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Darsteller(innen): Griffin Dunne, Rosanna Arquette, Verna Bloom, Tommy Chong, Linda Fiorentino, Teri Garr, John Heard, Cheech Marin, Catherine O'Hara, Dick Miller, Will Patton, Robert Plunket, Bronson Pinchot, Rocco Sisto, Rockets Redglare, Larry Block, Victor Argo u. A.
Computerexperte Paul (Griffin Dunne) lernt in einem New Yorker Café die bezaubernde Marcy (Rosanna Arquette) kennen. Sie hinterlässt ihm ihre Adresse, aber der Weg dorthin führt Paul auf Abwege. Nachdem er im Taxi sein Geld verliert und statt Marcy am angegebenen Ort Kiki trifft, beginnt eine haarsträubende Odyssee durch die nächtliche Stadt mit vielen Überraschungen...
„Heute Abend habe ich das Gefühl, dass ich mich wirklich gehen lassen werde!“
Nach seinem an den Kinokassen leider gefloppten „King of Comedy“ übernahm US-Ausnahmeregisseur Martin Scorsese die Regie eines Films, der ursprünglich seinem Kollegen Tim Burton angeboten worden war und auf den ersten Blick so viel leichtfüßiger als Scorseses bisheriges Werk erschien, es aber dennoch durchaus in sich hatte: „Die Zeit nach Mitternacht“ alias „After Hours“ (Originaltitel) aus dem Jahre 1985 entpuppte sich als schwarzhumorige Neo-noir-Großstadtkomödie, angesiedelt in – natürlich – New York.
„Wie wär‘s denn jetzt mit 'nem Joint?“
Paul Hackett (Griffin Dunne, „American Werewolf“) ist Programmierer von Beruf und alleinstehend. Als er eines Abends in einem Diner über seine Henry-Miller-Lektüre die attraktive Marcy Franklin (Patricia Arquette, „Susan… verzweifelt gesucht“) kennenlernt, die aber schon bald nach Soho in ihre Wohngemeinschaft mit der Bildhauerin Kiki Bridges (Linda Fiorentino, „Gotcha! – Ein irrer Trip“) weiterzieht, verguckt er sich in sie und fasst den Entschluss, an ihr dranzubleiben. Er bringt die Telefonnummer der WG in Erfahrung und verabredet sich mit ihr. Dass sein 20-Dollar-Schein aus dem geöffneten Taxifenster weht, soll sich als Vorbote einer Nacht voller unglücklicher Verwicklungen und Probleme erweisen…
„Wo sind die Briefbeschwerer?!“
Neben der blankziehenden Kiki fällt zunächst der visuelle Stil ins Auge, der urbanes ‘80er-Ambiente mit Neo-noir-Optik kreuzt. Was im Stil einer romantischen Komödie beginnt, wird bald immer bizarrer bis richtiggehend unheimlich. Beide Damen scheinen ein bisschen neben der Spur zu sein, Marcy spricht von einer erlittenen Vergewaltigung. Gleich bei der ersten Verabredung erfährt Paul immer seltsamere Details über sie – eine für ihn zu komplizierte Frau, also ergreift er die Flucht. Diese gerät zu einer wahren Odyssee durchs nächtliche New York mit allen möglichen Unwägbarkeiten von zu wenig Bargeld für die U-Bahn über mieses Wetter bis zu vertauschten Schlüsseln, Verwechslungen, Avancen, ungeahnten personellen Verquickungen und einem Suizid. Am Ende dieser Kette muss Paul gar selbst um sein Leben fürchten, als es ihm unverschuldet an den Kragen gehen soll.
„Ich will doch nur nach Hause!“
Diese Abende und Nächte, in denen man nach einem anstrengenden, enervierenden oder schlicht totlangweiligen Arbeitstag nach etwas Zerstreuung sucht, als plötzlich das Abenteuer lockt – und alles schiefgeht. Wer kennt sie nicht? Dieses Phänomen wird durch eine besonders skurrile Verkettung von Umständen karikiert, die u.a. in einen wilden Punk-Club führen, in dem „Pay to Cum“ der Bad Brains läuft. Alle weiblichen Figuren werden als exzentrisch, bekloppt oder gleich beides gezeichnet, wobei sich Paul auch nicht immer ganz nachvollziehbar verhält (angesichts eines mit einer Tablettenüberdosis daliegenden Menschen wäre es beispielsweise angebracht, einen Notarzt zu rufen…). Dass er immer wieder die Hilfe anderer annimmt, macht alles nur noch schlimmer, und dass Menschen sexuelle Wesen sind, führt hier ausschließlich zu Problemen – ein Noir-Pessimismus, der mittels mal mehr, mal weniger düsterem, gern überdrehtem Humor aufgegriffen wird. Ohne es zu wollen, macht sich Paul immer mehr Feinde, die Welt scheint sich gegen ihn verschworen zu haben.
Für „Die Zeit nach Mitternacht“ arbeitete Scorsese erstmals mit Rainer Werner Fassbinders ehemaligem Kameramann Michael Ballhaus zusammen, was sich, so heißt es, in der Bildästhetik niedergeschlagen habe. Die Handlung wirkt trotz ihres Noir-Gehalt erfrischend possenhaft. Scorsese bewies zudem, auch einmal ohne seine Stammschauspieler Harvey Keitel oder Robert De Niro auszukommen; Griffin Dunne scheint die richtige Wahl für die Hauptrolle gewesen zu sein und steuerte auch eigenes Geld zur Produktion bei. In Nebenrollen finden sich u.a. Dick Miller, Cheech Marin und Tommy Chong. Scorsese selbst gönnte sich einen Cameo als Lichttechniker im Punk-Club.
„Die Zeit nach Mitternacht“ erweckt den Eindruck, derjenige Film zu sein, der entsteht, wenn Scorsese einmal der Sinn nach leichterer Kost steht. Scorsese-Fans könnten daher den Tiefgang vermissen, den viele seiner vorausgegangenen Filme ausmachten, und tatsächlich lief er wohl zwar besser als „King of Comedy“ an, blieb, was den Publikumszuspruch betrifft, aber dennoch weit hinter den Erwartungen zurück und wurde erst im Laufe der Jahre zunehmend von einem breiteren Publikum wertgeschätzt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Erscheint voraussichtlich am 26.10.2023 bei Plaion Pictures als Blu-ray/DVD-Kombination im Digipak:
Extras:
Audiokommentar mit Martin Scorsese, Griffin Dunne, Produzentin Amy Robinson, Cutterin Thelma Schoonmaker und Kameramann Michael Ballhaus u.v.m.