„Wenn du einen Römer aus Rom rausholst, ist er überall auf der Welt gleich unmöglich!“
Nach „Die Viper“ war der
Poliziesco „Camorra – Ein Bulle räumt ein“ die zweite Zusammenarbeit des italienischen Regisseurs Umberto Lenzi mit Maurizio Merli, beide Filme kamen im Jahr 1976 in die Lichtspielhäuser. Zudem ist dies der zweite Film, in dem der von Merli verkörperte rabiate Kommissar den verglichen mit seinem testosteronschwangeren Auftreten sehr weiblichen Namen Betti trägt; zuvor verkörperte er diese Rolle bereits in Marino Girolamis „Gewalt rast durch die Stadt“, der gleichzeitig Merlis Genredebüt darstellte.
Kommissar Betti verschlägt es von Rom nach Neapel, das Schauplatz zahlreicher Verbrechen ist, vom einfachen Handtaschendiebstahl über Schutzgelderpressungen bis zum gemeinen Mord. Und fast alle Fäden führen immer wieder zum „Generale“ (Barry Sullivan, „Planet der Vampire“), dem führenden Kopf der mafiösen Camorra, die Angst und Schrecken verbreitet. Selbst der zwielichtige Industrielle Francesco Capuano (John Saxon, „Black Christmas“) fürchtet ihn mittlerweile und steht auf dessen Abschusslisten. Mit seinen gewohnt unorthodoxen Methoden, die bei seinen Vorgesetzten nicht gerade auf Gegenliebe stoßen, geht Betti gegen das Verbrechen vor – in aller Konsequenz.
„Solange ich atme, entkommt mir keiner!“ (denkt nicht daran, die Luft anzuhalten: Betti)
Als wirkliche Fortsetzung zu Girolamis unbeholfenen, stumpfsinnigen Film ist „Camorra – Ein Bulle räumt auf“ eher nicht zu betrachten, denn Kommissar Betti ist hier nicht der primitive Idiot, der er noch in seinem Debüt war – dennoch ist mit ihm auch hier natürlich alles andere als gut Kirschen essen. In einer schön konstruierten Eröffnungssequenz wird er unmittelbar nach seiner Ankunft in Neapel auf spezielle Weise „gewarnt“, indem man ihn erst anrempelt, dann beinahe über den Haufen fährt und ihm ein graumelierter Herr schließlich aufzupassen rät. Daraufhin verprügelt Betti erst einmal einen Autodieb und schleppt ihn mit auf die Wache, wo sich der Delinquent manch Beleidigung gefallen lassen muss. Körperverletzung im Amt und Beleidigung sind eigentlich auch gesetzlich untersagt, doch statt seine Kollegen und sich selbst zur Strafe zu verprügeln und damit endgültig in einen Teufelskreis zu geraten, aus dem es kein Entrinnen gibt, widmet sich Betti wichtigeren Dingen.
„Wir müssen so schnell zuschlagen, dass sie’s kaum mitbekommen – Blitzkrieg!“ (deutsche Tugenden auch beim ehemaligen Verbündeten)
„Camorra – Ein Bulle räumt auf“ steckt schon voller wüster Prügeleien und markiger Sprüche, bevor immer brutalere Szenen Einzug halten. Eine ganze Aneinanderreihung unterschiedlicher Verbrechen in recht hoher Frequenz verleiht dem Film ein hohes Tempo sowie kurzweilige Episodenhaftigkeit, einzelne Erzählstränge werden indes immer wieder als rote Fäden aufgegriffen: Der „Generale“ und seine Schutzgelderpressungen, dessen Fehde mit Capuano sowie rätselhafte Banküberfälle, deren Hauptverdächtiger dadurch ein Alibi hat, stets pünktlich zum Erfüllen seiner Bewährungsauflagen auf der Wache zu sein. Klassisch nach Kriminalfilm-Manier ermittelt wird dabei kaum, dazu kommt man auch gar nicht, denn ständig passiert etwas in diesem actionreichen Reißer. In Lenzis filmischen Paralleluniversum ist Polizist ein extrem gefährlicher Beruf und so wundert es dann angesichts ständiger Gefahr für Leib und Leben wenig, dass – quasi aus reiner Selbstverteidigung heraus – Folter als polizeiliche Methode ebenso akzeptiert und glorifiziert wird bzw. vom Zuschauer werden muss wie willkürliche Polizeimaßnahmen
(„Sperrt ihn für’n paar Tage ein!“). Jedoch ist die Selbstjustiz der Herren Beamten und allen voran des blondgescheitelten Schnauzbartprolls Merli/Betti gar nicht unbedingt das dominierende Elemente des Films und auch nicht zwingend seine Botschaft – vielmehr geht es hier um Action, eingebettet in eine klassische Geschichte Gut gegen Böse, fein abgeschmeckt mit italienischen Zutaten. So ist einer der Höhepunkte sicherlich die rasante, mehrminütige Motorradfahrt durch dichten Großstadtverkehr, die teilweise aus subjektiver Perspektive
(Point of view) gefilmt wurde. Gleich der nächste Ausritt wird zu einem nervenkitzelnden Wettlauf mit der Zeit und mit Betti. Das Geschehen verlagert sich zeitweise auf die Dächer Neapels und bietet einmal mehr Raum für faszinierende Aufnahmen der italienischen Metropole, wie sie Bestandteil vieler Polizeifilme und Thriller der 1970er sind und je älter sie werden, umso mehr Bedeutung als Teil einer filmischen Zeitreise erlangen. Während einer Bahnfahrt entwickelt ein Gangster, den der Zuschauer zuvor eher als Gentleman kennengelernt hat, einen ungeahnten Sadismus und Betti riskiert gar das Leben einer Geisel. Diese Szene gipfelt in einem weiteren Höhepunkt der Gewalt, aber auch in einem waghalsigen Stunt, den Merli offensichtlich selbst durchführt. Überhaupt ist es durchaus imponierend, wie verbissen Merli seine Rolle spielt – ein grimmiger Typ, dem nur ein kleiner Junge ein Lächeln entlockt.
Die Dialoge stecken voller derber Beleidigungen, manch fiese Gangstervisage lugt ins Bild, nicht wenige davon mit einem gewissen Wiedererkennungswert anhand anderer Genre-Produktionen, und der „Generale“ wurde so richtig schön hassenswert gezeichnet und ebenso von Barry Sullivan gespielt – u.a. beweist er, wie gefährlich der Bowling-Sport sein kann. Der immer gern gesehene John Saxon gibt in seiner im sehr geschickt konstruierten Finale an Bedeutung gewinnenden Rolle den aalglatten Typen, dem mit legalen Mitteln schlicht nicht beizukommen ist und selbst zum Opfer auserkoren wurde. Näher charakterisiert werden die Verbrecher jedoch nicht, weder in Bezug auf ihre Charaktere, noch auf ihre sozialen Hintergründe. Sie dienen vor allem als Projektionsflächen für Klischees, aber auch für negative menschliche Eigenschaften und die Ängste der besonders seinerzeit angesichts der Verbrechensrate italienischer Städte verunsicherten Zuschauer. Besagtes Finale leitet scheinbar ein „Dirty Harry“-Ende ein, zeigt Betti zumindest ungewohnt nachdenklich und zweifelnd, bekommt aber dann doch noch einmal die Kurve. Ein leicht melancholisches, gesungenes Lied im Abspann passt gut zu diesen finalen Szenen dieses schwer unterhaltsamen weiteren Vertreters des gnadenlos überzeichneten Selbstjustiz-Bullenfilms à la italiano, der einmal mehr mit einem kongenialen treibenden, aufpeitschenden Soundtrack versehen wurde, für den in diesem Falle Franco Micalizzi verantwortlich zeichnet.
So fragwürdig die Glorifizierung von Polizeigewalt und anderen Gesetzesübertretungen Uniformierter auch ist, so sehr taugen diese eng mit ihrer Zeit verbundenen
Polizieschi zu Unterhaltungszwecken. Der Kollege Monezza von
http://www.filmtipps.at sprach in diesem Zusammenhang einmal von Suchtgefahr und als anfänglicher Genre-Skeptiker kann ich das mittlerweile gut nachvollziehen. Im Gegensatz zu US-amerikanischen Action-Orgien wirken diese Filme irgendwie organischer und mehr aus dem Bauch heraus, ihr Grundprinzip ist meist einfach und übersichtlich, allzu hohe Anforderungen an den Zuschauer werden nicht gestellt. Kennt dieser einen, kennt er zwar nicht alle, aber weiß, wie der Hase läuft, kann sich an immer neuen Variationen des Themas erfreuen, hat durch ähnlich angelegte Rollen und oftmals auch identische Schauspieler hohe Wiedererkennungseffekte und bekommt im Idealfall reichlich Spannung, Nervenkitzel und Gewalt geboten. Nach einem nicht ganz unähnlichen Prinzip funktionieren z.B.
Slasher; einer Sucht, der ich schon lange verfallen bin.