PEPI, LUCI, BOM Y OTRAS CHICAS DEL MONTÓN sind seine Produktionsbedingungen unübersehbar eingeschrieben. Pedro Almodóvar, heißt es, dreht sein Spielfilm-Debut über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren. Der Cast setzt sich zusammen aus Freunden und Bekannten, die, da sie unterhalb der Woche Brotberufen nachgehen, weitgehend nur wochenends zur Verfügung stehen. Das Budget ist limitiert, weshalb man als Locations auf Szenelokale und Privatwohnungen zurückgreift. Auch das Drehbuch, das weniger eine stringente Handlung enthält als eine teilweise außerordentlich bunt zusammengewürfelte Aneinanderreihung schriller Szenen, die oftmals einzig durch ihr Personal miteinander verbunden sind, sowie die teilweise noch ordentlich holprige technische Umsetzung und die eine oder andere geschmackliche Entgleisung erzählen in wenig mehr als siebzig Minuten beredet davon, unter welchen Umständen die Abenteuer um die drei ungleichen und doch ziemlich gut miteinander auskommenden Frauen Pepi, Luci und Bom entstanden sein müssen und wo im Gesamtoeuvre Almodóvars sie daher einzuordnen sind. Wer indes schon mehr als eine Filmrezension von mir gelesen hat, den wird es nicht wundern, dass all das, was in den Ohren eines Mainstream-Kinogänger ziemlich defizitär klingen mag, für mich, einmal mehr, gerade den Reiz dieses kleinen versauten Filmchens ausmacht - zumal ich eigentlich recht sicher bin, dass Almodóvar und seinem Team es sowieso weniger darum ging, eine komplexe Narration zu stricken als darum, ein bestimmtes Lebensgefühl auf 16mm zu bannen.
Dieses Lebensgefühl, das ist das der sogenannten „Modiva madrileña“, einer Jugendbewegung, die sich, nach dem Tod General Francos 1975, einen exzessiven Hedonismus auf die Fahne geschrieben hat, und darunter alles subsumiert, was im autokratischen Spanien verpönt gewesen ist: Sex, gerne auch gleichgeschlechtlicher, Drogen, Punk-Rock, Transvestitentum – und eben mit kaum vorhandenem Budget inszeniertes Underground-Kino, das all diese Dinge sozusagen dem Puls der Zeit abfühlt. Ausgehend davon, dass ein benachbarter Polizeibeamter auf dem gut einsehbaren Balkon von Pepi eine ganze Marihuana-Plantage entdeckt, er sie aufsucht und ihr, in einem libidinösen Rausch, kurzerhand vergewaltigend die Jungfernschaft raubt, worauf Pepi ein paar befreundete Rockmusiker zusammentrommelt, um ihren Peiniger zusammenschlagen zu lassen, dabei aber fälschlicherweise dessen Zwillingsbruder zu fassen kriegt, was ihren Rachdurst nur noch mehr zum Schäumen bringt, entrollt Almodóvar ein Panorama der Subkultur, in der er und wohl sämtliche am Film Beteiligten sich seinerzeit bewegt haben, entführt in gerne frequentierte Bars, zu Konzerten stilprägender Punk-Bands, führt eine Parade an unkonventionellen Figuren vor, die im Prinzip nur eins wollen: Leidenschaft, und zwar auf allen Ebenen. Dass darüber die eigentliche Geschichte weit in den Hintergrund rückt – Pepi nämlich schmeißt sich an Luci, die masochistisch veranlagte Frau des Polizisten heran, verführt und verschleppt sie in den Modiva-Kosmos, wo sie alsbald gemeinsam mit der Punk-Sängerin Bom ein infernalisches Trio bilden -, ist wohl Teil des Konzepts, und dass ich PEPI, LUCI, BOM Y OTRAS CHICAS DEL MONTÓN fast mehr als Dokumentation der Schwulen-, Party- und Kunstszene im Madrid der späten 70er und frühen 80er aufgefasst habe, liegt wohl weniger an mir als an dem Film selbst, der ständig oszilliert zwischen theatralisch inszenierten Spielszenen und Momenten, die sich genauso vielleicht auch ohne Almodóvars Kamera zugetragen haben mögen. Dabei darf man sich freilich keinen Illusionen über den Stil hingeben: Die Montage ist brüsk, der Ton direkt, die Kameraarbeit spröde, die Sprache vulgär. Die oft erwähnten Gemeinsamkeiten zur bewussten Trash-Ästhetik im Frühwerk John Waters kann ich guten Gewissens unterschreiben, wobei mir Almodóvars Film aber dann doch einige Niveaustufen über den Exzessen in solchen Werken wie PINK FLAMINGOS oder FEMALE TROUBLE angesiedelt zu sein scheint. Statt verschissenen Unterhosen, Sex mit Hühnern und dem Verzehr echten Hundekots bei Waters, ist noch das Schlimmste, mit dem mich PEPI, LUCI, BOM Y OTRAS CHICAS DEL MONTÓN zu schockieren versucht, eine goldene Dusche aus dem Unterleib Boms in das Gesicht Lucis – natürlich ohne graphisch zu werden, denn es gibt hier weder Geschlechtsteile zu sehen noch sind gar die nominell übelsten Szenen anders als in dem verspielten, vergnügten Tonfall abgedreht, der den gesamten Film durchzieht, und der selbst eine Vergewaltigung eher komisch als grausig wirken lässt.
Obwohl, zumindest meines Wissens nach, kein aktiver Bestandteil der Modiva-Bewegung, haben mich vor allem die vielen Bezüge und Gemeinsamkeiten zwischen Almodóvars Debut und einem meiner liebsten Filme, dem etwa zeitgleich entstandenen ARREBATO von Iván Zulueta interessiert. Nicht nur, dass Cecilia Roth, die Hauptdarstellerin in ARREBATO, auch in PEPI, LUCI, BOM Y OTRAS CHICAS DEL MONTÓN mitwirkt – und zwar in einer Reihe von metadiegetischen Werbespots, die man gesehen haben muss, um sie zu glauben -, und nicht nur, dass auch Zuluetas Film, wenigstens in seinem letzten Drittel, in Großstadtszenen voller Trans-Gender-Figuren, Kokain-Linien und Punk-Rock-Clubs schwelgt, vor allem ist es bezeichnend, dass beide Filme über einen selbstreflexiven Diskurs verfügen, in dem sie sich, mehr oder minder, kritisch oder weniger kritisch hinterfragen. Während Zulueta in ARREBATO die Mythen bzw. die Mythologie des Kinos bis hin zur Transzendenz überhöht – der Film endet ja damit, dass die Protagonisten quasi von der Filmkamera ausgelöscht werden, d.h. dass die Fiktion über die Realität triumphiert -, bleibt Almodóvar in seinem Debut zwar auf dem ordinären Boden der Tatsachen – was er, wohl meine liebste Szene des ganzen Films, schon dadurch zeigt, dass er selbst in einem Cameo-Auftritt als Schiedsrichter bei einem Penisgrößen-Wettbewerb auftritt -, trotzdem lässt er seine drei Hauptfiguren immer wieder davon sprechen, dass sie mitten in der Produktion eines Films stecken würden, der von ihren eigenen Abenteuern handeln sollte – ein Film im Übrigen, von dem wir in Almodóvars Film wiederum niemals einen Schnipsel sehen kriegen, und der deshalb möglicherweise identisch ist mit PEPI, LUCI, BOM Y OTRAS CHICAS DEL MONTÓN selbst?
Historisches Zeitdokument und hysterische Over-Acting-Revue, irgendwie ist dieser süße Saustall von Film beides zugleich, und wohl trotzdem oder gerade deswegen nichts für die meisten Menschen, die sich, wie ich, eben erst in HABLE CON ELLA verliebt haben, und nun auf der Suche nach weiteren verrückten Liebesgeschichten aus der Feder des Spaniers sind. Was kann ich froh sein, dass ich so open-minded bin…