit einem Stöckchen notdürftig zu erreichen vermag; da ist ein Häschen, das draußen umherhoppelt, und dem er Karotten aus seiner Brotbox zuwirft, in der Hoffnung, es könne beim Gemüsenagen zufällig das ebenfalls außerhalb der Toilettenkabine entlanglaufende Kabel des Sprengsatzes zerknabbern; da ist ein Feuerzeug und ein Stück Papier, mit dem er einen Brand zu legen beginnt, dessen Züngeln der feiernden Meute nicht verborgen bleiben dürfte, das jedoch im Gegenzug dazu führt, dass Frank beinahe lebendig im Dixie verkohlt. Franks einzige Gesellschaft in diesem Inferno: Ein Smiley auf dem Toilettendeckel, von dem er sich in seiner Verzweiflung einbildet, er würde Konversation mit ihm betreiben. Sehr freundlich sind die Dinge jedoch nicht, die das Grinsegesicht Frank an den Kopf wirft, er verhöhnt vielmehr pausenlos, wie ein besonders bitterböser griechischer Chor, der jede seiner Handlungen auf zynische Weise kommentiert.
Zugegeben, auf dem Papier hört sich das selbst für mich, der ich es besser weiß, recht unterhaltsam an. Jedoch muss ich meine rhetorische Frage wiederholen: Trägt das wirklich ein spielfilmlanges Kammerspiel? Eben nicht, weswegen die Einfälle, die Rinker Frank in den Kopf setzt, die Volten, die er seinem Plot aufoktroyiert, die Situationen, die er sich ausdenkt, um den Drive seines Films konstant hochzuhalten, wenn nicht sogar sukzessive zu steigern, immer abstruser, immer unwahrscheinlicher, immer haarsträubender werden. Ohne irgendetwas vom weiteren Fortgang der (dünnen) Handlung spoilern zu wollen, sei gesagt: Gerade die letzte halbe Stunde erweckt den Eindruck, parodistisch intendiert gewesen zu sein, wobei jedoch ACH DU SCHEISSE! unterm Strich viel zu wenig echtes Humorpotential besitzt, um tatsächlich als schenkelklopfende Komödie oder gar raffinierter Meta-Ulk durchgehen zu können. Andererseits wartet der Film aber ebenso mit zu vielen klamaukigen Einlagen, zu vielen albernen Wendungen auf, um das Etikett eines ernsthaften Thrillers zu verdienen. Mit zunehmender Laufzeit kristallisiert sich vielmehr immer stärker heraus, dass ACH DU SCHEISSE! als kompakter Kurzfilm vielleicht eine launige Sache gewesen wäre, dass er im Spielfilmformat jedoch zum Scheitern verurteilt ist. Dieser arg konstruierte Streifen scheint mir ganz auf einer ursprünglich knackigen Idee zu basieren, die allerdings dadurch, dass man sie über Gebühr ausschmückt und ausdehnt, irgendwann nur noch fade schmeckt, - im Sinne von: Hey, wir wäre es, einen Film zu machen, der einzig und allein auf einem Dixie-Klo spielt, aber mit viel Blut, und viel Ekel, und eine dramatische Love Story muss hinein, und eine Öko-Botschaft, und ein Antagonist, der sich schleichend als ausgekochter Psychopath entpuppt, und ein Protagonist, dessen Leidensfähigkeit ans Übermenschliche grenzt, und von dem von Anfang an klar ist, dass er das Ende heil erreichen wird, und dann, nachdem die eigentliche Story schon nach etwa dreißig Minuten auserzählt wäre, müht man sich krampfhaft, noch eine weitere Stunde mühsam an Handlung drumherum zu stricken, auch auf die Gefahr hin, dass das Hanebüchene neue Maßstäbe erreicht. Im Klartext: Die Hauptfigur besaß für mich wenig bis kein Identifikationspotential; all das Geschmodder wirkte genauso selbstzweckhaft auf mich wie die Einblicke ins Innere von portablen Scheißhäusern; die eröffnende Striptease-Szene von Micaela Schäfer, die man, neben zahlloser Trash-TV-Formate, auch aus dem unsäglichen SKY SHARKS kennt, ringt mir kein müdes Lächeln ab; schauspielerisch konnte mich im Grunde bloß Gedeon Burkhard als Horst überzeugen, vor allem, wenn dieser im letzten Akt jedwede Contenance in den Wind bläst, und zum irre gackernden Psychokiller mutiert; demgegenüber bleiben die (möglicherweise angedachten?) gesellschaftskritischen Ansätze, die (angerissene) Umweltthematik, die (hauchzart angedeuteten) Einblicke in die Psyche des Antagonisten beim Skizzenhaften stehen, und weichen bereitwillig umherfliegenden Leichenteilen, Fluten an Toiletteninnereien, Blutverlustströmen, bei denen jeder normaler Sterbliche spätestens nach fünf Minuten bewusstlos zusammensinken würde - und das Ganze schnell geschnitten, cool gestylt präsentiert, als sei's nun wirklich the latest shit...
Puh, NIGHT OF THE LIVING DEAD zu Halloween wäre gewiss geiler gewesen. Der spielt ja auch auf engem Raum und beinhaltet schockierende Szenen, hat aber einen ungleich intelligenteren Subtext und eine wesentlich verstörendere Wirkung.