Salome - Charles Bryant/Alla Nazimova (1922)
Verfasst: Do 6. Feb 2025, 05:01
Salome
Salome
USA 1922
Regie: Charles Bryant
Alla Nazimova, Rose Dione, Mitchell Lewis, Nigel De Brulier, Earl Schenck, Arthur Jasmine, Frederick Peters, Louis Dumar
OFDB
Salome
USA 1922
Regie: Charles Bryant
Alla Nazimova, Rose Dione, Mitchell Lewis, Nigel De Brulier, Earl Schenck, Arthur Jasmine, Frederick Peters, Louis Dumar
OFDB
Das Mysterium der Liebe ist unergründlicher als das des Todes. Und wo die Liebe so hinfällt … Doch das, was Salome für den Propheten Jokanaan empfindet ist nicht Liebe sondern Besitzdenken. Denn Salome, die Tochter von Herodia, die ihrerseits die Frau des judäischen Statthalters Herodes ist, ist ein typisches IT-Girl. Sie will Aufmerksamkeit, die Welt muss sich um sie drehen, und wenn sie etwas Neues sieht muss sie es besitzen. Es haben, anfassen, ihr Eigentum nennen können, und dann, wenn sie damit gespielt hat, verliert sie das Interesse daran. So geht es auch mit dem Propheten Jokanaan, der von Herodes in einen tiefen Brunnen gesperrt wurde, um vor dem Zorn der Juden geschützt zu sein. Salome sieht den Propheten, verliebt sich in ihn und befreit ihn, damit sie ihn küssen kann. Doch der Prophet ist ein wahrhaft heiliger Mann, der sein Leben seinem Gott gewidmet hat, und verweigert Salome eine Berührung, von einem Kuss gleich ganz zu schweigen. Salome ist stocksauer, und als ihr Stiefvater sie auffordert zu tanzen, und sie sich für einen Tanz einen Wunsch nach Belieben erfüllen könne, da willigt Salome ein. Herodes denkt da an Juwelen, an kostbare Geschmeide, ja er wäre sogar bereit, Salome die Hälfte seines Reiches zu geben. Doch die will etwas anderes: Den Kopf von Jokanaan auf einem silbernen Tablett …
Diese unglaubliche Dekadenz, die Verschwendungssucht, die Ausbeutung, Herrschsucht und Egoismus, Grausamkeit und auch geschickt angedeutete Wollust – Was da in den einzelnen Szenen alles zum Vorschein kommt wirkt wie ein Sammelsurium des Hedonismus, wie ein Pandämonium orgiastischer Vergnügungen. Und da die literarische Vorlage zu diesem Film von Oscar Wilde stammt, der ja nun alles andere als ein Kind von Traurigkeit war, kann man hier grundsätzlich sicher von einer gelungenen Literaturverfilmung sprechen: Die Darstellung eines in jeder Hinsicht unmoralischen Verhaltens und die Kulissen und Kostüme, die nach der Vorlage der Zeichnungen von Aubrey Beardsley im Roman von Wilde entstanden sind, treffen den Geist der Erzählung mutmaßlich auf das Genaueste. Selbst 100 Jahre nach seiner Entstehung kann dem Zuschauer noch schaudern, wenn er diesem Niedergang einer früheren Hochkultur zuschauen muss. Können wir in dieser 1922er-Verfilmung des klassischen Stoffes einen frühen Exploitationer erblicken?
Der New Republican schrieb 1923: „Die tödliche Verlockung des Sexus, die Wildes Stück wie ein schleichendes Gift durchdringt, wird in dem Augenblick ausgetrieben, in dem man ihrer [Alla Nazimovas] knabenhaften Gestalt gewahr wird.“, und leider muss diese Aussage als wahr angesehen werden. Die Nazimova ist hier ein Kindfrau, eine Lolita, die sich ihrer Grausamkeit nicht bewusst ist, und in ihrer Unschuld gleich noch einmal so abstoßend wirkt. Gleichzeitig ist die ganze Anlage der Figur Salome so durch und durch unsympathisch – Ein verwöhntes und unausstehliches kleines Frauchen, das als Herrschertochter gewohnt ist ihren Kopf durchzusetzen, gegebenenfalls einen Schmollmund aufsetzt damit Papi das macht was sie will, und ansonsten Dienern, Soldaten, Eltern Befehle gibt die gefälligst umzusetzen sind, und zwar nur und ausschließlich zur Zerstreuung der einzigen wichtigen Person im Palast!
Nein, diese Salome ist wahrlich keine Sympathieträgerin. Was ja nicht so schlimm wäre, da sie auf diese Weise der Darstellung des Sittenverfalls letzten Endes die Krone aufsetzt. Doch was, im filmischen Sinne, eine mittlere Katastrophe ist: Salome ist auch nicht sexy, und hat nicht den Hauch einer sinnlichen Ausstrahlung. Alla Nazimova mag eine großartige Tänzerin gewesen sein, und als Schauspielerin kann sie mit den Größen ihrer Zeit durchaus mithalten. Aber in SALOME wird sie um jeden Preis als erotischer Wunschtraum inszeniert, wird sie in jedem Moment als begehrenswerte Kindfrau gemalt, der alle Männer zu Füßen liegen sollten – Und wirkt dabei teilweise so trocken, dass die ganze Zurschaustellung von Verfall und Sünde, der Versuch von verderbter Erotik und schändlichem Verhalten, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, weil die Figur, die diese Lasterhaftigkeit präsentieren soll, weitgehend in ihrer Lächerlichkeit aufgeht. Wenn man sich dann die wenigen existierenden Ausschnitte von Theda Baras Salomé aus dem Jahr 1918 anschaut, und erahnen kann wie dieser Film ausgesehen haben mag, dann wird die Lächerlichkeit der Nazimova erst recht Programm.
Und so wundere ich mich nicht, dass SALOME vor rund hundert Jahren in der Publikumsgunst durchfiel. Für die hochgestochenen Kunstliebhaber war der Film nicht künstlerisch wertvoll genug, und für das einfache Volk wiederum zu hochgestochen, so würde ich mir das denken. Was eigentlich sehr schade ist, denn wenn man die Nazimova einmal ausblendet stellt man schnell fest, dass SALOME als Film ein wunderbar in Szene gesetztes und mit Liebe zum Detail erzähltes Märchen ist. Gerade in der viragierten Fassung, in der die Szenen im Palastinneren eine andere Färbung haben als diejenigen im Garten, wird eine ganz eigene Magie erzeugt. Wir sehen immer wieder den Mond (und ahnen, was Claude D’Anna in seiner großartigen 1985er-Version des Stoffes inspiriert hat), wir sehen immer wieder den schwachen Herrscher mit seiner widerwärtigen und herrischen Frau, wir sehen die aufmüpfige Tochter, die sich gegen die althergebrachten Riten versucht zu wehren, und dies alles eingebettet in eine zarte und doch erschreckend brutale Geschichte von Blut und eingebildeter Liebe. Eben ein Märchen, mit all seiner Grausamkeit und mit all seiner Zärtlichkeit.
Was wäre wenn. Wenn nicht Alla Nazimova die Hauptrolle gespielt hätte sondern vielleicht Asta Nielsen oder Theda Bara? Wenn die Figur nicht als Lolita angelegt worden wäre sondern als sinnliche und reife Frau, die sich nach Liebe sehnt statt nach Besitz? Wäre die Ausgangssituation der Erzählung dann vielleicht konterkariert worden? Ich kann es nicht sagen, da mir die Kenntnis der Vorlage fehlt. Aber so oder so sind diese Gedanken müßig, der Film ist halt nun einmal von und mit der Nazimova gedreht worden*, und leider leider tut dies dem Film nicht wirklich gut. Vielleicht sollte man sich einmal ernsthaft mit Wildes Erzählung beschäftigen. Wobei ich gelesen habe, dass gerade diese SALOME-Verfilmung extrem vorlagentreu sein soll …
* Die damals ausgesprochen erfolgreiche Alla Nazimova war bisexuell, ihr Ehemann Charles Bryant homosexuell. Vorlieben, die im Amerika dieser Jahre tödlich gewesen wären für jede Karriere. Aus diesem Grund heirateten Nazimova und Bryant (mutmaßlich, andere Quellen behaupten, dass das dieser Umstand nur vorgeschoben war), und ergaben damit ein perfektes Künstlerehepaar, ohne dass dies Ehe allerdings jemals vollzogen worden ist. Und da Frauen zudem als Regisseurin nicht akzeptiert wurden, konnte Bryant den Ruhm einheimsen als offizieller Regisseur für Filme, die in Wirklichkeit von seiner Frau gestaltet und gedreht wurden. SALOME allerdings war ein so eklatanter Misserfolg, dass diese Konstellation das Ende des Arrangements bedeutete – Für Charles Bryant war dies der letzte Film, für die Nazimova war die große Filmkarriere erstmal zu Ende, und sie widmete sich, von drei kleineren Filmen 1925 abgesehen, wieder dem Theater. Erst zu Beginn der 1940er-Jahre war sie wieder im Kino zu sehen, und zwar in einer Reihe antideutscher Propagandafilme.
6/10