The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit - Yuval Adler (2020)
Verfasst: Di 6. Jun 2023, 05:06
The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit
The secrets we keep
USA 2020
Regie: Yuval Adler
Joel Kinnaman, Amy Seimetz, Noomi Rapace, Chris Messina, Kadrolsha Ona Carole, Lucy Faust, Victoria Hill,
Jeff Pope, David Maldonado, Ed Amatrudo, Ritchie Montgomery, Miluette Nalin
OFDB
The secrets we keep
USA 2020
Regie: Yuval Adler
Joel Kinnaman, Amy Seimetz, Noomi Rapace, Chris Messina, Kadrolsha Ona Carole, Lucy Faust, Victoria Hill,
Jeff Pope, David Maldonado, Ed Amatrudo, Ritchie Montgomery, Miluette Nalin
OFDB
Von Stephen King gibt es eine Kurzgeschichte, in der ein ganz normaler Junge in einer ganz normalen Kleinstadt der ganz normalen bürgerlichen USA feststellen muss, dass sein Nachbar ein Alt-Nazi und Kriegsverbrecher ist, und er verfällt diesem Mann, seiner Ausstrahlung, seinen Geschichten. Der israelische Regisseur Yuval Adler dreht die Geschichte um: In einer ganz normalen 1960er-Jahre-Kleinstadt der USA lebt eine ganz normale Frau ihr Eheleben mit Lewis, einem ganz normalen Arzt. Bis sie eines Tages einen Mann sieht, den sie nie wieder sehen wollte. Den Mann, der sie vor 15 Jahren vergewaltigt und ihre kleine Schwester erschossen hat. Damals war sie mit einer Gruppe Romafrauen, sie ist selber eine Roma, auf der Flucht aus einem deutschen Lager, als nachts eine Gruppe SS-Männer die Frauen überfielen, vergewaltigten und abschlachteten. Sie, Maja, ist davongekommen, kann sich aber nicht mehr erinnern wieso.
Maja entführt den Mann, Thomas, und steckt ihn an einen Stuhl gefesselt in ihren Keller. Lewis steht zu seiner Frau, aber die Zweifel, ob der nach eigener Aussage Schweizer Beamte Thomas früher in Wirklichkeit der Deutsche SS-Mann Karl war, sind da. Im Zweifel gegen den Angeklagten. Doch bevor Thomas sterben kann, muss seine wahre Identität erst ermittelt werden. Maja sieht das auch ein, aber gleichzeitig ist da dieses Gesicht in ihren Träumen. Und ihr Hass …
Auch wenn die Geschichte sich wie ein loses Remake von Polanskis DER TOD UND DAS MÄDCHEN anhörte, so machte der Trailer mit der Besetzung Noomi Rapace und Joel Kinnaman sowie gut Action durchaus Interesse. Doch was für eine Überraschung: Im Trailer werden tatsächlich alle Actionsequenzen des Films hintereinander verwurstet, und somit völlig falsche Erwartungen geweckt. Denn THE SECRETS WE KEEP ist in erster Linie das ruhige Psychogramm einer Frau, die die Hölle erlebt hat, sich in einem neuen Leben in Sicherheit eingerichtet hat, und deren schlimmste Alpträume plötzlich wieder auferstehen, als ihr mutmaßlicher Peiniger in dem kleinen Städtchen auftaucht. So richtig mit Familie und Hund, mit einem Job als Minenarbeiter und einer Geschichte, die wahr sein kann. Oder auch nicht.
THE SECRETS WE KEEP weigert sich dabei in die Actionfalle zu tappen, so mit Ausbruch und Verfolgungsjagd und Folterung und allem was ein Film im Jahre 2020 so bieten muss. Stattdessen dominieren Dialoge die Szenen, vor allem Maja und Lewis reden lange und intensiv über Dinge wie verdrängte Ängste und Schuld. Denn Maja fühlt sich schuldig am Tod ihrer kleinen Schwester, weil sie selber fortgelaufen ist. Ist sie fortgelaufen? Diese Frage wird zum zentralen Punkt, was fast ein wenig schade ist, denn die Frage nach Lebenslügen hätte dem Film noch besser zu Gesichte gestanden: Maja muss ihrem Mann irgendwann erklären, dass sie ihn ihr gesamtes gemeinsames Leben angelogen hat. Dass sie den Krieg, anders als immer kolportiert, selber und persönlich erlebt hat, und daraus als gebrochener Mensch herauskam, der sich in einer Lüge der Sicherheit wieder halbwegs zu einer Art Normalität durchringen konnte, der Psychoanalyse sei Dank. Und Thomas? Lebt Thomas eine Lüge? Oder ist seine Geschichte, er sei ein Schweizer Beamter der mit dem Krieg nicht mehr klar kam, wahr, und Maja verrennt sich in ihrer Psychose? Verirrt sich in ihren Alpträumen?
Ein spannendes und gut gemachtes Schauspielerdrama mit sehr vielen leisen Tönen, das mit schlechteren Schauspielern gescheitert wäre. Aber Noomi Rapace als Maja und Joel Kinnaman als Thomas geben ihren Figuren so unsagbar viel Tiefe und Leben, dass der Zuschauer problemlos in diese private kleine Hölle hineintauchen kann. Selbst Chris Messina als Lewis kann mit den beiden mithalten, wenngleich die stärksten Szenen diejenigen sind, wenn Maja bei Thomas‘ Ehefrau Rachel in der Küche sitzt und diese vorsichtig versucht nach ihrem verschwundenen Mann auszufragen, während sie doch genau weiß, dass der in ihrem eigenen Keller gefesselt und geknebelt auf seine sichere Hinrichtung wartet. Dazu kommt eine erstklassige und stark symbolisch aufgeladene Bildsprache – So finden die Dialoge zwischen Maja und Lewis meistens dann statt, wenn sich etwas zwischen ihnen befindet. Ein Draht, eine Scheibe, irgendwas, und wenn es eine Lüge ist. Aber sie sind immer in ihren eigenen Welten gefangen, und können sich erst durch eine letzte Gewalttat aufeinander zu bewegen, die alle Lügen zersplittern lässt.
An den erwähnten DER TOD UND DAS MÄDCHEN kommt THE SECRETS WE KEEP sicher nicht ran, aber als leiser Thriller und als angenehm altmodischer Film, der sich auf die Qualität seiner Schauspieler stützt anstatt auf die Anzahl seiner Computereffekte, überzeugt der Film sehr wohl.
7/10