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Berlin-Express - Jacques Tourneur (1948)

Verfasst: Di 7. Jan 2025, 05:10
von Maulwurf
 
Berlin-Express
Berlin express
USA 1948
Regie: Jacques Tourneur
Merle Oberon, Robert Ryan, Charles Korvin, Robert Coote, Reinhold Schünzel, Roman Toporow, Peter von Zerneck, Otto Waldis, Fritz Kortner, Michael Harvey, Paul Lukas, Tom Keene, Taylor Allen, Will Allister ,Frank Alten, Robert Boon, Ernest Brenc


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OFDB

Deutschland im Jahre Null: Eine Gruppe von Männern und eine Frau in einer zerstörten Stadt. Zwei Amerikaner, ein Russe, ein Brite und eine Französin suchen in den Ruinen von etwas, was einmal Frankfurt war, einen Deutschen. Um ihn zu retten. Um den Frieden in Europa zu retten.

Unglaublich bedrückende und finstere Bilder. Der Zug fährt bei Tageslicht in Frankfurt ein, und die Kamera zeigt ausschließlich Ruinen. Später, wenn die Reste von Berlin zu sehen sind, wird der Off-Sprecher die Zerstörungen mit denen von Hiroshima vergleichen, und tatsächlich drängt sich dieser Vergleich beide Male auf. Wenn Robert Ryan und Merle Oberon ziel- und hilflos durch eine Steinwüste laufen, und jemand meint, dass dies der Rest des alten Frankfurts sei, der sogenannte Römer, dann läuft auch heute noch ein Schauer über den Rücken des Zuschauers. Doch gerade bei Nacht, wenn die kleine Gruppe durch die dunklen Ruinen stromert, auf der Suche nach einem Mann der verhindern möchte, dass diese Katastrophe noch einmal passiert, wenn sie dann entsetzt feststellen müssen, dass in diesen wüsten Schutthaufen auch noch Menschen leben, dann ist das Entsetzen komplett. Bei den Charakteren. Und beim Zuschauer.

Eindrucksvolle Bilder, und doch ist es schwierig, diese Mischung aus pulpiger Story und tief unter die Haut gehenden Bildern mit der billigen Message zu packen und überzeugend zu beschreiben. Diese niederdrückenden Bilder, die tiefen Schatten, in denen sich die Charaktere bewegen müssen, und die sich auch auf ihre Seelen legen, die machen den Film zumindest grafisch zu einem besonders intensiven Vertreter eines Noirs. Beginnt BERLIN-EXPRESS noch in einem sonnendurchfluteten Paris, wo sich die Kamera auch nicht zu schade ist, bestrumpfte Damenbeine in den Fokus zu rücken, so macht diese fast heitere Stimmung schnell der Politik Platz. Sieben Männer und eine Frau in einem Zug, Reisegenossen, die sich erst miteinander anfreunden müssen, und nur der Zuschauer weiß, dass die Ähnlichkeiten unter den Männern größer sind als sie selbst ahnen. Perrot ist unterwegs im Dienste des amerikanischen Verteidigungsministeriums, eine höfliche Umschreibung für einen Agenten im Außeneinsatz. Sterling war britischer Soldat in Dünkirchen und ist jetzt Lehrer. Kiroshilov war in Stalingrad und ist jetzt in der Administration beschäftigt. Jeder von denen hat im Krieg seine Erfahrungen gemacht und seine (seelischen) Narben davongetragen. Im Gegensatz zu Robert Lindley, der das erste Mal in Europa ist, und sichtlich schockiert ist ob dieser entsetzlichen Zerstörung. Der Welt, aber auch der Menschen. Und dann ist da noch Dr. Heinrich Bernhardt, ein deutscher Professor, der vor den Besatzungsmächten in Berlin seinen Plan zur friedlichen Wiedervereinigung der Besatzungszonen darlegen soll, zusammen mit seiner Sekretärin Lucienne. Und Hans Schmidt - Wir werden nie wirklich erfahren wer Hans Schmidt ist, denn in dem Augenblick, in dem der Off-Sprecher dessen Beruf darlegen will, geht die Pfeife des Zuges …

Auf Dr. Bernhardt wird ein erfolgloses Attentat verübt, was die kleine Gruppe, die alle Augenzeugen dieses Attentats sind, zu einem Zwangsaufenthalt bei der Militärpolizei in Frankfurt bringt. Dort wird Dr. Bernhardt dann entführt, und Lucienne kann die Männer aus denjenigen Ländern, die noch vor kurzem Nazi-Deutschland erbittert bekämpften, überzeugen, eine Suche nach einem Deutschen zu beginnen um diesen Mann zu retten. Eine Suche, die sie tief in die Abgründe Frankfurts führen wird. In die Unterwelt Frankfurts, und dieser Begriff ist hier durchaus wörtlich zu verstehen.

Spannend ist hier nicht unbedingt die Story. Im Gegenteil ist die Geschichte eher eine Revolverposse, die sich auch nur bedingt mit überzeugenden Begründungen und gleich gar nicht mit einem ausgefeilten und wendungsreichen Verlauf aufhält. Dr. Bernhardt ist ein MacGuffin wie er im Buche steht, hat wenig Tiefe, und der Zuschauer fiebert nur bedingt mit ihm mit. Nein, die Hauptsache und das wirklich Überzeugende an BERLIN-EXPRESS sind die Männer der Gruppe, die im Land des vormaligen Feindes gemeinsam in einem Zug fahren, umgeben sind von Menschen die vor ein paar Jahren noch von ihnen bekämpft wurden, und die sich jetzt mit der Realität des Kalten Krieges abfinden müssen. Und die dabei aufeinander angewiesen sind um gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Die Abneigung, welche die Amerikaner dabei gegenüber den Deutschen empfinden, ist bemerkenswert, doch durch Dr. Bernhardt wird eine übergreifende Botschaft der Völkerverständigung adressiert, nicht nur an die Charaktere, sondern auch an den Zuschauer. Eine Botschaft, die auch heute noch ihr Ziel nicht verfehlt. Gerade der Russe, der sich durch seine Abstammung und seine Kampferfahrung als etwas Besseres fühlt, muss die Erfahrung machen, dass Menschen anderer Nationen sich auch als Freunde entpuppen können. Für ihn eine neue Erfahrung wirkt dies im ersten Augenblick durchaus wie eine billige und aufdringliche Botschaft, die auch dem Zuschauer ohne große Begründung um die Ohren gehauen wird. Obwohl sie deswegen noch lange nicht falsch ist.

Und diese unterschiedlichen Menschen treffen nun auf eine Gruppe Deutscher, die den Krieg noch einmal fortführen will. Eine kleine Gruppe Werwölfe, die mit dem Tod Dr. Bernhardts das überstandene Grauen und das sie umgebende Chaos ungeschehen machen wollen. Hier ist die Geschichte überzeugender, ist die Spannung auch greifbarer, und gleichzeitig lässt sich eine direkte Linie bis heute ziehen, den auch heute gibt es (wieder) viel zu viel dieser Schwachköpfe, denen Ehre und Patriotismus über Humanismus gehen.

In Summe überwiegen dann, auch wenn sich das vielleicht anders liest, tatsächlich die positiven Seiten des Films, werden die von flachen Figuren vorgetragenen plakativen Botschaften überwältigt von den grandiosen Bildern der nächtlichen Ruinen und der spannenden Suche nach einem früheren Feind inmitten einer fremden und feindlichen Welt. BERLIN-EXPRESS ist der durchaus gelungene Versuch, das zerstörte Europa, die zerstören Gesellschaften und die zerstörten Menschen in einen Kontext zu dem zu rücken, was durch diesen schrecklichen Krieg verloren gegangen ist. Eine Kriminalgeschichte, ein Thriller, und gleichzeitig ein Antikriegsfilm. Auch und gerade heute absolut sehenswert!

7/10