Geheimakte M - André De Toth (1959)
Verfasst: So 17. Mär 2024, 05:51
Geheimakte M
Man on a string
USA 1959
Regie: André De Toth
Ernest Borgnine, Kerwin Mathews, Colleen Dewhurst, Alexander Scourby, Glenn Corbett, Hanna Landy,
Vladimir Sokoloff, Friedrich Joloff, Richard Kendrick, Ed Prentiss, Holger Hagen, Bob Iller, Eva Pflug
OFDB
Man on a string
USA 1959
Regie: André De Toth
Ernest Borgnine, Kerwin Mathews, Colleen Dewhurst, Alexander Scourby, Glenn Corbett, Hanna Landy,
Vladimir Sokoloff, Friedrich Joloff, Richard Kendrick, Ed Prentiss, Holger Hagen, Bob Iller, Eva Pflug
OFDB
Der Geheimdienst der Vereinigten Staaten von Amerika, der hier witzigerweise CBI genannt wird, hat den Filmstudiobesitzer und gebürtigen Russen Boris Mitrov im Verdacht, ein Spion zu sein. Er wird überwacht und es stellt sich heraus, dass er seit Jahren mit dem Botschafter der Sowjetunion Colonel Kubelov zusammenarbeitet. Da gerade eine Aktion des CBI (was für ein dämlicher Name) in der Schweiz furchtbar schiefgegangen ist, wird Mitrov auserkoren, der neue Mann für die Beendigung dieser Aktion zu sein: Die Agenten Avery und Sanford wollen Mitrov nach Moskau schicken, um ihn dort im Kreml als Maulwurf zu installieren. Im Gegenzug darf er am Leben bleiben – Spionage war halt schon immer ein lebensgefährliches Geschäft. Das alles klingt schon ziemlich verrückt, aber der Film versichert uns gleich mehrfach, dass in der Realität dieser Plan mit diesem Mann nicht nur existierte, sondern auch erfolgreich durchgezogen wurde …
GEHEIMAKTE M hat so einige Aspekte, die ihn zu etwas ganz Besonderem machen. Da wäre etwa der Umstand, dass der Film on Location in Los Angeles, New York, Berlin und Moskau(!) gedreht wurde. Die zeitgenössischen Bilder aus Berlin kennt man vielleicht noch aus Billy Wilders ein Jahr später entstandenem EINS, ZWEI, DREI, wobei Regisseur De Toth und sein (Berliner) Kameramann Albert Benitz (u.a. DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE, DES TEUFELS GENERAL, BERGE IN FLAMMEN)ein Händchen dafür zeigen, die Ruinen der Stadt sehr eindrucksvoll und passend zur Story einzusetzen. Aber Moskau? Kameramann war ein gewisser Pierre Poincarde, dessen einziger Film dies zu sein scheint. Seine Kamera schwenkt wie in einem Dokumentarfilm über die Menschen und die Häuser, durch die Metro und wieder über die Menschen, während dabei Ernest Borgnine mit seiner weichen Stimme die Ängste und Zweifel schildert, die ihn während seines nicht ganz freiwilligen Aufenthalts quälten. Ein wahrlich beeindruckender Filmmoment, der einen schwebenden Angstzustand perfekt illustriert!
Dann ist da der Umstand, dass, wahrscheinlich durch den Dreh in Berlin, auch einige deutsche Schauspieler zu sehen sind. Susanne Körber-Harlan, die Tochter von Veit Harlan, hat nun keine große Rolle abbekommen, aber Friedrich Joloff spielt eine sehr wichtige Nebenrolle als sowjetischer Geheimdienstgeneral Chapayev, und Eva Pflug beeindruckt als eiskalte Bürokratin im Auftrage des Sozialismus Tanja Rosnova. Der MSS-Mann Grünwald wird von Holger Hagen gegeben, der bis in die späten 80er hinein vielmals im deutschen Fernsehen unterwegs war, und Reinhold Paschs Filmkarriere hatte bereits in der Stummfilmzeit begonnen und erreichte im Dritten Reich Höhepunkte wie DER KAISER VON KALIFORNIEN oder CARL PETERS. Zeit seines Lebens ein Nebendarsteller, aber immer gut beschäftigt.
Der wesentliche Punkt aber, der GEHEIMAKTE M aus der Masse heraushebt, ist seine Haltung gegenüber dem Kommunismus. Etwa ab der Mitte der 50er-Jahre ging in den USA die Ära des McCarthy-ismus zu Ende, aber die Angst vor allem was anders denkt, und vor allem was nicht mit den ehernen Gesetzen des Kapitalismus zu tun hat, diese Angst ist bis heute tief in der amerikanischen Gesellschaft verankert. Und diese Angst hat ab den späten 40ern bis zu den späten 50er-Jahren für eine Reihe stereotyper Krimis und Agentenfilme gesorgt, in denen mutige FBI-Männer den roten Teufeln zeigen wo der Hammer hängt, und deren Narration auf Dauer eher für Langeweile sorgte. GEHEIMAKTE M ist anders! Zwar beginnt er wie so viele dieser Filme damit, dass die USA von kommunistischen Agenten unterwandert seien, und der glorreiche Geheimdienst CBI (lach) dank des Einsatzes fortschrittlichster Technik dieser Gefahr jederzeit Herr werden kann, aber gleichzeitig weigert sich De Toth, seine Hauptfigur Mitrov als jemanden Bösen darzustellen. Ein freundlicher und jovialer Mann, der für sein Filmstudio lebt, den aus der Sowjetunion zurückgekehrten alten Vater hegt und pflegt, und davon träumt, seine noch im Reich des Bösen befindlichen Brüder wieder in die Arme schließen zu können. Ein Umstand, der ihn zu Colonel Kubelov bringt und damit in den Untergang. Denn die CBI (muhaha) zwangsrekrutiert Mitrov im Kampf gegen das linke Pack, und diese Rekrutierung ist bereits ein Affront für jeden Gerechtigkeitsliebhaber. Die beiden Agenten machen es sich in der Hotelsuite Mitrovs gemütlich fordern ihn auf seine Geschichte zu erzählen, und unterbrechen ihn auf das Rüdeste bei fast jedem Wort. Mitrov kann keinen einzigen Satz zu Ende bringen; die beiden Agenten wenden kaltlächelnd autokratische Verhörmethoden ein, um Mitrov unter Druck zu setzen und ihn an die Leine zu nehmen. Fortan ist er der MAN ON A STRING aus dem Originaltitel - Ferngesteuert von kalten Bürokraten, und selbst sein bester Freund und Kollege Avery entpuppt sich als Doppelagent – Die bittere Enttäuschung Mitrovs über diese Enthüllung schmerzt ihn sichtlich und ist ein Tiefschlag mit der amoralischen Keule, und dass Avery billigste Tricks anwendet um Mitrov wieder auf seine Seite zu bekommen macht die Sache nur noch schlimmer*.
Der Zuschauer hat tiefes Mitleid mit Mitrov, und seine Odyssee durch Berlin und Ost-Berlin bis nach Moskau wird durch diese Sympathie zu einer düsteren und traurigen Reise in die Finsternis einer enttäuschten Seele. Trotzdem Mitrov nie den Mut verliert und seine Rolle als Doppelagent perfekt spielt, sind wir immer auf seiner Seite, mit ihm als Humanisten und gegen den amerikanischen Staat, der sich solcher Methoden bedient. Der sowjetische General Chapayev ist dann zwar spürbar einer von den Bösen, aber der Zuschauer schwankt bemerkenswert zwischen Sympathie und Antipathie – Soll man Chapayev nun lieben oder hassen? Sein Auftrag heißt ganz klar Vernichtung, aber sein Lächeln scheint so echt zu sein. Eine Glanzleistung nicht nur Friedrich Joloffs sondern auch des weltmännischen Regisseurs André De Toth, dem (politische) Schuldzuweisungen vollkommen fremd waren.
Die einzigen wirklich Bösen sind die Eheleute Benson – Amerikanische Millionäre und Kommunisten! Die nicht weiter beleuchtet werden, aber allein den Umstand, dass ein amerikanischer Millionär im Jahr 1959 als etwas Verderbtes und Böses dargestellt wird, muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen. Genauso wie die Tatsache, dass der Kommunismus hier nicht per sé in Bausch und Bogen verteufelt wird, sondern als nicht völlig unsympathischer Gegenentwurf zum Kapitalismus gezeigt wird; als politisches System das eben auch seine Existenzberechtigung hat, und mit dem bedauerlichen Auswuchs, dass Menschen wie Rosnova oder Colonel Kubelov das System zu etwas menschenunwürdigem transformieren, analog zu den Bensons, die das gleiche mit dem Kapitalismus machen. Das westliche Wirtschaftssystem ist hier nicht automatisch das allein Seligmachende, und allein bereits dies sorgt dafür, dass GEHEIMAKTE M sich sehr abwechslungsreich und interessant anfühlt.
Und auf der filmischen Seite? Nach einem etwas zerfahrenen und furchtbar dialoglastigen Anfang kommt spätestens mit der Reise nach Berlin viel Schwung in die Handlung, ab dem Übergang nach Ost-Berlin wird die Erzählung dann wie erwähnt düster und eindrucksvoll. In Moskau regieren die ruhigen, fast möchte man sagen depressiven, Töne, bevor es zurück in Ost-Berlin zu einem nervenzerfetzenden (ich meine das ernst!) Showdown kommt. Knubbelgesicht Ernest Borgnine gibt Boris Mitrov viel Tiefe und lässt den Zuschauer an seinem Seelenleben teilhaben. Er nimmt ihn mit auf dieser Reise in die Dunkelheit und wieder zurück, und seinem Können (und der Genialität des Regisseurs) verdanke ich ein filmisches Erlebnis, das diese Reise nach leichten Startschwierigkeiten wirklich lohnt. Als Film ausgesprochen sehenswert, und als Zeitdokument eines Gegenentwurfs fast ein kleines Juwel.
* In diesem Zusammenhang ist die weitere „Karriere“ des Avery-Darstellers Kerwin Matthews als originell zu bezeichnen: Spielt er hier noch den Agenten der CBI (Ichkriegmichnichtein), wird er dann ab 1963 für zwei Filme als Agent O.S.S. 117 in der französischen Erfolgsserie einen Agenten des OSS spielen, der Vorgängerorganisation der CIA die bis 1945 bestand, und zwar in einer Rolle mit französischem Namen in amerikanischen Diensten. Erst 1968 darf er in ZUCKER FÜR DEN MÖRDER dann auch endlich mal tatsächlich für die CIA (tataa) zugange sein.
7/10