Piccadilly Null Uhr Zwölf - Rudolf Zehetgruber (1963)
Verfasst: Do 10. Okt 2024, 05:02
Piccadilly Null Uhr Zwölf
Deutschland 1963
Regie: Rudolf Zehetgruber
Helmut Wildt, Hanns Lothar, Ann Smyrner, Klaus Kinski, Karl Lieffen, Pinkas Braun, Ilja Richter, Marlene Warrlich, Camilla Spira, Rudolf Fernau, Stanislav Ledinek, Albert Bessler, Dieter Eppler, Herbert Grünbaum, Toni Herbert, Erik Radolf, Conny Rux
OFDB
Deutschland 1963
Regie: Rudolf Zehetgruber
Helmut Wildt, Hanns Lothar, Ann Smyrner, Klaus Kinski, Karl Lieffen, Pinkas Braun, Ilja Richter, Marlene Warrlich, Camilla Spira, Rudolf Fernau, Stanislav Ledinek, Albert Bessler, Dieter Eppler, Herbert Grünbaum, Toni Herbert, Erik Radolf, Conny Rux
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Mike Hilton (Helmut Wildt) wird aus dem Gefängnis entlassen, diese Meldung verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Unterwelt, und eine Menge Leute werden nervös. Zum Beispiel der frühere Polizeiinspektor und jetzige Säufer Jack Bellamy (Hanns Lothar), der Hilton in den Knast gebracht hat, der Rechtsanwalt Sir Reginald Cunningham (Pinkas Braun), der Hilton vor Gericht nicht genügend verteidigt hat, oder der Gangsterboss Lee Costello (Karl Lieffen), welcher der eigentliche Drahtzieher jener Geschäfte war, für die Hilton acht Jahre unschuldig gesessen hat. Und alle wissen, dass Hilton nichts mehr zu verlieren hat …
1963 war bei den Wallace-Verfilmungen ein gutes Jahr. DER ZINKER, DAS INDISCHE TUCH und DER SCHWARZE ABT zogen reichlich Publikum in die Kinos. Die Konkurrenz schaute in die Röhre und hätte doch so gerne auch etwas vom Kuchen abgehabt. Und nachdem im Jahr zuvor DAS HALSTUCH im Fernsehen einen überwältigenden Erfolg hatte, warum nicht einen Durbridge-Krimi für das Kino adaptieren? So dachte man sich wohl bei der Divina-Produktion und engagierte Rudolf Zehetgruber, den Durbridge-Krimi „12 past 12“ in Filmsprache zu übersetzen. Dazu ein paar bekannte Stars: Helmut Wildt war damals gerade am Beginn seiner Karriere und machte optisch als harter Knochen auf jeden Fall einiges her, Ann Smyrner ist sehr schneckig und wirklich wunderhübsch anzusehen, und Karl Lieffen, Klaus Kinski und Pinkas Braun sind die großen Zugpferde für das Publikum.
So weit, so gut. Aber irgendwie hat der gute Rudolf Zehetgruber das Ding ziemlich an die Wand gefahren. Hatte er kurz zuvor noch die Durbridge-Verfilmung DIE NYLONSCHLINGE mit Dietmar Schönherr inszeniert und den action- und temporeichen DIE SCHWARZE KOBRA mit Adrian Hoven und ebenfalls Ann Smyrner geschrieben und gedreht, so wirkt PICCADILLY wie ein Film eines anderen, unerfahrenen Regisseurs. Die Story bietet eigentlich jede Menge Platz für Action, schöne und verruchte Frauen und zwielichtige Charaktere (der Ex-Inspektor Bellamy ist mit einer Hure liiert, die für seinen schärfsten Widersacher, den Gangster Costello, arbeitet), aber was passiert im Film: Wenig … Es wird sehr viel geredet, und die Actionszenen sind selbst für das Jahr 1963 sehr zahm gedreht. Ein Beispiel: Bellamy will einen Schläger verhören. Er steht links vom Schläger der am Boden hockt. Er meint sinngemäß „Redest Du jetzt, oder soll ich Dir Dampf machen?“, geht auf die rechte Seite des Schlägers – und der gibt auf. Dann ein kurzer Schnitt zu Hilton, wieder zu dem Schläger – und der hat urplötzlich Verletzungen im Gesicht. Entweder ist meine TV-Aufzeichnung geschnitten, oder ich habe mehrere Minuten nicht mitbekommen (was ich ehrlich gesagt für unwahrscheinlich halte). Die vorhergehende Prügelei zwischen Hilton und den 2 Hackfressen ist dabei auch noch sehr harmlos und langsam gedreht worden, von Tempo und Spannung keine Spur. Da hat Fuchsberger zeitgleich in den Wallace-Filmen schon mehr hinlangen dürfen, und das war dann auch rasanter inszeniert.
Überhaupt das Tempo: Alles geht relativ langsam vonstatten. Cunningham bekommt Besuch und legt vorher noch Unterlagen in seinen Safe. Er geht also zu seinem Safe, legt die Unterlagen hinein, macht die Tür zu, verschließt die Tür, und DANN erst betritt der Besuch sein Büro. Und genau so langsam wie sich das liest, so fühlt es sich auch an. Sprich, das Timing passt einfach nicht, und das sollte einem Zehetgruber auch zu Beginn seiner Karriere aufgefallen sein.
Die Zweithandlung um den kanadischen Erben wirkt teilweise sehr aufgesetzt, und die Lösung dieser Zweithandlung ist bereits extrem früh abzusehen. Auch hier wurde eine Menge Potential verschenkt Spannung aufzubauen, falsche Fährten zu legen und das Publikum auf eine Achterbahnfahrt zu schicken. In den Wallace-Filmen sieht man ja wie so etwas vonstatten gehen kann.
Auf der Habenseite stehen dann vernünftige schauspielerische Leistungen: Hanns Lothar spielt recht zurückhaltend und macht den Säufer damit sehr glaubhaft. Seine gedämpfte Art, verbunden mit dem ein oder anderen Gefühlsausbruch, zeigt einen ansprechenden und glaubhaften Charakter. Karl Lieffen ist fies und böse und mordet am liebsten mit einer Stahlrute. Abgesehen von seiner geckenhaften Kleidung ebenfalls ein überzeugender Auftritt. Niemand, dem man allein im Dunklen begegnen möchte. Pinkas Braun ist genial wie immer, und was mit Klaus Kinski als Albino Whitey passiert, wie er das erste Mal Ann Smyrner zu Gesicht bekommt, das ist (kinski-typisch) genial.
Dass Albert Bessler und Dieter Eppler so gnadenlos verschenkt werden, das ist allerdings schade. Gerade Epplers Figur, die offensichtlich nicht ganz sauber zu sein scheint, hätte bestimmt noch mehr Potential gehabt, das von Eppler sicher hätte gut ausgefüllt werden können. Weil sonst passen die Nebenrollen recht gut: Rudolf Fernau als Inspektor Craddock ist solide, Stanislav Ledinek als Kneipenwirt Sammy macht wie immer Laune, und einzig Ilja Richter als jugendlicher Edgar Wallace (sic!) und Kurt Fips als Bobby nerven etwas – letzterer hatte einfach das Pech die Eddi Arent-Rolle zu bekommen. Gerade habe ich gelesen, dass Kurt Fips den Elmer Fudd bei Bugs Bunny gesprochen hat. Gut, dass ich das vor dem Film nicht wusste, sonst hätte ich die ganze Zeit darauf gewartet, dass er sich umdreht und meint „Pssst, ich jage Gangster“.
Was zum letzten Punkt führt, den Texten. Der flapsige Humor, der einem hier um die Ohren gehauen wird, ist ebenfalls ein absoluter Pluspunkt.
„Ist das ihr Freund?“ „Nein, meine Hausbar“ (über den Säufer Bellamy, der immer eine Flasche Whisky in der Manteltasche hat)
„Ich weiß genau was ich will.“ „Das kann aber gefährlich werden. Solche Dinge enden meist in der Entbindungsstation.“ (bevor sie ihn endlich küssen kann)
Als Fazit bleibt, dass die Wallace-Verfilmungen der Rialto Maßstäbe gesetzt haben in Bezug auf ansprechendes Unterhaltungskino, und dass andere Produktionen der Zeit diesen Maßstab nicht unbedingt erreicht haben. PICCADILLY NULL UHR ZWÖLF ist ein netter Krimi für Zwischendurch, mit einem recht spannend umgesetzten Einbruch, ordentlichen Schauspielern, guten Texten, und einer gehörigen Portion fehlenden Gespürs für das Timing und die Figuren.
Die Zweitsichtung, einige viele Jahre später, birgt dann die Überraschung, dass der Film plötzlich um so einiges gefälliger daherkommt. Auch wenn es hier und da einen kleinen Hänger hat, und auch wenn vor allem Helmut Wildt und Hanns Lothar im Gegensatz zur Erstsichtung nicht immer ganz überzeugend sind, so gefällt das Gesamtbild mittlerweile erheblich besser. Ein schlichter und stimmungsvoller Krimi mit wenigen Überraschungen, einem ausgesprochenen Höhepunkt (der Einbruch beim Rechtsanwalt inklusive Rückzugsversuch via Baukran ist spannend und atmosphärischer Starkstrom zugleich, vor allem mit den parallelen Erzählebenen Klaus Kinski am Boden und Helmut Wildt am Baukran hängend – Der Begriff Cliffhanger bekommt hier eine ganz neue Bedeutung), und irgendwie rockt der Flick plötzlich viel mehr die Hütte als damals. Trotzdem ich in den vergangenen acht Jahren seit der Erstsichtung so viele Filme gesehen habe, trotzdem erreicht PICCADILLY NULL UHR ZEHN mittlerweile das Vergnügungszentrum. Oder vielleicht gerade deswegen? Mit dem ein oder anderen großen Wallacefilm kann der Streifen sicher immer noch nicht mithalten, aber Spaß macht er auf jeden Fall!
5/10
7/10 (Zweitsichtung)