Un témoin dan la ville
Frankreich/Italien 1959
Regie: Édouard Molinaro
Lino Ventura, Sandra Milo, Franco Fabrizi, Jacques Berthier, Daniel Ceccaldi, Robert Dalban, Jacques Jouanneau,
Micheline Luccioni, Ginette Pigeon, Janine Darcey, Françoise Brion, Geneviève Cluny
OFDB
Ein Mann wirft eine Frau aus dem fahrenden Zug, richtet seine Krawatte, wischt sich den Schweiß von der Stirn, und zieht die Notbremse. Ganz klar soll hier ein Mord vertuscht werden, und weil die Beweise nicht ausreichen muss der Untersuchungsrichter den Mann laufen lassen. Auch wenn er an den Unfalltod der Geliebten nicht glaubt, so sind ihm als Mann des Gesetzes die Hände gebunden. Ganz im Gegenteil zum Ehemann der Toten, M. Arcelin. Der nämlich dringt in die Villa des Mörders ein und begeht den perfekten Mord am Mörder. Zumindest fast perfekt, denn der Tote hatte noch ein Taxi bestellt, und Arcelin begegnet durch einen Zufall dem Taxifahrer, Lambert. Der ist natürlich ein Zeuge, wenn auch ein ahnungsloser, muss also beseitigt werden. Arcelin folgt Lambert durch sein Leben. Eine Affäre mit der hübschen Liliane aus der Zentrale, die Nachtschichten, seine Freunde unter den Taxifahrern, und immer wieder entgeht Lambert nur per Zufall einem sicheren Tod. Doch eines Nachts ist es endlich soweit: Arcelin steigt zu Lambert ins Taxi und dirigiert ihn an einen einsamen und dunklen Ort.
Eine Menschenjagd in Paris. Es ist Nacht, und ein unerbittlicher Mann sucht einen anderen, der gar nicht ahnt dass er eine Beute sein könnte. Dunkle Schatten die in Autos warten. Müdigkeit. Schwärze, die Außenwelt und Seele umfasst. Ein abgeschlossener Bereich, in dem ein Jäger seine Beute versucht einzukreisen. Dabei immer wieder Störungen von außen, wie Blitzlichter die blenden. Gelächter, Liebe, Nachtschwärmer die ihren Spaß haben. Wenn Arcelin im Café steht und sich selbst im Spiegel betrachtet, geschunden, blutig, zerstört, dann weiß er dass er es auf dem Weg nach ganz unten nicht mehr weit hat. Dass er eine Abwärtsspirale betreten hat, die ihn in sein Verderben führen wird. Das wollte er doch gar nicht! In der Metro, wo er hinter Lambert steht, den er vor den fahrenden Zug stoßen will, da hindert ihn sein Gewissen noch an der Untat. Verdier, das war etwas anderes. Verdier hat ihm die Frau weggenommen. Für immer. Verdier war so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit. Aber Lambert? Lambert ist doch eigentlich unschuldig. Er war nur zur falschen Zeit am falschen Ort …
Eine Menschenjagd in Paris. Die nächtlichen Boulevards glitzern gegen den Regen. Zwei Flics, die ihre Fahrräder über eine Kreuzung schieben, verhindern unwissentlich, dass der Jäger seine Beute fangen kann. Leichte Mädchen an den Häuserecken, die für eine kurze Ablenkung oder für ein Alibi sorgen können. Die dunklen Straßenschluchten der Großstadt, bevölkert von einfachen und ausgestoßenen Menschen. Polizisten, Nutten, Taxifahrer, Vergnügungssüchtige. Und mittendrin diese Jagd, von der niemand etwas bemerken darf …
Menschenjagd in Paris. Der Mörder Verdier wird gejagt, dessen Mörder Arcelin jagt den Zeugen Lambert, und am Ende wird Arcelin von den Kollegen Lamberts und der Polizei gejagt. Der absolute Höhepunkt ist erreicht, wenn der verletzte Arcelin sich durch ein Dörfchen aus stilisierten Holzhäusern jagt, eine Pistole in der Hand, und hinter ihm die unerbittlichen Männer sind die seinen Tod wollen. Hier wird die Grenze vom Noir-Thriller zum Western überschritten, und wir sehen, wie auch bereits in den großartigen Aufnahmen des nächtlichen Paris, die Liebe, welche die französischen Filmemacher in dieser Zeit für das amerikanische Kino empfanden. Wenn die Taxis ausschwärmen um auf die Jagd zu gehen, dann könnten diese Szenen auch ohne weiteres aus Detroit oder Chicago stammen. Weswegen die Musik im ersten Drittel auch Jazz ist. Teilweise sehr nervöser Jazz, der das Innenleben Arcelins, so stoisch er sich auch geben mag, schonungslos offenlegt. Das Lexikon des Internationalen Films schreibt zu DER MÖRDER KAM UM MITTERNACHT: „Spannender Kriminalfilm mit bemerkenswerter Gestaltung von Licht und Schatten“. Und wie meistens trifft der Kommentar zielsicher daneben. Licht und Schatten sind sicher die vorherrschenden Elemente im Film, aber nicht das Licht der Bistros und die Schatten in den Hausdurchgängen, sondern die Schatten auf den Seelen der Menschen, und die zwischenmenschlichen Beziehungen, die wie Licht auf diese Seelen fallen und Löcher hineinbrennen. Löcher, so groß wie Pistolenkugeln …
DER MÖRDER KAM UM MITTERNACHT ist ein meisterhafter Mix aus Noir, Großstadtthriller und Western. Der mit Gefühlen und Worten genauso virtuos umgeht wie mit Blicken und Ahnungen, und diese messerscharf genau in die Seele des Zuschauers pflanzt. Große Krimikunst, die aus den Klassikern des Noirs schöpft und die Essenz dieses Genres in einen grandiosen Film gießt. Unbedingt anschauen!
9/10