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Der Colt aus Gringos Hand - Tulio Demicheli (1967)

Verfasst: Mo 13. Mär 2023, 12:00
von sid.vicious
DER COLT AUS GRINGOS HAND

Originaltitel: Un hombre y un colt
Regisseur: Tulio Demicheli
Kamera: Emilio Foriscot, Oberdan Troiani
Musik: Coriolano Gori, Ángel Oliver
Drehbuch: Tulio Demicheli, Vicente Maldonado, Nino Stresa
Darsteller: Claudio Undari, Fernando Sancho, Mirko Ellis, Gloria Milland, Marta Reves, Jacinto Martín, Paco Morán, Félix Dafauce, Antonio Mayans, Luis Gaspar, Raf Baldassarre, Vittoria Di Silverio, Ana Carvajal, Emilio S. Espinosa, Giovanni Petrucci, José Canalejas, Jesús Guzmán, Simón Arriaga, Josefina Serratosa, Ramón Serrano

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Der Berufskiller Dakota Joe hat erneut bewiesen, dass man mit ihm keine Spielchen treiben kann ohne anschließend ungeschoren davon zu kommen, was zwei Halsabschneider aus Pedros Bunch soeben am eigenen Leib erfahren mussten. Ein dermaßen abgebrühter er wie präzise arbeitender Zeitgenosse muss sich um seine berufliche Zukunft keine desillusionierenden Gedanken machen. Der gute Ruf des Auftragsmörders ist derweil auch in den Gehörgängen des Großgrundbesitzers Don Carlos angelangt, sodass er Dakota Joe den gut bezahlten Job anbietet, den Arzt García Gómez, ein Unterstützer des Revolutionärs Emiliano Zapata, zu beseitigen. Doch bevor Dakota Joe den Auftrag ausführt, will er sich ein Bild von García Gómez machen. Und siehe da, an die Stelle des skrupellosen Tötens tritt ein unerwarteter Idealismus, der Joe mit Gómez sympathisieren lässt. Ergo weigert er sich den Auftrag auszuführen und schlägt sich auf die Seite der Revolutionäre. Um Aufstand und Umsturz im Land der Kakteen finanziell zu stärken, will Dakota Joe nun ausgerechnet Don Carlos ausrauben

DER COLT AUS GRINGOS HAND entstand ca. 2 Jahre nach Tulio Demichelis Westerndebüt SCHNELLE COLTS FÜR JEANNIE LEE. Obwohl ich JEANNIE LEE bisher leider nur mit der von der Cinephon Filmproduktions GmbH erstellten TV-Synchronisation sichten durfte, bin ich mir sicher, dass der bestenfalls durchschnittliche Film auch mittels seiner Kinosynchronisation nicht dazu gewinnen wird. Da ist DER COLT AUS GRINGOS HAND schon ein anderes Kaliber. Eine Feststellung, die Sie bitte positiv registrieren!

Der Film ist eine Gemeinschaftsproduktion der Länder Italien und Spanien. Der iberische Anteil wird gemäß der Credits der Produktionsfirma Producciones Cinematograficas Tulio Demicheli S. L. zugeschrieben. Die imdb tituliert das Unternehmen als Tulio Demicheli P.C.. Wer denn nun recht hat, lässt sich auf die Schnelle nicht eruieren und sollte uns auch nicht weiter interessieren. Was ich primär mitteilen will: Der emsige Regisseur wie Drehbuchautor Demicheli war auch als Produzent aktiv und zeichnet in dieser Funktion für den Ausnahmewesterns DER GEHETZTE DER SIERRA MADRE verantwortlich.

Wie viele südeuropäische Schießopern startet auch DER COLT AUS GRINGOS HAND mit dem Überfall auf eine Postkutsche. Angeführt von jenem IW-Darsteller, der innert seiner jeweiligen Rollen zwischen hinterhältiger Hyäne und Volldepp chargiert: Fernando Sancho. In Demichelis Western ist Sanchos Rolle umfangreich konstruiert. Er ist Bandenboss wie Sohn einer rabiaten Mutter, die ihm hin und wieder was hinter die Löffel gibt. Er ist Outlaw wie Bediensteter eines Großgrundbesitzers als auch Sympathisant der Revolutionäre. Aber an erster Stelle ist der kleine dicke Tausendsassa ganz wild auf harte Dollar, sodass er in jede notwendige Rolle problemlos hineinwachsen kann.

Der eben angerissene Überfall wird aus sicherer Entfernung von Dakota Joe beobachtet. Um dieses ansprechend zu vermitteln haben sich Regie wie Kamera augenscheinlich von Floyd Crosbys Fotografie (der Auftakt von HIGH NOON) beeinflussen lassen. Denn Robert Hundars Präsentation lässt Gemeinsamkeiten zu Lee van Cleefs Auftritt innert der mit der Titelsequenz verschmolzenen Eingangssequenz aus HIGH NOON entschlüsseln. Diese (vermutlich) Crosby, Van Cleef, Zinnemann adelnden Bildkompositionen wurden mit einer - für den Italo-Western gemeinhin üblichen - attraktiven Landschaftsfotografie kombiniert.

Die Filmhandlung spielt ca. 1911, was sich simpel aus der Erwähnung des Revolutionsführers Emiliano Zapata lesen lässt. Zapata reflektiert die Hoffnung der Unterdrückten. Die Hoffnung der Geschundenen während der mexikanischen Feudalherrschaft. Es regierte Porfirio Diaz, der Mexiko zum Stillstand verdammte und demgemäß die profane Zeit in eine sakrale Zeit verwandelte. Auf der Hazienda des Grundbesitzers Don Carlos kostet man diesen Feudalismus mit Wonne aus. Ein Menschenleben zählt nicht und das Ius primae noctis, jenes Recht der ersten Nacht, ist eine von den Unterdrückern überaus lieb gewonnene wie gern praktizierte Tradition. Freilich sträubt sich Carmencita, nachdem sie ihren Pablo ehelichte, dem Brauch Folge zu leisten und stößt somit dem Bruder des Haziendabesitzers, Gracián, mächtig vor den Schädel. Was sehr unangenehm werden kann und wird, denn Gracián ist zwar ein kleiner Scherzkeks, aber seine Scherze enden zumeist tödlich. Somit können Sie zumindest wage erahnen, was auf der Hazienda abgeht.

Dakota Joe ist der Beobachter, der abwartende Taktiker, der sich ein Bild von der Gesamtsituation macht, um schlussendlich zu entscheiden, ob er den Job, Doctor García Gómez zu töten, übernehmen will. Was sich daraus entwickelt, ist eine der eindeutigsten Divergenzen, die man (im Italo-Western) zwischen einem Antihelden (Dakota Joe ist Berufskiller) und den eigentlichen Bösen lesen kann. Der Antiheld, der sich bekanntlich nicht durch die Taten die er begeht, sondern durch die die er unterlässt vom kaltblütigen Gesindel unterscheidet, verdrängt den Berufskiller und kokettiert tatsächlich mit den Wesensmerkmalen eines Idealisten.

Ideale besitzt Beatrice, die Gemahlin von Don Carlos, nun wirklich nicht. Diese arrogante Bitch ist freilich auch not amused, sofern man(n) nicht nach ihrer Pfeife tanzt. Und das Dakota Joe die rothaarige Prinzessin abblitzen ließ, könnte ihm mir nichts dir nichts das Leben kosten.

Marta Reves, die Darstellerin der Beatrice, war übrigens im Zeitraum zwischen 1964 und 1969 in sechs Filmen von Jess Franco aktiv. Was die Visitenkarte aus Sicht von Otto Normalverbraucher zwar nicht wirklich aufwertet, aber abseits vom Mainstream Nachforschungs- wie Sichtungsambitionen wecken könnte.

Konträr zu den zahlreichen Figuren, die Fernando Sancho in den südeuropäischen Western darstellte sorgt er als Outlaw Perdro nicht allein, sondern diesmal gemeinsam mit Vittoria Di Silverio (als dessen Mutter) für ausgelassene Momente. Das Zusammenspiel funktioniert, da ihre teilweise lauten Scherze respektive ihre Kalauer nicht die negative Kraft besitzen, um den eigentlichen Humor zu erschlagen.

Fazit: Tulio Demichelis zweite Westernarbeit ist seinem Debüt (SCHNELLE COLTS FÜR JEANNIE LEE) im inszenatorischen als auch narrativen Sinn deutlich überlegen. So erhalten wir eine knackig inszenierte Story, die von einem sympathischen Humor, einigen Grausamkeiten wie Sadismen als auch diversen, die Gesellschaftskritik fördernden, giftigen Spitzen und einem hörenswerten Score flankiert wird.
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