Napoli... Serenata calibro 9 - Alfonso Brescia
Verfasst: Di 17. Mai 2011, 23:40
Cover der italienischen DVD von RaroVideo
Napoli... Serenata calibro 9 (Italien 1978, Originaltitel: Napoli... Serenata calibro 9)
Ein Trällerklops nimmt Rache
Salvatore Savastano (Mario Merola) verdient seinen Lebensunterhalt als Schmuggler, er ist ein kleiner Gauner, der mit Mord und Totschlag nichts am Hut hat. Vor allem ist Salvatore ein Familienmensch, er liebt seine Frau und seinen kleinen Sohn über alles. Zur Kommunion des Sprößlings richtet der stolze Vater ein angemessenes Fest aus, die Stimmung ist fröhlich und herzlich. Ohne jede Vorwarnung bricht finsteres Unheil über Salvatore herein. Eine Bande maskierter Gauner überfällt die Feier, sammelt mit Waffengewalt die Habseligkeiten der Gäste ein. Als das Kommunionkind zu seinem Vater eilen will, eröffnet ein Gangster rücksichtslos das Feuer, tötet Salvatores Frau und Kind. Savastano ist ein gebrochener Mann, der nur noch von einem Gedanken angetrieben wird, er will Rache für seine ermordete Familie. Trotz eindeutiger Warnungen der örtlichen Polizei, beginnt der vom Schmerz gezeichnete Schmuggler mit Ermittlungen auf eigene Faust. Dabei trifft er auf den kleinen Gennario (Marco Girondino), der sich ohne Eltern irgendwie durchs Leben schlägt. Der pfiffige Junge erinnert Salvatore an seinen eigenen Sohn, doch die Gier nach Rache kann durch diese Freundschaft nicht gestillt werden...
In späten siebziger-/frühen achtziger Jahren, trug die Zusammenarbeit von Regisseur Alfonso Brescia und Hauptdarsteller Mario Merola einige Früchte. Zuvor hatte sich Merola bereits als Sänger einen Namen gemacht, als Schauspieler mag er nicht zu den Grössen seiner Zunft gehören, doch er hinterlässt ohne Zweifel einen gewissen Eindruck. Die Hauptfigur dieses sympathischen Streifens, weicht ein wenig von den üblichen Helden und Anti-Helden des italienischen Polizei- und Gangsterfilms ab. Salvatore Savastano ist weder ein eisenharter Kommissar, noch ein skrupelloser Verbrecher der über Leichen geht. Erst die schrecklichen Ereignisse machen ihn zum Rächer, aber er stellt sich dabei nicht besonders geschickt an, gerät immer wieder an seine Grenzen.
Gerade weil der wichtigste Charakter dieses Films ein "eigentlich" durchschnittlicher, unscheinbarer und recht unauffälliger Typ ist, erweist sich Mario Merola als gute Wahl für diese Rolle. Der dickliche Bursche agiert stets am Limit, ist seinen Qualen weder seelisch noch körperlich gewachsen. Aber die Rache treibt ihn immer wieder an, lässt ihn über sich hinauswachsen. Zu Beginn tischt uns Brescia die volle Dröhnung Kitsch auf, Salvatore Savastano schmettert zu Ehren seines Sohnes ein Liedchen, fast wähnt man sich im falschen Film. Dann verwandelt sich das nahezu groteske Treiben in einen reinrassigen Genrebeitrag, maskierte Gangster sorgen für Krawall, es wird gepöbelt und gestorben. Auch wenn der zuständige Commissario (Nunzio Gallo) den verzweifelten Savastano ins Gebet nimmt, mutet alles nach den üblichen Standards an. Sofort wird diese Stimmung aufgebrochen, denn die beiden "Hilfsermittler", die sich im Auftrag des Commissario an Salvatores Fersen heften, verfügen offenbar über die kriminalistischen Fähigkeiten von Toastbroten. Hinzu kommt noch die herrliche überdrehte Transe, die in den anfallenden Szenen im Polizeirevier für Stimmung sorgt. Eine ganz andere Richtung schlägt der Film bei der Schilderung der Beziehung von Salvatore zu seinem "Ersatzsohn" Gennario ein, die teils sehr rührselig angelegt wurde, dabei aber durchaus echte Emotionen zu Tage fördert, den Zuschauer kaum unberührt lassen dürfte. Alles mündet in einen Showdown, der Geballer und eine Verfolgungjagd mit Booten auffährt, der Ausklang drückt gewaltig auf die Tränendrüse.
"Napoli... Serenata calibro 9" ist freilich kein Klassiker seines Genres, aber die Konsequenz mit der Alfonso Brescia immer wieder weit über den Tellerrand blickt, ist auf besondere Art mutig und interessant. Überrascht hat mich der kleine Marco Girondino, der die Rolle des Strassenjungen wirklich grossartig spielt. Er hat nicht nur mit Mario Merola tolle Szenen, sondern auch mit seiner kleinen Freudin, deren Mutter es gar nicht gern sieht, wenn sich ihre Tochter mit einem "solchen Burschen" rumtreibt. Die Darbietungen der Kinder muten nie nach mühsamen Laienspielversuchen an, sie verdienen ein grosses Lob für ihre tollen Leistungen! Zugegeben, die oft extremen Unterschiede der gerade vorherrschenden Stimmung, lassen den Film hin und wieder in Stückwerk zerfallen. Teils muten die Sprünge unrund an, wirken geradezu befremdlich. Doch obschon der Plot mehr als einmal ins Taumeln gerät, bekommt der Flick auf charmante Art immer wieder die Kurve. Die gute Kameraarbeit von Silvio Fraschetti soll nicht unerwähnt bleiben, wir bekommen schöne Einblicke in das pulsierende Neapel. Auch der Score gefällt, selbst das Geknödel von Mario Merola passt.
Einsteigern möchte ich diesen Film nicht empfehlen. Er ist vermutlich besser bei toleranten Genrefans aufgehoben, die Lust auf einen besonderen und eigenwilligen Beitrag verspüren. Spätestens wenn der geradezu zwangsläufig auftauchende Hehler, seinen Knecht anweist den umgeschnallten Buckel abzunehmen, wird sich der nicht gänzlich unbedarfte Zuschauer vor Freude die Hände reiben. Die italienische DVD von RaroVideo bietet den Film im Originalton an, englische Untertitel lassen sich auf Wunsch zuschalten. Leider ist das Bild nicht anamorph. Schade, denn ansonsten ist die Bildqualität brauchbar. Auf Boni muss man verzichten, erfreulicherweise wird die Scheibe zu fairen Kursen gehandelt.
Erneut erweist sich eine Bewertung per Zahlenraster als sehr schwierig. Ich mag den Film sehr, doch mehr als 6/10 (obere Mittelklasse) sind nicht drin, die Verwandtschaft ist zu übermächtig. Genrefans, traut euch ran!
Lieblingszitat:
"I've been reduced to a wreck"