Die letzte Versuchung Christi - Martin Scorsese (1988)

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Die letzte Versuchung Christi - Martin Scorsese (1988)

Beitrag von buxtebrawler »

Die letzte Versuchung Christi.jpg
Die letzte Versuchung Christi.jpg (114.8 KiB) 64 mal betrachtet

Originaltitel: Passion

Herstellungsland: USA / 1988

Regie: Martin Scorsese

Darsteller(innen): Willem Dafoe, Harvey Keitel, Paul Greco, Steve Shill, Verna Bloom, Barbara Hershey, Roberts Blossom, Barry Miller, Gary Basaraba, Irvin Kershner, Victor Argo, Michael Been, Paul Herman, John Lurie, Leo Burmester, Andre Gregory, Peggy Gormley u. A.
Unsicherheit, Ängste und Zweifel peinigen Jesus aus Nazareth, seit ihm klargeworden ist, daß Gott etwas Besonderes mit ihm vorhat. Um dem zu entgehen, hilft er sogar den Römern beim Kreuzigen seiner eigenen Landsleute. Erst allmählich findet er in seine Rolle als Messias; Jesus zieht nach Judäa, beginnt zu predigen, schart Jünger um sich. Bestärkt wird er von seinem besten Freund Judas, der Hure Maria Magdalena und dem Täufer Johannes. Als Jesus erkennt, daß er für die Erlösung der Menschen sterben muß, liefert er sich den Römern aus und wird gekreuzigt. Doch im Moment der höchsten Qual und Verzweiflung erscheint ein Schutzengel: Jesus habe genug gelitten und dürfe nun das Leben eines ganz normalen Menschen führen, mit den täglichen Freuden des einfachen Lebens, mit einer Ehefrau und Kindern ...
Quelle: www.ofdb.de

Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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buxtebrawler
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Re: Die letzte Versuchung Christi - Martin Scorsese (1988)

Beitrag von buxtebrawler »

„Aus Nazareth kann niemals irgendetwas Gutes kommen...“

US-Regisseur Martin Scorsese („Taxi Driver“) hatte mit „Die Farbe des Geldes“ die Fortsetzung eines Billard-Romans zu einem gelungenen, aber für seine Verhältnisse auch wenig aufsehenerregenden Ergebnis verfilmt und im Anschluss mit der Mischung aus Kurzfilm und Michael-Jackson-Videoclip „Bad“ auf John Landis‘ Pfaden wandelnd ein beachtliches Stück Popmusikgeschichte mitgeschrieben. Anschließend stand ihm offenbar wieder der Sinn nach etwas Kontroverserem. So machte er sich mit seinem bewährten Team aus Drehbuchautor Paul Schrader und Kameramann Michael Ballhaus an eine Verfilmung des Romans „Die letzte Versuchung“ aus der Feder des bedeutenden griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis, der bei der katholischen Kirche bereits derart gut angekommen war, dass sie ihn auf ihren Index verbotener Literatur setzte. Scorseses in Marokko gedrehtes, 164-minütiges Fantasy-Monumental-Kostümdrama-Epos kam 1988 in die Lichtspielhäuser und wurde – natürlich – von einem entsprechenden Aufschrei religiöser Fanatikerinnen und Fanatiker begleitet.

„Warum versuchst du, die Welt zu retten?“

Der Film handelt von einem Generationskonflikt, von einem Sohn, der mit der Rolle hadert, die sein Vater für ihn in der Gesellschaft des ersten Jahrhunderts vorgesehen hat. Der Sohn: Jesus (Willem Dafoe, „Straßen in Flammen“) aus Nazareth. Der Vater: Der allmächtige Gott. Inmitten römischer Herrschaft reift er dennoch zum predigenden Messias heran und scharrt immer mehr Anhänger um sich. Den Römern ist er nicht nur damit zunehmend ein Dorn im Auge…

„Welche Vermessenheit von dir zu glauben, du könntest die Welt retten!“

So weit, so gut. Nur wie soll ausgerechnet ich als Scorsese-Fan, aber (wenn überhaupt) Agnostiker mich diesem Stoff nähern? Der Religionsunterricht bei Frau Timm war zwar eine irgendwie gemütliche Märchenstunde; dennoch habe ich das Fach abgewählt, sobald ich die Möglichkeit dazu hatte. Doch setzt dieser Film gewisse Vorkenntnisse in christlicher Mythologie voraus, der Handlung und Figurenensemble entspringen. Jesus ist neben dem unsichtbaren Gott und dem bösen Teufel die zentrale Figur christlicher Literatur und Religionen. Versuche ich es also zunächst einmal deskriptiv (wobei ich leider massiv spoilern muss): „Die letzte Versuchung Christi“ eröffnet mit einem Lauftext, der ein Zitat aus der Romanvorlage sowie eine kurze Erläuterung, dass es von nun an fiktional zugehen werde, enthält. Die Filmfigur Jesus übernimmt auch den Part des Voice-over-Erzählers und wirkt zunächst wie ein verwirrter Esoteriker, der gern in Bildern und Gleichnissen spricht. Der Fantasy-Anteil kommt in Form einer sprechenden Schlange, die will, dass man ihr auf die Brüste guckt, sowie einem sprechenden Löwen daher. Hierbei könnte es sich um neutestamentarische Überlieferungen teuflischer Verführungsversuche handeln.

„Wir werden ein neues Jerusalem erbauen!“

In zwei Gore-Szenen reißt sich a) Jesus sein Herz heraus und faselt nicht mehr von Liebe, sondern von Krieg, und wird b) eine Ziege ausgeweidet. Jesus entwickelt Allmachtsfantasien; seine Mitmenschen halten ihn für betrunken oder verrückt. Er verleugnet gar seine Eltern und randaliert auf dem Marktplatz. Aggressiv setzt er sich mit Gott gleich und zettelt zusammen mit seiner Bande in einem Tempel Ärger an. Dies muss nun jener Jesus sein, in dessen Rolle einst Klaus Kinski auf der Bühne vor einem irritierten studentischen Publikum schlüpfte. „Ich komme nicht der Welt den Frieden zu bringen, ich bringe das Schwert!“, behauptet Jesus, und die Römer sind irgendwann nicht länger gewillt, tatenlos zuzusehen. Da das Konzept der Resozialisierung damals noch ein Fremdwort, die Sitten zudem rauer und ein Menschen- oder auch Halbgottleben nicht sonderlich viel wert war, ereilt auch Jesus die Todesstrafe durch Kreuzigung. Minutenlangen Zeitlupenbilder zeigen, wie er seinen Balken zu seiner eigenen Hinrichtung schleppt.

„Töten oder lieben ist eigentlich dasselbe.“

Inwieweit das alles durch die Bibel überliefert ist, entzieht sich meiner Kenntnis; ich glaube aber zu wissen, dass ab diesem Punkt allein Kazantzakis‘ geistiges Eigentum den weiteren Handlungsverlauf bestimmt: In der menschlichen Hülle eines kleinen Mädchens kommt ein Schutzengel (Juliette Caton, „Das Spiegelbild“) an Jesus‘ Kreuz und holt ihn dort herunter, wodurch er ihm das Leben rettet. Dies scheint niemand bemerkt zu haben. Seine weltliche Existenz solle er von nun an genießen, was er sich nicht zweimal sagen lässt und mit der Sexarbeiterin Maria Magdalena (Barbara Hershey, „Boxcar Bertha“) eine Familie gründen möchte. Leider jedoch greift sein Vater ein und ermordet Maria. Sein ehemaliger Begleiter Saulus (Harry Dean Stanton, „Für eine Handvoll Dollar“) hat sich mittlerweile in Paulus umbenannt und verdingt sich als Fußgängerzonenmissionar, der Schutzengel entpuppt sich als der Beelzebub – und ich komme bei alldem nicht mehr ganz mit. Schließlich wird die Zeit zurückgedreht und all dies lediglich zum Traum eines nun doch am Kreuz sterbenden Mannes erklärt.

Scorseses Verfilmung scheint häufig in Zeitlupe abzulaufen (und u.a. dadurch auf seine epische Länge zu kommen), ist oft anstrengend, genauso oft aber unfreiwillig komisch. Dafoe ist gegen den Strich besetzt, was seine Auslegung der Rolle interessant macht. Besonders gelungen ist eine Szene, in der deutlich wird, wie Jesus zum Messias hochgejazzt und letztlich missbraucht wird. Sein Traum am Kreuz jedoch erlaubt auch die Interpretation einer gerechten göttlichen Bestrafung seines weltlichen Lebenswandels (bzw. seiner Vision davon, seines Strebens danach), was die Lesart des Films, Jesus habe das Recht auf ein ganz normales Leben mit Frau und Kind gehabt, ad absurdum führt. Es sei denn, dies ist auch als Kritik an Gott gemeint.

Wie auch immer, religiöse Extremistinnen und Extremisten schrien einmal mehr Zeter und Mordio – natürlich ohne den Film überhaupt gesehen zu haben. Jesus als Menschen mit Identitätskrise darzustellen, sei blasphemisch und sowieso und überhaupt. Umso bedauerlicher ist es, dass sich Scorsese ausgerechnet an diesem wunderbar konfliktträchtigen Stoff meines Erachtens schwer verhoben hat, denn jemandem, der mit dem Christentum nur wenig am Hut hat, ist „Die letzte Versuchung Christi“ nur schwer zuzumuten. Das voraussetzungsreiche Setting, die Handlungssprünge und das wenig nachvollziehbare Verhalten wie Karikaturen anmutender Figuren innerhalb einer zähflüssigen, pathetischen Dramaturgie zerren an den Nerven. Eine generelle Abneigung gegen monumentale Kostümdramen erweist sich da zudem sicherlich als alles andere als hilfreich. Sie zu überwinden hilft dieser Film leider nicht.

Ach, ich fürchte fast, genauso wenig wie das Konzept Religion diesen Film verstanden zu haben...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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