Ponyherz - Markus Dietrich (2023)
Verfasst: Mi 27. Dez 2023, 22:18
Originaltitel: Ponyherz
Produktionsland: Deutschland 2023
Regie: Markus Dietrich
Cast: Martha Haberland, Sophie Lutz, Lucas Tavernier, Dieter Hallervorden
Die 11-jährige Anni erlebt das, was zahllose Heldinnen und Helden von Kinder- und Jugendfilmen, in denen unsere animalischen Mitlebewesen eine mehr oder minder große Rolle spielen, vor ihr erlebt haben und wohl sicher auch noch nach ihr erleben werden: Von der Großstadt, wo sie bislang aufgewachsen ist, soll es aufgrund einer beruflichen Neuorientierung ihrer Eltern aufs Land gehen. Das passt der Pubertierenden natürlich ganz und gar nicht: Ihre BBF muss sie ebenso zurücklassen wie das sonstige Sozialleben; dafür erwarten sie in der neuen Schule vom ersten Tag an Mobbingattacken ihrer Klassenkameradinnen; und, fuck, nicht mal das Handynetz funktioniert richtig in der Pampa. Einziger Lichtblick: Nachbarsbursche Lorenz, mit dem sich Anni nach ein paar Anfangsschwierigkeiten eng anfreundet – sowie ein Wildpferd, das ihr eines Tages über den Weg läuft, und das sie wegen seiner herzförmigen Blesse kurzerhand „Ponyherz“ tauft, (obwohl es, von der Größe her, in sich gleich mehrere Ponys fassen könnte). Subversive Elemente aber haben es auf Ponyherz und seine freilebende Familie abgesehen: Ein Gaunerpärchen liegt seit geraumer Zeit im Hinterland auf der Lauer, um möglichst viele Wildpferde zu erbeuten und gewinnträchtig mit gefälschten Papieren als Luxusrösser zu verschachern. Auch Ponyherz ereilt dieses Schicksal – und Anni findet ihren liebsten Freund plötzlich als Besitztum ihrer Mitschülerin Pia wieder, die ihn von ihren wohlhabenden Eltern zum Geburtstag geschenkt bekommen hat. In Gefangenschaft fühlt sich Ponyherz freilich überhaupt nicht wohl, weshalb Anni eine Rettungsaktion startet und ihn nachts aus seinem Stall befreit. Dabei erwischt, muss sich vor der örtlichen (grenzdebilen) Polizei verantworten, denn offiziell handelt es sich bei Ponyherz ja um ein blaublütiges Huftier aus einwandfrei bis in die Urgroßelterngeneration nachvollziehbarem Stammbaum. Als sich Hinweise häufen, Pias rabiater Pferdetrainer könne der Drahtzieher all der Pferdeentführungen sein, nehmen Anni, Lorenz und die inzwischen auf ihre Seite übergewechselte Pia die Sache selbst in die Hand, um den Verbrechern das Handwerk zu legen…
Es ist schon erstaunlich, wie sehr PONYHERZ ein Konglomerats aus all den Elementen darstellt, die vergleichbare Tierfilme für Heranwachsende in den letzten Jahren konstituiert haben. Dass ein junges Mädchen seine gewohnte Umgebung verlassen muss, um fernab der geliebten Großstadt ein neues Leben zu beginnen, ist beispielsweise die Prämisse des ersten Teils von OSTWIND; davon, dass arglose Tiere von einem eher unterbemittelten Ganoven-Duo verschleppt werden, um sie mittels gefälschter Stammbäume als Rassegeschöpfe auszugeben, erzählte zuletzt, wenn auch natürlich in Bezug auf Hunde, LASSIE – EIN NEUES ABENTEUER; die quasi-magische Verbindung zwischen Teenager und Tier, die regelrecht telepathisch schon bei ihrer allerersten Begegnung miteinander kommunizieren können, ist sowieso ein Genre-Topos, und lässt sich durch die Bank weg in allen Vertretern von LASSIE über OSTWIND bis hin zu WENDY oder ROCK MY HEART finden; aus letzterem Film wiederum hat man sich schließlich Dieter Hallervorden geliehen, der auch in PONYHERZ eine (obsolete) Nebenrolle als Graf verkörpert; ansonsten schwelgt auch dieser auf einer anscheinend immens erfolgreichen, mir bislang jedoch gänzlich unbekannten gleichnamigen Kinderbuchreihe beruhende Streifen in postkartenidyllischen Landschaftsbildern, in den üblichen Anthropomorphisierungen von Vierbeinern, in kitschigen Kalenderweisheiten, in Coming-of-Age-Konflikten wie erster Liebe, Schulmobbing, Rebellion gegen die Eltern usw. usf.
Letztlich präsentiert sich PONYHERZ aber, obwohl – oder gerade weil – der Film sichtlich auf Nummer sichergeht, indem er seine innovativen Abgrenzungsversuche zur Konkurrenz auf ein Minimum beschränkt, als reichlich unausgegorene Produktion, die stellenweise gar so wirkt, als seien im Finalschnitt einige relevante Szenen unter den Tisch gefallen. Gerade in der ersten halben Stunde häufen sich rätselhafte Momente: Einmal beispielsweise kommt Anni mit einem dunklen Fleck am Hals in die Schule. Ihre furchtbaren Mitschülerinnen argwöhnen sofort, der könne nur von exzessivem Knutschen kommen, und posaunen vor der ganzen Klasse heraus, Anni sei wohl die ganze Nacht mit ihrem Crush Lorenz auf Tuchfühlung gegangen – solange, bis Anni heulend das Klassenzimmer verlässt. Woher der Fleck an ihrem Hals stammt, verrät der Film uns jedoch weder im Vorfeld noch im Anschluss. Etwas später spielt die Clique aus reichen Zicken, die Anni auf dem Kieker haben, ihr einen besonders üblen Streich. Anni nämlich ist begeisterte Comiczeichnerin, und nutzt jede freie Minute, um Pferdegeschichten aufs Papier zu bringen. Hierfür zieht sie sich schon mal mit Kopfhörern auf den Ohren zurück – und zwar einmal auch in eine der Schulduschen. Ohne dass erklärt werden würde, woher ihre Feindinnen ihren Aufenthaltsort kennen, laufen diese zielstrebig in die Sanitäranlagen hinein, schleichen sich an Anni heran, lassen einen Schwall Wasser auf sie nieder, indem sie eine der Duschen aufdrehen. Naheliegend ist ja, folgt man der intradiegetischen Logik, eigentlich nur, dass Anni regelmäßig diesen Platz zum Zeichnen aufsucht. Wie sonst hätten ihre Mitschülerinnen sie so einfach exakt dort aufspüren können? Nur: Wer setzt sich denn ausgerechnet auf den kalten, möglicherweise noch nassen Fliesenboden einer Schuldusche zum Comiczeichnen? Ehrlich gesagt würde ich mir für dieses Hobby ein anderes Plätzchen suchen.
Auch einige Figuren und Plot Points werden niemals wirklich elaboriert ausgeführt: Dass Anni einen kleinen Bruder namens Lars hat, erfahren wir eher beiläufig – zumal der Bub lediglich in einer einzigen Szene länger als ein paar flüchtige Sekunden zu sehen ist. Gleiches gilt für Annis Vater, der zwar etwas mehr Screentime in Anspruch nimmt, jedoch immer noch unauffällig genug ist, dass ich mich zwischenzeitlich gefragt habe, ob es sich bei dem Mann wirklich um ihren Erzeuger, und nicht doch einfach nur um einen Arbeitskollegen ihrer ungleich präsenteren Mutter handelt. Was Dieter Hallervorden als wildpferdebesitzender Adliger und Lucas Tavernier als sein dienstbeflissener Butler in diesem Film zu suchen haben, bleibt ebenfalls schleierhaft – zumal sich die beiden den Großteil der Laufzeit auf Suche nach den verschwundenen Gäulen befinden, und erst im Finale überhaupt mit den restlichen Figuren zusammentreffen. Weshalb Ponyherz zudem eine panische Angst vor Wasser hat, (und zwar genau so wie das Pferd, das in Annis Comics die Heldenrolle innehat!), tut zwar für den Fortgang der Story einiges zur Sache, wird jedoch als Fakt vorausgesetzt, der anscheinend keiner weiteren Erklärung bedarf – von der Kuriosität, dass Anni offenbar in ihren Comics die Existenz eines wasserscheuen Pferdes namens Ponyherz vorausahnt, ganz zu schweigen.
Möglicherweise erübrigen sich all diese Fragen, wenn man die literarische Vorlagen aus der Feder der Kinderbuchautorin Usch Luhn kennt – doch, puh, eigentlich macht mir PONYHERZ mit seinen weitgehend eindimensionalen Figuren, seiner dahinplätschernden Handlung, seiner faden Abfolge von Standardsituationen nun nicht wirklich Lust darauf, eine davon aufzuschlagen. Was den Film vor allen Dingen für mich killt, das ist sein Humor – oder das, was die Verantwortlichen wohl für solchen halten. Quasi alle erwachsenen Nebenfiguren jenseits von Annis Eltern hat man als grausige Comic-Relief-Charaktere zum Davonlaufen angelegt: Da gibt es Dorfpolizisten, die mit rostigen Drahteseln auf Verbrecherjagd gehen, und sich das Blaulicht per Hand auf den Kopf setzen; da gibt es das erwähnte Gaunerpärchen, bei dem vor allem der weibliche Teil den Vorwurf begünstigt, man habe sich über Menschen mit kognitiven Dissonanzen lustig machen wollen; da gibt es Hallervorden nebst Butler, zu denen immer wieder geschnitten wird, während sie mit dem Auto die Gegend nach den vermissten Paarhufern absuchen, was allein deshalb wenig gewinnversprechend ist, da sie niemals die Landstraße verlassen, und wobei sie derart inkompetent anmuten, dass man sich fragt, wie sie es überhaupt ohne fremde Hilfe hinter Steuer und auf den Beifahrersitz geschafft haben.
In Kombination mit den durchaus ernsthaft inszenierten Mobbingszenen stempeln all diese fragwürdigen humorigen Einsprengsel PONYHERZ zu einem wahrhaft schizophrenen Filmvergnügen: Die Witze sind kaum erträglich; die Coming-of-Age-Passagen scheinen aus einem anderen Film, nämlich einem realistischen Teenagerdrama zu stammen; den gesamten Rest hat man woanders schon mal besser gesehen. Ich rate ab.