Töte, Django - Giulio Questi (1967)
Verfasst: Di 14. Dez 2010, 20:55
Originaltitel: Se sei vivo spara
Herstellungsland: Italien / 1967
Regie: Giulio Questi
Darsteller: Tomas Milian, Ray Lovelock,Piero Lulli, Milo Quesada, Roberto Camardiel, Miguel Serrano, Ángel Silva, Sancho Gracia, Marilù Tolo, Mirella Pamphili, Francisco Sanz, Patrizia Valturri
Thomas Milian schließt sich als namenloser Fremde (in der deutschen Fassung natürlich als Django) einer Gruppe Banditen an, mit denen er zusammen den ultimativen Goldraub durchführen will. Nur leider spielen die mit falschen Karten und entledigen sich all ihrer Helfer mittels Kugeln. Nur Milian überlebt die Schüsse schwer verletzt und während er von zwei Indianern gesundgepflegt wird, wittern die Bewohner der nächsten Stadt, in der die Banditen inzwischen unterkamen, schnell, dass die nicht mit leeren Taschen eingetroffen sind...
Nach der ersten Sichtung war ich wohl etwas enttäuscht von SE SEI VIVO SPARA, da ich im Vorfeld viel zu viel über ihn las, vor allem, welch surreale Erfahrung er sein soll, garniert mit Namen wie Arrabal und Jodorowsky, die eine Erwartungshaltung in mir hervorriefen, die der Film schlußendlich nicht wirklich erfüllen konnte. Vielleicht sah ich auch schon zu viele Außenseiterfilme, um SE SEI VIVO SPARA auf diese Weise besonders wertzuschätzen zu können, denn ich fand ihn eigentlich, aus filmischer Sicht, rein vom technischen Aspekt her, bis auf wenige Ausnahmen (v.a. die rasant geschnittene Szene gleich zu Beginn) relativ gewöhnlich und leicht konsumierbar (da verdient es bspw. KEOMA schon viel mehr mit Surrealismus in Zusammenhang gebracht zu werden, wo die visuelle Kreativität ja tatsächlich teilweise überschäumt): auch der Narration lässt sich problemlos folgen, obwohl ich anerkennen muss, dass der Film rein inhaltlich schon seine Eigenständigkeit innerhalb des Genres beweist: für jeden Western-Enthusiasten, der zusehen will wie glorreiche Helden verwerfliche Banditen niederschießen, wird der Film wohl eher ernüchternd wirken: es gibt kaum spektakuläre Schießereien, der Held wandelt wie ein Toter umher, es gibt kaum einen Sympathieträger in dem gesamten Film: ein bisschen Gold und Menschen werden zu Hyänen. Wo der normale Italo-Western im Stil von Leone mit den Stilmitteln der amerikanischen Edelwestern bricht, bricht Questi demnach mit den Erwartungen der Zuschauer, die sich nun bereits auf Italo-Western-Klischees einstellten, und unterwandert diese ständig: die Banditen verhalten sich in der Stadt eigentlich einigermaßen friedlich, sobald die Bewohner wittern, dass sie Gold in den Taschen haben, werden sie auf bestialischste Weise umgebracht, der Vater lässt lieber seinen eigenen Sohn sterben als zu verraten, wo er einen Teil des Golds versteckte, der Sohn ist in die Verlobte des Vaters verliebt etc. Rein inhaltlich könnte man einen Film wie Lynchs BLUE VELVET als Referenz heranziehen, dessen Anliegen es ja auch ist, eine friedliche Oberfläche herabzukratzen und darunter die niedrigsten Instinkte und verwerflichsten Triebfedern zu enthüllen. Dennoch fand ich rein optisch nur wenig, das ich brillant nennen möchte (rein was Avantgardismus betrifft, hat sich Questi in DEATH LAID AN EGG da wesentlich wilder ausgetobt). Ein paar Szenen stechen dennoch heraus: eine der wohl eindrücklichsten ist die, in der der Banditenchef von seinen Kugeln befreit werden soll: man stellt fest, dass diese aus Gold sind, und jeder will sie sich in seinen Wunden wühlend sichern, worauf er natürlich qualvoll verstirbt: eine ehrlich erschütternde Szene. Eine zweite, in der die Dorfbewohner über einen der Indianer herfallen und ihn skalpieren, leidet, meiner Meinung nach, darunter, dass das Blut in der Szene so künstlich aussieht wie Kunstblut nur aussehen kann, und auch der Effekt an sich ziemlich durschaubar ist (aber gut, in einem Film von1967 erwartet niemand eine Splatterorgie). Womit wir zu der Szene kommen, bei der ich nur sprachlos dasaß: Milian befindet sich in Christuspose im Gefängnis. Der Bösewicht droht ihm mit Folter, wenn er ihm nicht das Goldversteck verrate. Nein, er schlitzt ihn nicht auf, lässt ihn nicht auspeitschen, prügelt nicht auf ihn ein, er steckt ihn mit einer Fledermaus, einer Echse und einem Gürteltier in die Zelle, worauf – habe ich das richtig verstanden!? – Milian solche Panik bekommt und solche Qualen erleidet, dass er doch ausspricht, dass sie auf dem Friedhof suchen sollen – ich meine: bitte was? Okay, DIESE Szene ist wirklich surreal. Was sonst noch gefiel: die Schwarzröcke des Halunken, die wohl eine eindeutige faschistische Referenz sein sollten, die homosexuellen Banditen, die sich mit dem Knaben offenbar sexuell vergnügen, was mich an EL TOPO erinnerte, sowie der Umstand, dass das Finale ohne allzu viel Brimborium auskommt: Milian schießt einmal und der Bösewicht stürzt: mehr nicht: eine Ohrfeige für die, die einem actionreichen Showdown entgegensahen. Unterm Strich ist das kein schlechter Film, beileibe nicht, nur für mich eben kein Meisterwerk sondergleichen.
(Die Gürteltier-Fledermaus-Echsen-Szene wäre übrigens auch ein gutes Beispiel für die These: der Film kann noch so seriös sein, etwas Wirres findet sich doch, wenn Italo-Kino draufsteht: ich komme darüber ehrlich gesagt einfach nicht hinweg: ich bin mir nicht sicher, ob man die Szene in irgendeiner Weise symbolisch deuten kann – wofür stehen Gürteltiere in der allgemeinen Tiersymbolik? – oder ob ich sie schlicht lächerlich finden soll: nein, vielmehr finde ich sie großartig, sie passt auch gut zu einigen Späßen, die sich Questi in DEATH LAID AN EGG erlaubt: unglaublich.)