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Josefine Mutzenbacher - Kurt Nachmann (1970)

Verfasst: Fr 7. Feb 2025, 14:21
von buxtebrawler
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Originaltitel: Josefine Mutzenbacher

Herstellungsland: Deutschland / Österreich (1970)

Regie: Kurt Nachmann

Darsteller(innen): Werner Abrolat, Astrid Boner, Hilde Brand, Kurt Bülau, Günter Clemens, Alan D'Arnand, Kai Fischer, Bert Fortell, Helmut Früchtenicht, Harry Hardt, Kurt Hepperlin, Renate Kasché, Nino Korda, Walter Kraus, Helga Machaty, Maria Mante, Hans Moellinger u. A.
Das Wiener Vorstadtmädchen Josefine Mutzenbacher wird vom eigenen Vater mißbraucht und von einem Untermieter auf die Straße geschickt. Die frechfrivole Josefine bringt es mit ungewöhnlichen Liebes-Eskapaden zur gesuchtesten Praterdirne. Eines Tages findet sie zusammen mit ihrer Kollegin Zenzi den Kaufmannssohn Adrain, der bei einem Duell verwundet wurde. Ein Arzt entfernt die Kugel und beschwört die Damen, Adrian wachzuhalten. So kommt es, daß Josefine aus ihrem bewegten Leben erzählt. Dem braven Adrian wird abwechselnd heiß und kalt.
Quelle: www.ofdb.de

Re: Josefine Mutzenbacher - Kurt Nachmann (1970)

Verfasst: Fr 7. Feb 2025, 14:23
von buxtebrawler
„Sie sind eine verkappte Sozialistin!“

Die Erstverfilmung des berüchtigten, anonym veröffentlichten Erotikromans „Josefine Mutzenbacher“ aus dem Jahre 1906 durch den in erster Linie als Drehbuchautor in Erscheinung getretenen Wiener Regisseur Kurt Nachmann („Die nackte Gräfin“) datiert aufs Jahr 1970 und ist ein Resultat der damals nach der sexuellen Revolution gelockerten Bestimmungen in Bezug auf nackte Tatsachen und die Darstellung von Sexualität im Film.

„Josephine ist die lebende Anklage gegen die Lüge dieser Zeit...“

Die US-amerikanische Lady J. (Kai Fischer, „Das Wirtshaus im Spessart“) stattet dem Ministerialrat Marbach (Bert Fortell, „Blitzmädels an die Front“) einen Besuch ab, nachdem dieser das puritanisch-spießige Buch „Sitte und Moral“ veröffentlicht hat. J.s Moralvorstellungen kollidieren mit denen Marbachs, weshalb sie ihn in ein Hotel des Wiener Milieus führt. Sie erteilt ihm eine Lehrstunde in Sachen sexueller und sozialer Realität sowie gesellschaftlicher Doppelmoral, indem sie ihm die Lebensgeschichte der Wiener Prostituierten Josefine Mutzenbacher erzählt. Diese war als heranwachsendes Vorstadtmädchen vom eigenen Vater (Uli Steigberg, „Er kann’s nicht lassen“) missbraucht worden, stieg aber zur begehrten Wiener Dirne auf. Irgendwann geht Marbach ein Licht auf: Er hat die Mutzenbacher die ganze Zeit vor sich. Ein Umdenken setzt ein und er hat genügend Stoff für sein nächstes Buch zusammen, in dessen Mittelpunkt Josefine Mutzenbacher stehen wird…

Nachmanns gewieft um eine Rahmenhandlung ergänzte Verfilmung beginnt mit einem von ihm höchstpersönlich gesungenen Lied über Mutzenbacher. Ambiente, Kulissen, Kostüme und eine Kutschfahrt durch den Ort stimmen auf den Zeitpunkt der Handlung zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Mutzenbachers Leben wird in Form vieler kurzer, immer wieder von der Rahmenhandlung (oder weiteren Gesangseinlagen) unterbrochenen Episoden erzählt. Softsexszenen werden zum Teil mittels absichtlich voyeuristisch wirkender Wackelkamera eingefangen, die wie Point-of-View-Perspektiven Mutzenbachers wirken sollen. Diese wird nicht mehr von Fischer, sondern von Erotik-Aktrice Christine Schuberth („Heißes Pflaster Köln“) gespielt. So sorgfältig hier in Sachen Ausstattung auch gearbeitet wurde und so spielfreudig das Ensemble auch agiert, so harmlos, unspektakulär und eher langweilig fallen vor allem aus heutiger Sicht die Szenen aus, in denen es ans Eingemachte geht.

Einen gewissen Kontrast bilden die in diesem Zuge ebenfalls visualisierten Missbrauchserfahrungen mit ihrem Vater oder auch jenem Pfaffen, der während ihrer Beichte noch im Backfischalter über sie herfällt. Diese gehen einher mit Sozialkritik und Spitzen gegen die doppelmoralistische Oberschicht, wagen aber (wie auch vermutlich die mir unbekannte Literaturvorlage) nicht den nächsten Schritt, aus Missbrauch und widrigen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen resultierende Prostitution entsprechend kritisch zu betrachten. Damit ist auch die Handlung nicht frei von einer gewissen Doppelmoral, wenngleich von vornherein deutlich sein sollte, dass es sich eben in erster Linie um einen erotischen Unterhaltungsfilm handeln soll. Dass die finale Wendung lange vorhersehbar ist, tut dem wiederum kaum einen Abbruch, denn auf Spannung ist die Dramaturgie natürlich ebenso wenig ausgelegt.

Eine der Episoden fällt mir albernen Animationen und Luftschlangen weiter ab, während in anderen Momenten mit Jump Cuts und Freeze Frames Gestaltungswille bewiesen wird und die Kameraarbeit überzeugt. Als sich ein paar Kinder auf Ösisch über Sex unterhalten, wären Untertitel angebracht gewesen, denn man verseht kein Wort. Alles in allem in Nachmanns Film ein höchstens netter Versuch, der sich weder in die eine noch in die andere Richtung sonderlich viel traut. In den nächsten zwei Jahren folgten zwei Fortsetzungen, bevor Hans Billian eine Pornovariante des Stoffs realisierte.

Re: Josefine Mutzenbacher - Kurt Nachmann (1970)

Verfasst: Sa 8. Feb 2025, 15:18
von FarfallaInsanguinata
Josefine Mutzenbacher C.jpg
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