Ruanda - Philippe Van Leeuw (2009)

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horror1966
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Ruanda - Philippe Van Leeuw (2009)

Beitrag von horror1966 »

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Ruanda
(Le jour ou Dieu est parti en voyage)
mit Ruth Nirere, Laetitia Reva, Juliette Nsengiyumya, Afazali Dewaele, Pacifique Niyotwizera, Mariam Mupenzi, Aphrodice Tuyizere, Pierrick Le Pochat, Ismael Dusengimana, Lola Tuyaerts, Emmanuel Kayitaba
Regie: Philippe Van Leeuw
Drehbuch: Philippe Van Leeuw
Kamera: Marc Konincks
Musik: Keine Information
FSK 16
Belgien / Frankreich / 2009

Es ist der 6. April 1994. In einem beispiellosen Gewaltakt fangen in Ruanda die Angehörigen der Hutu-Mehrheit damit an, das sich in der Minderheit befindende Volk der Tutsi auszulöschen. Jacqueline, eine junge Mutter und selbst eine Tutsi, kann nur knapp ihr eigenes Leben, jedoch nicht das Leben ihrer beiden Kinder retten. Verängstigt und traumatisiert flüchtet sie in den Dschungel. Gegen jede Chance versucht sie in einem aus den Fugen geratenen Land zu überleben, in welchem die Menschlichkeit längst ein Ende gefunden hat.


The Day God Walked Away


Kaum ein Völkermord ist einem so intensiv im Gedächtnis geblieben wie der in Ruanda, der innerhalb von gut 100 Tagen knapp 1 Million Menschen das Leben gekostet hat. Und so ist dann auch der 6. April 1994 ein Tag den man niemals vergessen wird, Hat Gott doch anscheinend an diesem Tag das ostafrikanische Land verlassen. Nun ist "Ruanda" allerdings kein Film der sich direkt mit den damals beginnenden Grausamkeiten beschäftigt und dabei auf explizite Gewaltdarstellungen setzt. Hier wird das Geschehen aus der Sicht einer einzelnen Person gezeigt, die beim Beginn das Massakers ihre Kinder verliert und sich daraufhin in die umliegenden Wälder flüchtet, um sich vor ihren Jägern in Sicherheit zu bringen. Regisseur Philippe Van Leeuw setzt dabei lediglich 2 Charaktere in den Mittelpunkt seiner Geschichte, wobei der eigentliche Focus ganz eindeutig auf die junge Jacqueline (Ruth Nirere) gerichtet ist. Das Schauspiel von Ruth Nirere ist dabei das absolute Highlight eines Dramas, das insbesondere durch seine ruhige und sehr bedächtige Erzählweise ein hohes Maß an Intensität erlangt und dem Zuschauer dabei unter die Haut geht. Das Erstaunliche an der Sache ist, das der Film fast gänzlich ohne Dialoge auskommt, denn bis auf wenige Ausnahmen wird kaum gesprochen. Das mag einerseits durchaus gewöhnungsbedürftig erscheinen, kristallisiert sich allerdings mit zunehmender Laufzeit als große Stärke dieses Werkes heraus. Ist es doch gerade die bedrückende Stille die einem sehr schwer zu schaffen macht und sich wie eine zentnerschwere Last auf die eigenen Schultern legt.

Vom eigentlichen Genozid bekommt man visuell eigentlich gar nichts mit, denn der beginnende Völkermord gibt sich nur durch einige verbale Äusserungen zu erkennen. Diese treten immer dann in den Vordergrund, wenn einige Hutus den Wald nach Opfern durchkämmen und dabei von ihren Greueltaten sprechen. Mit einer erschreckenden Begeisterung wird dabei von Vergewaltigungen und Morden geredet, durch diverse Reden entsteht sogar der Eindruck eines Wettstreites bei den Mördern, prahlen sie doch geradezu mit Zahlen von Menschen, die sie schon getötet haben. Dieser Aspekt dringt meiner persönlichen Meinung nach noch intensiver in den Betrachter ein, als wenn man hier ein bildgewaltiges Massaker inszeniert hätte. So nämlich entfaltet sich im Kopf des Zuschauers ein ungeheures Maß an Härte und Brutalität, sind der eigenen Fantasie doch keinerlei Grenzen gesetzt. Dennoch beinhaltet "Ruanda" jede Menge Bildgewalt, die durch die herausragenden Kamerafahrten unterstützt wird. Immer wieder gibt es dabei Großaufnahmen vom Gesicht der Hauptfigur Jacqueline, in dem man das gesamte Leid der jungen Frau nur zu gut ablesen kann. Vor allem ihre fantastische Mimik aud die ausdrucksstarken Augen sorgen dafür, das einem immer wieder eine echte Gänsehaut über den Rücken läuft. Nur sehr selten bekommt man eine so eindringliche schauspielerische Leistung zu sehen, wie sie Ruth Nirere hier an den Tag legt. Und das, obwohl sie lediglich zu Beginn der Geschichte einige Sätze spricht und danach ausschließlich durch ihre überragende Mimik zu überzeugen versteht, in der sich die gesamte Gefühlspalette einer Frau widerspiegelt, die überhaupt nicht begreifen kann was um sie herum passiert.

"Ruanda" ist sicherlich ein Film, der die Meinungen extrem spalten wird, denn wer hier ein actiongeladenes Werk erwartet, wird ganz bestimmt maßlos enttäuscht sein. Es handelt sich um eine Geschichte, auf die man sich wirklich einlassen muss, um die von ihr ausgehende Kraft und Intensität auch wirklich wahrnehmen zu können. Ist man dazu nicht in der Lage, wird man mit diesem fantastischen Film nicht viel anfangen können, der jenseits jeglichen Mainstreams angesiedelt ist und betimmt nur eine gewisse Zielgruppe begeistern wird. Dabei sollte sich eigentlich jeder dieses Drama anschauen, das lediglich durch die Kraft seiner Bilder eine so eindringliche Wirkung erzielt und dabei einen dicken Kloß im Hals des Betrachters entstehen lässt. Obwohl vom eigentlichen Massaker nichts zu sehen ist, sind die Morde doch jederzeit allgegenwärtig und brennen sich unauslöschbar in das eigene Gehirn. Hinzu kommt noch erschwerend der Punkt, das sich die in der Geschichte größtenteils vorherrschende Sprachlpsigkeit auch auf einen selbst überträgt und dabei ein sehr unbehagliches Gefühl auslöst, das man zu keiner Zeit abstreifen kann.

Philippe Van Meeuw hat hier einen besonders wertvollen Film geschaffen, der die Thematik des Völkermordes einmal aus einer ganz anderen Sichtweise betrachtet. Keine großartigen Gewaltdarstellungen, sondern lediglich Bilder einer Frau, der man den innerlichen Seelenzerfall im Gesicht ablesen kann. Nie zuvor habe ich ein Gesicht gesehen, in dem man die ganze Grausamkeit menschenverachtender Aktionen so sehr ablesen kann wie in dem von Ruth Nirere, die diesem Film ihren ganz persönlichen Stempel aufdrückt. Für einige Leute mag "Ruanda" aufgrund seiner Actionarmut langweilig erscheinen, wer sich allerdings auf die hier erzählte Story einlässt, wird im Endeffekt mit einem Filmerlebnis belohnt, das ganz sicher noch sehr lange im Gedächtnis heften bleibt.


Fazit:


Kaum Dialoge und keinerlei Action, für manch einen Film wäre das vielleicht das absolute Todesurteil. Ganz anders stellt sich die Situation bei vorliegendem Werk dar, das gerade durch das Fehlen dieser Dinge seine ganze Stärke zum Ausdruck bringt. Eine überragende Hauptdarstellerin, eine äusserst ruhige aber sehr intensive Erzählweise und herausragende Bilder reichen hier vollkommen aus, um mit minimalsten Mitteln ein Drama zu erschaffen, das an seiner Wirkung kaum zu übertreffen ist.


Die DVD:

Vertrieb: Splendid
Sprache / Ton: Deutsch / Französisch DD 5.1
Untertitel: Deutsch
Bild: 2,35:1 (16:9)
Laufzeit: 100 Minuten
Extras: Trailer, Trailershow, Exklusives Booklet


9/10
Big Brother is watching you
purgatorio
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Re: Ruanda - Philippe Van Leeuw

Beitrag von purgatorio »

RUANDA – THE DAY GOD WALKED AWAY (LE JOUR OÙ DIEU EST PARTI EN VOYAGE, Frankreich, Belgien 2009, Regie: Philippe Van Leeuw)

Die Hausherren verlassen überstürzt das Land und verstecken ihre Angestellte Jacqueline auf dem Dachboden, während die Hutus auf den Straßen die Massaker an den Tutsis beginnen. Nach Tagen der Gewalt und Plünderung will sie nun zu ihrem Haus, findet jedoch erst ihre ermordeten Kinder und dann den Hass der Hutu-Dorfbewohner. Jacqueline flüchtet in den Dschungel, wo sie Tage später einen schwer verwundeten Tutsi-Mann findet. Die Pflege gibt ihrem Leben wieder einen Sinn, doch ist die Beziehung beider zu einander alles andere als einfach…

RUANDA zeigt die Sprachlosigkeit gegenüber diesem Völkermord, ohne den Völkermord zu zeigen. Still und schweigsam sitzen die Protagonisten im Dschungel und vegetieren unter Lebensgefahr vor sich hin. Das ist natürlich sehr eindringlich und einfühlsam inszeniert und kann mit fantastischen Naturaufnahmen (die nur gelegentlich durch Leichen desavouiert werden) punkten, die von der humanen Katastrophe ablenken. Wäre da nicht die schweigende Verzweiflung, die der jungen Frau jederzeit ins Gesicht geschrieben ist. Es ist diese Nähe zu nur einer Figur, die das Leid faßbar macht, die aber auch von der Dimension der Katastrophe ablenkt. Eine kleine Texttafel am Anfang verweist zwar darauf, mir persönlich ist dies im Kontext eines so wichtigen Themas aber zu wenig. Bei einem Holocaust-Film wäre dies wahrlich nicht mehr notwendig – da sind wir uns einig – aber Ruanda (1994!) ist eher ein Kapitel, dass sich gerne der Aufmerksamkeit entzieht, dessen unfassbare Ausmaße gern in Vergessenheit geraten. Anhand zweier Personen im Dschungel, die sich ausschließlich in der Nähe des stets selben Dorfes aufhalten, kann diese Unfassbarkeit zwar exemplarisch gezeigt, aber nie umfassend begriffen werden. Ein guter Film, ein wichtiger Film, aber auch einer, der dem Genozid nicht im Ansatz gerecht werden kann.
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
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