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Originaltitel: Double Indemnity
Herstellungsland: USA / 1944
Regie: Billy Wilder
Darsteller(innen): Fred MacMurray, Barbara Stanwyck, Edward G. Robinson, Porter Hall, Jean Heather, Tom Powers, Byron Barr, Richard Gaines, Fortunio Bonanova, John Philliber, James Adamson, John Berry u. A.
Der Versicherungsangestellte Walter Neff (Fred MacMurray) bespricht ein Tonband mit seinem Geständnis: Als er Phyllis Dietrichson (Barbara Stanwyck) bei der Erneuerung ihrer Autoversicherung kennenlernt, ist es um ihn geschehen. Trotz der väterlichen Fürsorge seines Chefs Barton Keyes (Edward G. Robinson) läßt er sich auf eine Affäre mit der verheirateten Frau ein und plant mit ihr einen Mord inkl. Versicherungsbetrug. Ein Plan, der nicht gutgehen kann...
„Es ging um viel Geld. Und um eine Frau. Ich verlor beides.“
Sein vierter Spielfilm sollte den Durchbruch für den österreichisch-stämmigen US-Regisseur Billy Wilder bedeuten, doch wichtiger noch: den Film-noir-Stil, der zu Beginn der 1940er-Jahre durch „Die Spur des Falken“ und Konsorten entwickelt worden war, um wichtige Facetten erweitern und damit ausdefinieren. „Frau ohne Gewissen“ aus dem Jahre 1944 ist die Verfilmung eines Romans James M. Cains, der wiederum auf einem realen Kriminalfall basiert – und galt aufgrund der Hays-Zensur lange Zeit als unverfilmbar. Bis Billy Wilder kam, das Drehbuch zusammen mit Hardboiled-Detective-Krimiautor Raymond Chandler verfasste und inszenatorische Mittel fand, die Zensur zu umgehen.
„Kalt und berechnend!“
Versicherungsagent Walter Neff (Fred MacMurray, „Liebling, zum Diktat“) lernt die Femme fatale Phyllis Dietrichson (Barbara Stanwyck, „Du lebst noch 105 Minuten“) kennen, verliebt sich sogleich in sie und lässt sich in ihren teuflischen Plan einspannen: Sie möchte ihren Ehemann (Tom Powers, „Der schwarze Reiter“) um die Ecke bringen, um ein hübsches Sümmchen aus dessen Unfallversicherung zu kassieren, von dem das Opfer in spe gar nicht weiß, dass sie sie bei Walter Neff für ihn abgeschlossen hat…
„Frau ohne Gewissen” alias „Double Indemnity“ spielt gegen Ende der 1930er Jahre und steigt direkt am Ende der Geschichte ein: Der vollkommen fertige und schwitzende, sterbende Walter schleppt sich in sein Büro und diktiert für seinen Chef ein Geständnis auf Tonband. Diese Szene leitet eine ausgedehnte Rückblende ein, die die Ereignisse rekapituliert; Walters Stimme wird dabei zum Voice-over-Erzähler – und damit zu einem zukünftig typischen Element des Film noir. Mit dem Inbegriff der Femme fatale, der eine blonde Perücke tragenden Phyllis Dietrichson, beginnt Walter justament zu flirten und besiegelt damit sein Schicksal. Aufgrund ihrer seltsamen Fragen steht schnell die Vermutung im Raum, sie wolle ihren Mann umbringen, doch sie wirft sich ihm, nach Jasmin riechend, an den Hals und verdreht ihm manipulativ den Kopf. Dass Walter Schlimmes hinter sich hat und gerade am Aufnahmegerät sitzt, wird zwischendurch immer mal wieder durch einen kurzen Schnitt in die filmische Gegenwart ins Gedächtnis gerufen.
Vor allem aber sieht man Walter sich bereitwillig in den Abgrund stürzend, indem er mit Phyllis den Mord plant, dessen Durchführung minutiös vor den Zuschauerinnen und Zuschauern ausgebreitet wird, ohne jedoch den entscheidenden Moment zu visualisieren. Dass es sich bei Walters Chef Edward S. Norton Jr. (Richard Gaines, „A Night to Remember“) um einen sehr integren und intelligenten Versicherer handelt, macht die Sache umso tragischer. Er wittert den Mordfall und will Phyllis überführen. Auch deren Stieftochter Lola (Jean Heather, „Der Weg zum Glück“) hegt diesen Verdacht, sie verdächtigt ihre Stiefmutter gar des Mordes an ihrer leiblichen Mutter. Diese interessanten Nebenfiguren bereichern das spannend erzählte Spektakel. Mit Lolas Freund Nino (Byron Barr, „Sturzflug ins Glück“) kommt gar ein weiterer Mann ins Spiel und es erhärtet sich der Verdacht, dass Walter nur ausgenutzt wurde…
Als Zuschauerin oder Zuschauer befindet man sich quasi permanent an der Seite eines Mörders, Regisseur Wilder macht einen zu so etwas wie dessen Komplizen – heute gang und gäbe, damals ein von den Zensoren nicht gerngesehenes Novum. Zudem ist Walter nicht schlicht ein kantiger Antiheld wie die bis dahin den Film noir dominierenden Hardboiled-Privatdetektive, sondern ein eigentlich recht sympathischer Verlierertyp, mit dem man trotz seiner Taten mitfühlt. Die fantastische Kameraarbeit treibt die vom deutschen Expressionismus inspirierten Schattenspiele auf die Spitze und obwohl sie zensurbedingt gar nicht alles zeigen darf, gelingt es Wilder, die sexuelle Spannung zwischen Walter und Phyllis spürbar werden zu lassen.
Der damalige Film noir im Allgemeinen spiegelte sich verändernde bzw. kriegsbedingt verändert habende Geschlechtergefüge in den USA wider. Vielen Frauen hatten eine neue Selbständigkeit entwickelt, als sie sich gezwungen sahen, in „Männerberufen“ zu arbeiten, während ihre Männer in den Krieg gezogen waren, und die alleinige Verantwortung für die Familie zu übernehmen. Diese neue Wirklichkeit zu akzeptieren fiel vielen Kriegsheimkehrern schwer, sie reagierten mit Skepsis oder Ablehnung. Im Film noir definiert sich die Femme fatale nicht mehr über ihre gesellschaftliche Rolle als Hausfrau und Mutter, sondern strebt nach sexueller und finanzieller Unabhängigkeit, womit sie das Idealbild der Familie dekonstruiert. Die von der patriarchalisch geprägten Gesellschaft empfundene Gefährlichkeit dieses neuen Frauentypus, der nicht nur attraktiv, sondern auch intelligent ist, zeigt sich in seiner Überzeichnung im Film noir: Manipulativ gehen diese Frauen über Leichen, um ihre Ziele zu erreichen. Sie nutzen die Verführbarkeit der Männer, um sexuelles und/oder partnerschaftliches Interesse vorzugeben und sie dadurch zu ihren Handlangern zu machen. Das Geschlechterverhältnis im Film noir ist somit ein von Manipulation, Ausnutzung und Egoismus auf der weiblichen und Verführbarkeit, Naivität, Ausgenutztwerden, emotionaler Abhängigkeit, sexueller Obsession oder eben auch Skepsis und Misstrauen im Falle „standhafter“ Protagonisten auf der männlichen Seite geprägtes. Zugleich steht die Femme fatale für das Infragestellen gesellschaftlicher Institutionen wie der Ehe und für Unabhängigkeitsdrang, Stärke, Mut und Kampfeslust, was ihr etwas Progressives verleiht, das (zumindest bestimmte) Männer wiederum so sehr fasziniert, dass sie sich von ihr angezogen fühlen und zu ihrem Spielball oder Opfer werden können.
Für Phyllis, um auf „Frau ohne Gewissen“ zurückzukommen, bedeutete ihr Plan (vorausgesetzt er wäre aufgegangen) nicht nur finanzielle Unabhängigkeit, sondern auch ein Ausbruch aus ihrer für sie unbefriedigenden Ehe. Somit lassen sich bei aller Gefühlskälte ihre Beweggründe auch als Kommentar zu einer damals verbreiteten, die Frau einengenden und von ihrem Mann abhängig machenden Form der Ehe auffassen. Den Ausgang der literarischen Vorlage musste Wilder abändern, damit sein Film nicht der Zensur zum Opfer fällt. Dennoch ist „Frau ohne Gewissen“ ein sich sehr „komplett“ anfühlender Genrebeitrag, der diverse Charakteristika, die im weiteren Laufe der Filmgeschichte überstrapaziert und zu Klischees werden sollten, etablierte. Wer sich für den Film noir interessiert, muss ihn gesehen haben!
Re: Frau ohne Gewissen - Billy Wilder (1944)
Verfasst: Mo 15. Mai 2023, 14:01
von sid.vicious
Nach meinem Dufürhalten ist der Film - egal, ob man den Film-noir als Genre mag oder nicht - ein Pflichtprogramm.
Phyllis Dietrichson - Housewife from Hell!
Sabine Reichel hat ihr, wie vielen anderen Bad Girls der Lichtspiele, mittels ihres Buchs, "Bad Girls - Hollywoods böse Beauties", eine flammende Liebererklärung gewidmet.
"Frau ohne Gewissen" zähle ich neben "Manche mögen’s heiß" und "Extrablatt" zu meinen persönlichen Top 3-Wilders.
Re: Frau ohne Gewissen - Billy Wilder (1944)
Verfasst: Mo 15. Mai 2023, 18:10
von CamperVan.Helsing
buxtebrawler hat geschrieben: ↑Mo 15. Mai 2023, 13:31
sondern auch ein Ausbruch aus ihrer für sie unbefriedigenden Ehre.
Tja, Ehre allein befriedigt nicht, das bestätigt jeder Hersteller von Sextoys.
Nicht nur ein Meilenstein des Film noir, sondern wie so vieles von Wilder unverzichtbar. Darüber hinaus in "Tote tragen keine Karos" geadelt - und der einzige Film Billy Wilders, der ein Remake mit John Holmes in der Neff-Rolle erfahren hat.
Re: Frau ohne Gewissen - Billy Wilder (1944)
Verfasst: Mo 15. Mai 2023, 20:09
von buxtebrawler
ugo-piazza hat geschrieben: ↑Mo 15. Mai 2023, 18:10
Tja, Ehre allein befriedigt nicht, das bestätigt jeder Hersteller von Sextoys.
Korrektorat Piazza wieder - vielen Dank, ist korrigiert.