Nackte Gewalt - Anthony Mann (1953)
Verfasst: So 13. Okt 2024, 06:31
Nackte Gewalt
The naked spur
USA 1953
Regie: Anthony Mann
James Stewart, Janet Leigh, Robert Ryan, Ralph Meeker, Millard Mitchell
OFDB
The naked spur
USA 1953
Regie: Anthony Mann
James Stewart, Janet Leigh, Robert Ryan, Ralph Meeker, Millard Mitchell
OFDB
Da ist also dieser Mann. Er könnte Jack heißen, oder Wallace, nennen wir ihn hier aber Howard. Howard jagt einen anderen Mann, Ben, quer durch das Land. Howard will Ben tot sehen. Warum? Wegen Geld – Howard ist Kopfgeldjäger und kann an Ben 5000 Dollar verdienen. Alles andere interessiert ihn nicht, nur das Geld, das er mit Bens Tod verdienen kann
Dann dieser andere Mann, Jesse Tate. Ein alter Digger, müde von der Erfolglosigkeit, ausgezehrt von der vergeblichen Jagd nach Gold. Für 20 Dollar ist er bereit, Howard zu helfen. Ben an den Galgen zu bringen. Für 20 Dollar. Hauptsache ein klein wenig Geld in der Hand haben.
Und Roy. Roy kommt frisch aus der Armee, und er hat nur zwei Interessen in seinem Leben: Frauen und Geld. Für einen Fick tut er absolut alles, und wenn es sein muss legt er sich sogar mit den Indianern an, Hauptsache vögeln. Roy ist unehrenhaft aus der Armee entlassen worden, und er ist laut seinen Entlassungspapieren moralisch zweifelhaft. Bei der Jagd auf Ben bietet Roy sich freiwillig und ohne Not an. Er wittert das schnelle Geld und das Abenteuer. Und als klar ist, dass Ben eine Begleiterin hat, regt sich ganz natürlich auch das Ding in seiner Hose.
Auf der anderen Seite haben wir besagten Ben, einen relativ jung wirkenden Springinsfeld, der aus fadenscheinigen Gründen gehetzt wird, und auch wenn die wahren Gründe niemals wirklich genannt werden, so spürt der Zuschauer doch, dass er der Sympathieträger dieses Films sein muss. Sein sollte. Dass seine nassforsche Art nur die Unsicherheit überdecken soll, die Unerfahrenheit und die Unreife. Was wirklich in Ben steckt? Der Zuschauer wird es erfahren, und ich darf spoilern, dass Ben den anderen Charakteren dieses Films, seinen Verfolgern, in Punkto moralischer Verkommenheit in nichts nachsteht.
Der letzte Charakter des Films ist Lina, ein junges Mädchen, das rettungslos in Ben verliebt ist, und mit ihm gemeinsam flüchtet. Eigentlich hätte es Kalifornien werden sollen, ein neues Leben, eine eigene Farm, irgend sowas. Die fremden Männer, die ihren Ben an den Galgen bringen wollen, machen Lina keine Angst, dafür ist sie zu selbstbewusst und zu stark. Aber ausgerechnet die attraktive Frau sollte vielleicht besser Angst haben vor Psychopathen wie Roy. Oder Frauenhassern wie Jesse. Oder klugen Gewalttätern wie Ben …
Anfang der 50er-Jahre hatte sich in den USA, und nicht nur dort, die Gesellschaft im Vergleich zu derjenigen 10 Jahre vorher grundlegend verändert. Die Männer waren in den Krieg gezogen, hatten dem Tod ins Auge geblickt bei dem Versprechen, die freie Welt oder Recht und Ordnung oder Ruhm und Ehre oder andere dumme Schlagworte zu verteidigen. Sie gaben ihr Leben und ihre (geistige) Gesundheit bei dem Versuch, heil durch diese Hölle zu kommen, und als sie wiederkamen zu ihren Frauen, die versprochen hatten auf sie zu warten, da waren aus diesen pflegeleichten und anschmiegsamen Schönheiten knallharte und selbstständige Arbeiterinnen geworden, die ihr Leben in die eigenen Hände nehmen konnten. Die Welt hatte nicht auf die Heimkehrer gewartet, ja sie konnte mit diesen zerstörten Gestalten, deren Erinnerungen und Erfahrungen, die sie um den Schlaf brachten, oft nicht einmal mehr etwas anfangen. Was machen solche Männer?
Howard ist genau so ein Mann. Howard zog in den Bürgerkrieg, und seine Frau versprach, auf ihn zu warten. Damit die Frau versorgt ist, überschrieb ihr Howard die Farm. Und als er aus dem Krieg zurückkam, da war die Farm verkauft, und die Frau hatte einen anderen Mann. Howard braucht jetzt das Geld, um sich seine Farm zurückzukaufen. Aber nicht nur seine Farm, sondern auch sein Leben. Das frühere Leben, seine geistige Gesundheit, seinen Frieden. Und um diesen Frieden willen bringt er anderen Männern den Tod. Aus dem Farmer Howard ist ein Krieger geworden, dessen einziges Gesetz seine Waffe und seine eigene Stärke ist. Howard ist ein bedingungsloser Einzelgänger (geworden), und in dem Augenblick, als er sich auf andere verlässt, ist er verloren. Gerät er in die Fänge der gesellschaftlichen Abhängigkeiten, mit denen er so gar nichts anfangen kann.
Irgendwann im Film sitzt Howard in einer Höhle, und draußen stehen Metallschalen in die es regnet. Jede Schale klingt anders wenn die Tropfen in sie fallen, und Lina macht Howard auf die dadurch entstehende Musik aufmerksam. Eine zarte und bis dahin kaum vorstellbare Romantik durchzieht Howard, und er taut auf und erzählt Lina von seiner Vergangenheit. Zu spät merkt er, dass Lina ihn nur von Bens Fluchtversuch ablenken will. Als Reaktion fegt er mit den Stiefeln alle diese unnützen Schalen beiseite – Der Versuch, sich das frühere Leben mit schönen Worten zurückzuholen, kann nicht funktionieren. Nur die Gewalt scheint erfolgversprechend. Die Gewalt, die er im Krieg kennengelernt hat, die seine Frau angewendet hat, und die ihn seither verfolgt …
NACKTE GEWALT ist ein hochgradig verstörender Film, der nihilistisch daherkommt und vermeintlich dem Materialismus und der Gewalt huldigt. Natürlich ist schnell klar, dass diese Weltsicht nicht funktionieren kann. Dass der Antagonist, also Ben, lange Zeit der Sympathieträger ist, das ist schon sehr bemerkenswert und zeichnet somit das Bild einer Welt, die sich von dem Abgrund, in den sie im Krieg geblickt hat, niemals wirklich fortbewegt hat. Nimm Deine Waffe und setze Deine Weltsicht durch, koste was wolle, so lebte es die führende Nation des Westens im Jahr 1953 vor, und so scheinen es die Hauptdarsteller nachzuahmen. Howard, der sich seine glückliche Vergangenheit zurückkaufen will. Jesse, der für Geld alles macht und keinerlei Rücksichten auf andere nimmt, ja seine Gefährten sogar verrät, obwohl ihm klar sein muss, dass die Versprechungen vom Goldfund nur eitel Tand sind. Und natürlich Roy. Roy, der eine Indianerin vergewaltigt hat, und von deren Stamm seitdem gejagt wird. Als sich die Möglichkeit bietet ist Roy sogar bereit, seine Gefährten zu opfern, nur um vor den Indianern sicher zu sein: In dem Augenblick, in dem Howard mit dem Stamm verhandeln will, erschießt Roy den Häuptling aus dem Hinterhalt und provoziert so ein Massaker. Tote Indianer? Dahingemetzelte Pferde? Dass die kleine Gruppe auch hilflos hätte abgeschlachtet werden können? Alles gleich, Hauptsache das eigene Leben ist gerettet. Howard wird während des Kampfes schwer verletzt, aber Roy ficht das nicht an, und Howard tatsächlich noch viel weniger. Ben muss an den Galgen, alles andere zählt nicht. Zwecknihilismus, gibt es sowas? Anscheinend schon …
James Stewart ist hier auf der Höhe seiner Schauspielkunst. Kein Mr. Smith mehr der nach Washington geht, kein George Bailey, der seine kleine Welt vor dem Untergang bewahrt. Stattdessen ein misanthropischer und gewalttätiger Rabauke, der einen alten Mann am Lagerfeuer zuerst einmal auf Waffen untersucht, selbstverständlich mit gezücktem Colt, ohne groß weitere Erklärungen zu liefern. Der andere Mann könnte ja immer und überhaupt ein Mörder sein, und er, Howard Kemp, ist das Opfer. Seine eigenen Kriegserfahrungen kann James Stewart hier voll ausspielen – Die Gemeinschaft aus Männern, die zwar aufeinander angewiesen ist um zu überleben, sich aber niemals gegenseitig wirklich vertrauen kann, weswegen nur der Einzelne allein überlebensfähig ist, solange er stark und arrogant genug ist. Mehrere solcher Typen in einer Gruppe, denn Roy ist da nicht anders, von Ben ganz zu schweigen, führen zwangsläufig in einen Zweikampf, und auch wenn dieser hier nur angedeutet wird, so sind die Spannungen zwischen Howard und Roy einerseits, und Howard und dem Rest der Welt anderseits, geradezu mit Händen zu greifen, und permanent am Schwelen. Die völlig aufgesetzte (und überflüssige) Liebesgeschichte zwischen Howard und Lina, die zu einem abrupten und unglaubwürdigen Schluss führt, wirkt wie ein Fremdkörper und hat eigentlich nur den Zweck, die Situation zwischen Howard und Roy auf die Spitze zu treiben. Und natürlich das Kinopublikum des Jahres 1953 nicht völlig zu verschrecken. Ohne diesen Schluss möchte ich mich sogar zu der Aussage versteigen, dass wir hier einen frühen Archetypen eines Italo-Western sehen können: Der harte und einsame Loner in einem erbarmungslosen Kampf um einen Batzen Geld. Der Weg bis zu DJANGO ist von hier aus tatsächlich nicht mehr weit …
7/10