In a Violent Nature - Chris Nash (2024)
Verfasst: Di 5. Nov 2024, 12:44
Originaltitel: In a Violent Nature
Produktionsland: Kanada 2024
Regie: Chris Nash
Cast: Ry Barrett, Andrea Pavlovic, Cameron Love, Reese Presley, Charlotte Creaghan, Liam Leone
Etwas abgekühlt werden musste meine Begeisterung, bevor ich meine Eindrücke zum 2024er Slasher IN A VIOLENT NATURE in die Tastatur haue, und dennoch wird man in jeder Zeile spüren, wie innig ich diesem Film zugetan bin, von dem ich nicht viel erwartete und der mir wohl auch deshalb eine umso unerwartete Sichtungserfahrung beschert hat.
Dabei ist die Formel, auf die der Film baut, relativ simpel: Plottechnisch haben wir es mit einem prototypischen Slasher zu tun. Eine Gruppe junger Leute beim Zelten unweit eines (verfluchten) Feriencamps irgendwo in der kanadischen Wildnis; ein Medaillon, das an den Überresten eines Feuerturms baumelt, und das einer der Camper spontan einsteckt; ein untoter Killer, der sich aus dem Erdboden erhebt, nachdem das Schmuckstück gepflückt worden ist, und sodann keuchend und im Schneckentempo durch den Forst stapft, um alles und jeden niederzumetzeln, was seinen Weg kreuzt; die Erkenntnis, dass es sich um einen gewissen Johnny handelt, einen kognitiv eingeschränkten Buben, der vor vielen Jahren Todesopfer eines bitterbösen Streichs anderer Ferienlagerbewohner geworden ist, und der eigentlich nur sein Medaillon zurückhaben möchte, um ewige Ruhe finden zu können - wie gesagt, es sind Standardszenarien, tradierte Topoi, ein Figurenarsenal zudem wie aus dem Baukastensatz, was IN A VIOLENT NATURE uns präsentiert, sodass sein Drehbuch wirkt wie ein Schmelztiegel von allem, was jenseits von FRIDAY THE 13TH seither an Backwood-Slashern heruntergekurbelt ist. Was also reizt mich an diesem generischen Stück Genrekino so sehr, wo ich doch sonst wenig zimperlich mit modernem Horrorkino umspringe, wenn es einzig Konventionelles wiederkäut?
Die Story mag bewusst originalitätsbefreit anmuten, die Mise en Scène ist es nicht - oder, anders gesagt: Es handelt sich um eine Inszenierungsstrategie, die man beileibe nicht in einer Metzelorgie wie dieser erwarten würde. "Ambient Slasher" wurde IN A VIOLENT NATURE irgendwo genannt; andere Rezensenten stellen Bezüge zum sogenannten "Slow Cinema" her, also zu Arthouse-Filmen, die sich durch lange Einstellungen, eine beobachtende Erzählposition, einen minimalistisch-reduktiven Narrationsmodus auszeichnen, und in der Tradition von Kritikerlieblingen wie Robert Bresson oder Yasujiro Ozu stehen; der Regisseur selbst gibt zu Protokoll, er habe IN A VIOLENT NATURE im Stil einer Naturdoku drehen wollen - und all diese Vergleiche sind eben keine hohlen Marketing-Stunts, sondern treffen exakt ins Schwarze.
Über weite Strecken folgt IN A VIOLENT NATURE seinem Killer bei seinen Forstflanerien; die Kamera befindet sich meist hinter ihm, mit etwas Abstand zum massigen Rücken; intradiegetische Musik gibt es im gesamten Film nicht, dafür drängen sich uns die Naturgeräusche umso heftiger auf: die schweren Stiefel des Schlächters im Unterholz, das Rascheln von Baumwipfeln im Wind, ferne Vogelstimmen, Insektenzirpen, ein gluckerndes Bächlein. Losgelöst vom Film könnte allein die Tonspur als die einer Widlife-Documentary durchgehen, und zahllose Bilder ebenfalls, all die statischen Einstellungen auf Details des Waldbodens, auf das Kräuseln der Wasseroberfläche eines Sees, auf die endlosen Palisaden von Nadelbäumen. Die "eigentliche" Story verläuft dann quasi parallel zu Johnnys ruhelosen Wanderungen auf der Suche nach seinem Medaillon: Immer wieder trifft der Hüne auf Menschen, die er zerhacktstücken muss, weil sie sich beispielsweise - auch das ganz Slasher-typisch - non-heteronormativem Verhalten wie Drogenkonsum oder gleichgeschlechtlicher Liebe hingegeben haben, oder es wird versucht, ihm eine Falle zu stellen - wobei der Plot, da wir ja die meiste Zeit dem Antagonisten über die Schulter schauen, naturgemäß absolut fragmentarisch daherkommt, es etliche Leerstellen gibt, wir unser eigenes Genrewissen aktivieren müssen, um ihm en détail folgen zu können.
Allerdings ist IN A VIOLENT NATURE sowieso ein extremer Fall von "Style over Substance": Was er erzählt, ist zweitrangig; wichtiger ist, WIE er dieses Etwas erzählt. Mangelnde inszenatorische Stringenz jedenfalls kann man ihm nicht vorwerfen bei der Generierung einer meditativen, traumwandlerischen, im positiven Sinne sedierenden Atmosphäre, aus der man dann aber, wenn das nächste Opfer auf dem Plan steht, durch recht wüste Splatterszenen jäh herausgerissen wird - wobei ich es als eines der wenigen Mankos des Films empfinde, wie sehr er die Körperdekonstruktionen seines Kanonenfutters dann doch zuweilen über Gebühr zelebriert, und mir vielleicht gewünscht hätte, dass sich das Werk noch heftiger in seinen Beobachtungen von Flora und Fauna suhlt. Ansonsten aber erweckt IN A VIOLENT NATURE den Eindruck, als ob man einem aktuellen Vertreter des "kontemplativen Kinos" wie Michelangelo Frammartino, Lisandro Alonso oder Ben Rivers ein herkömmliches Slasher-Drehbuch in die Hände gedrückt hätte. Klare Kongruenzen gibt es zudem zum literarischen Äquivalent des "Nature Writing", das in letzter Zeit durch Autoren wie Robert Macfarlane oder, in Deutschland, Judith Schalansky in aller Munde ist, also Texte, die pendeln zwischen einer subjektiven Perspektive des schreibenden Individuums und dem Anspruch einer objektiven naturwissenschaftlichen Position, was, angewandt auf IN A VIOLENT NATURE, vergleichbar wäre mit den erzählerischen Anteilen und denen, in denen die Kamera emotionslos einzig aufzeichnet, was ihr vors Objektiv gerät.
Für jemanden wie mich, der durchaus Fan des "Slow Cinema" ist, dem dort manchmal aber dann doch zuweilen das eine oder andere handgreiflichere narrative Element fehlt, und der ebenso dem "Slasher"-Genre zugeneigt ist, dem dort aber wiederum oftmals die innovativen Ansätze fehlt, ist IN A VIOLENT NATURE das perfekte Stück Film: Mein genre-geiles Ich kann sich erfreuen an zweckentfremdeten Holzspaltmaschinen, an Erweckungsszenen à la klassischem Gothic Horror, an farblosen Teenies, deren Horizont bei Sex und Booze endet; mein Ich, das von einem Film angestrengt, herausgefordert, auf die Geduldsprobe gestellt werden möchte, kann sich erfreuen an einer sperrigen Inszenierung, die um keinerlei minutenlange schnittlose Kamerafahrt, keinerlei reglose, einen Tick zu lang andauernde Einstellung verlegen ist.
Höhepunkt indes für mich die letzten zehn Minuten: Das dürfte eins der großartigsten Filmenden sein, die ich in letzter Zeit gesehen habe, und da hat mich der Film, nachdem ich meinte, ihn durchschaut zu haben, tatsächlich noch einmal auf völlig subtile Weise kalt überrascht.