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Die fetten Jahre sind vorbei - Hans Weingartner (2004)

Verfasst: So 4. Feb 2024, 06:33
von Maulwurf
 
Die fetten Jahre sind vorbei
Deutschland/Österreich 2004
Regie: Hans Weingartner
Daniel Brühl, Julia Jentsch, Stipe Erceg, Burghart Klaußner, Peer Martiny, Petra Zieser, Laura Schmidt,
Sebastian Butz, Oliver Bröcker, Knut Berger, Hanns Zischler, Claudio Caiolo


Die fetten Jahre sind vorbei.jpg
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Jan und Peter sind Freunde, die im Alltag zwischen Demo und Fahrscheinkontrolle versuchen, ihren revolutionären Elan nicht zu verlieren. Sie steigen nachts in Villen ein, stehlen aber nichts sondern räumen die Möbel um, und hinterlassen eine Mahnung: Die fetten Jahre sind vorbei! Oder auch: Ihr werdet beobachtet. Die Erziehungsberechtigten. Als Peter für ein paar Tage in Urlaub fliegt, kümmert sich Jan um dessen Freundin Jule. Sie renovieren Jules alte Wohnung, sie ziehen gemeinsam durch die Straßen, und ganz allmählich verlieben sie sich dabei ineinander. Jan zeigt Jule, was Peter und er nachts so treiben, und als Jule merkt, dass der Typ, an den sie wegen eines Unfalls noch 8 Jahre lang 94.600 Euro abstottern muss, dass dieser Typ hier gleich um die Ecke wohnt, macht sie das ganz wahnsinnig. Sie will unbedingt in dessen Villa einsteigen, sehen wie der Typ wohnt. Dummerweise verliert sie unbemerkt ihr Handy irgendwo im Haus, und als sie in der nächsten Nacht zum Suchen wiederkommen – kommt auch der Typ wieder. Justus Hardenberg, Manager, drei Mille Jahresgehalt. In einer Kurzschlussreaktion schlagen sie Hardenberg nieder, holen den völlig entsetzten Peter dazu, und fahren mit ihrem alten VW-Bully ins Alpenvorland, auf eine Berghütte die Jules Onkel gehört. Und dort kommen sie mit dem reichen Manager allmählich ins Gespräch und merken, dass der auch mal jung war …

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Zu meiner Schande(?) muss ich gestehen, dass ich mich den FETTEN JAHREN nur von einer sehr persönlichen Seite nähern kann. Die überragenden Schauspieler, der großartige Schnitt, der wunderbar passende Score, die in alle Richtungen heimeligen Settings – Geschenkt!

DIE FETTEN JAHRE.. schlägt bei mir einfach in eine ganz andere Kerbe, nämlich in diejenige, dass ich mich mit allen Hauptcharakteren gleichzeitig identifizieren kann. Und dass Hardenberg, der reiche Managertyp, der sein Leben damit verbracht hat seine Ideale an die Wand zu fahren, dass Hardenberg mir mitten durchs Gebein fährt. Hardenberg, der vor 30 Jahren im Vorstand des SDS saß, der in einer WG freie Liebe gemacht hat, und der in einem wahrlich markerschütternden Monolog erklärt, wie er zu dem geworden ist was er jetzt ist. Es mag sicher sein, dass es da draußen noch einige Sozialrevolutionäre gibt die das für Kokolores halten, ich persönlich finde mich da in hohem Maße wieder (leider bis auf das Jahresgehalt und Gottseidank bis auf das Wahlkreuz, dies aber nur nebenbei). Die Rebellion der Jugend ist irgendwann vorbei gewesen, aber warum? Was kam dann? Das Geld? Der Wohlstand? Das Auto mit Klimaanlage? Die neuen Sachen für das Kind? Wo ist der unbequeme Gedanke hin, wo die Bereitschaft sich einzumischen und etwas verändern zu wollen? Reicht es, diesen Frust in den nächsten Leserbrief an das lokale Blättchen zu verpacken?

Für mich, einen alten weißen Mann deutscher Herkunft, gut aufgehoben im satten und zufriedenen Bürgertum, stecken in DIE FETTEN JAHRE.. tatsächlich Jugend und fortgeschrittene Jahre zugleich. Auf geradezu geniale Weise spannt Regisseur Hans Weingartner den Bogen eines Menschenlebens im Deutschland der Wohlstandsjahre – Von der ernstgemeinten Revolution, über die Anpassung an die Umstände, bis hin zur Einrichtung im Luxus. Und mit den Menschen, die diese Ideale mal gelebt haben, zeigt er auch sogleich den Weg dieser Ideale. Was früher mal subversiv war, kannst jetzt im Laden kaufen, sagt Jan einmal. Und damit hat er absolut Recht. Wo wir unsere Anarchie-Buttons Ende der 70er noch selber gebastelt haben, kann man vom Che Guevara-T-Shirt bis zu den Erinnerungen von Hans-Joachim Klein nicht nur im Laden, sondern erst Recht im Internet alles kaufen, was der gutbürgerliche Revolutionär so braucht, um sein linkes Bewusstsein zu streicheln. Bloß, wie soll jemand so denn noch ein eigenes und vor allem kritisches Gedankengut entwickeln? Diese ganze Scheiß-Technik hat euch bequem gemacht, aber die anderen, die haben die Wut sagt Jan, und 20 Jahre nach der Entstehung des Films haben die anderen nicht einmal mehr die Wut, sondern nur noch den Wunsch nach dem neuesten Handy. Dass in Bangladesch kleine Mädchen für ein paar Cent in Textilfabriken schuften müssen wie die Wahnsinnigen? Dass globale Konzerne diesen Planeten bewusst und vorsätzlich zerstören, um ihren Profit zu mehren? Dass der Klimawandel nicht erst in der nächsten Generation zuschlagen wird, sondern unser aller Leben jetzt bereits zum Negativen verändert? Das die Amerikaner zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Textes einen Krieg in Europa provozieren, nur um zu verhindern dass Russland Öl in den Westen verkaufen kann? (1) Scheiß drauf!! Das neue Super-Mega-Handy ist doch viel cooler als das alte, und muss jetzt unbedingt für ein irrsinniges Geld gekauft werden.

Spätestens seit dem Mauerfall hat der Raubfisch-Kapitalismus die Herzen und Köpfe der Menschheit gewonnen, und das völlige Fehlen eines Gegenentwurfs erzeugt im positivsten Fall noch Menschen wie Jan und Peter, die am Rande der Gesellschaft permanent gegen den Wohnungsverlust und den Hunger anrennen müssen, die aber gar nicht mehr die Möglichkeit haben, ihre Gedanken zur Lage weder der Welt noch irgendjemandem Interessierten zu Gehör zu bringen – Weil keiner mehr interessiert ist. Nur noch das eigene Wohlergehen zählt, und das Schlimmste ist dabei, dass der Zuschauer dieses Films, genauso wie der Schreiberling dieser Zeilen, da keine Ausnahme macht. 10 Euro im Jahr an Greenpeace als Pflaster für das schlechte Gewissen und gut.

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Solche Gedanken bringt DIE FETTEN JAHRE.. hervor. Ist das nun schlecht? In meine alte Lederjacke passe ich eh nicht mehr rein, und mein Bandscheibenvorfall verhindert aufs Angenehmste, dass ich bei der nächsten Demo auch nur dabei bin. DIE FETTEN JAHRE.. ist das schlechte Gewissen der einstmals kritischen und jetzt gesättigten Existenz, und als solches ist der Film, in aller seiner improvisiert und manchmal fast dokumentarisch zu nennenden Art, ein Geniestreich für die Generation 50+, die sich fragen lassen muss, wo sie nach dem Mauerfall war, und nach dem Film zumindest erklären kann, warum sie jetzt die CDU wählt …

(1) Dieser Text ist in seiner ersten Fassung im Januar 2022 entstanden. Ende Februar ist Russland dann in der Ukraine einmarschiert, und mittlerweile, die Endfassung des Textes datiert auf Ende Mai 2022, stellte sich die Frage, was Putin wohl in der Ukraine wirklich will. Die Frage, die ich in den Raum werfen möchte ist hingegen, von wem wohl die Eskalation im Februar 2014 ausging, die das Russland-freundliche Regime hinwegfegte. Von Russland? Möglich, um einen Einmarsch in die Krim vorzubereiten und damit den wirtschaftlich starken Donbass endlich unter Kontrolle zu bekommen, wie es dann im Frühjahr 2022 ja auch durchgeführt wurde. Es gäbe aber auch noch eine andere Möglichkeit, nämlich dass Scharfschützen im Auftrag einer westlichen Nation unterwegs waren um zu verhindern, dass das russische Öl durch eine, Russland gewogene, Ukraine günstig nach Europa verkauft werden kann. Wenn dieses Szenario, kein russisches Öl für Europa, nämlich eintritt, dann hat ein anderes Land die Möglichkeit, ihr eigenes Öl teurer nach Europa zu verkaufen. Und spätestens dann fällt dem parteiischen Leser auch ein, dass ja der Sohn von US-Präsident Biden im Vorstand oder Aufsichtsrat oder wasauchimmer einer Ölfirma saß …

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9/10

Re: Die fetten Jahre sind vorbei - Hans Weingartner (2004)

Verfasst: So 4. Feb 2024, 17:57
von buxtebrawler
@Maulwurf: Du verfasst eine Rezension im Januar 2022, lässt sie monatelang liegen, um sie anschließend zu überarbeiten, und wartest dann noch einmal über eineinhalb Jahre, bevor du sie veröffentlichst? :-?

Ich notierte kurz und knapp damals:

Engagiert und bis zu einem gewissen Zeitpunkt durchaus glaubwürdig umgesetzt, verfranzt sich aber gegen Ende und schafft es natürlich nicht wirklich, sich komplett von naiven Revoluzzer-Fantasien freizusprechen. Dennoch Daumen hoch für die Themenwahl und die motivierende Wirkung der Umsetzung. Hatte weitaus Schlimmeres, Weltfremderes erwartet.

Re: Die fetten Jahre sind vorbei - Hans Weingartner (2004)

Verfasst: Mo 5. Feb 2024, 05:26
von Maulwurf
buxtebrawler hat geschrieben: So 4. Feb 2024, 17:57 @Maulwurf: Du verfasst eine Rezension im Januar 2022, lässt sie monatelang liegen, um sie anschließend zu überarbeiten, und wartest dann noch einmal über eineinhalb Jahre, bevor du sie veröffentlichst? :-?
:mrgreen: :oops: :palm:

Tatsache ist, dass meine Besprechungen immer ziemlich lange liegen. Selten genug, dass ich aktuelle Filme mal versuche auch aktuell fertig zu bekommen. Aber mit der Überarbeitung und dem anschließenden nochmaligen Liegenlassen dieses Textes habe ich es vielleicht ein wenig übertrieben. Mea culpa! Zumindest wenn Tagesereignisse eingearbeitet werden verspreche ich Besserung!!