Nachdem er mir kürzlich mit seiner Pseudo-Verfilmung von Poes THE FALL OF THE HOUSE OF USHER von 1989 den wahrscheinlich schlechtesten Film serviert hat, den ich dieses Jahr zu sehen gezwungen gewesen bin, dachte ich mir, möglicherweise zur Ehrenrettung des 1944 in Neuseeland geborenen Regisseurs Alan Birkinshaw beizutragen, indem ich mir schnell noch den Film besehe, der als sein bester, wichtigster und populärster gilt: KILLER’S MOON, einem Proto-Slasher aus dem Jahre 1978, der mich aber ebenfalls nun nicht wirklich hat überzeugen können – erstaunt bin ich vielmehr, dass das, was mir an HOUSE OF USHER so wenig behagt hat, tatsächlich die persönliche Regie-Handschrift Birkinshaws zu sein scheint.
KILLER’S MOON mag nun zwar nicht ganz so konventionell inszeniert worden zu sein wie HOUSE OF USHER, außerdem spielen viele seiner Szenen außerhalb steriler Studiokulissen unter freiem Himmel, der eine oder andere Einfall zeigt, dass man zumindest gewillt war, einen ein bisschen ungewöhnlicheren Film zu drehen, dennoch: Birkinshaws Schauergeschichte von vier entflohenen psychiatrischen Patienten, die allesamt unter Hypnose stehen und glauben, sich in einem Traum zu befinden, weshalb sie ihren Gewaltphantasien ungezügelt ihren Lauf lassen, und sich vor allem in und um ein abgelegenes Landhaus herum abreagieren, in dem zufälligerweise gerade ein Grüppchen unschuldiger Schulmädchen abgestiegen ist, hat genügend Übereinstimmungen mit der zehn Jahre später entstandenen Poe-Vergewaltigung als dass ich mir nicht einbilden würde, aus beiden Filmen einen gewissen Birkinshaw-Stil herauslesen zu können. Die Montage beispielweise ist oftmals unmotiviert und reichlich holprig, wenn mitten in Dialogszenen Großaufnahmen der Beteiligtengesichter geworfen werden, denen man ansieht, dass sie entweder vorher oder später aufgenommen worden sein müssen, die Gore-Szenen erwecken den Eindruck von selbstzweckhaft in die Nischen geklebtem Füllmaterial, die Kameraarbeit erhebt sich selten über ein plumpes Abfilmen der Ereignisse. Was höchstens auffällt, ist, dass KILLER’S MOON scheinbar durchaus lustig gemeint sein soll – vor allem die erste halbe Stunde hat auf mich eher wie eine Schwarze Komödie gewirkt, und hätte mich vielleicht zum Lachen gereizt, wäre da nicht diese penetrante Gesteltzheit und Künstlichkeit, mit der Birkinshaws Akteure agieren. Ich kaufe es ihnen einfach nicht ab, weder dem comic-relief-sidekick, einem schrulligen Busfahrer, noch der überaus biederen Lehrerin, die klingt, als würde sie ihre Dialogzeilen irgendwo ablesen, und leider so gut wie keinem der wehrlosen Opfer, den Schulmädchen, die noch derart unbedarft sind, dass sie statt Jungs Kissenschlachten im Kopf haben.
Umso heftiger wirkte auf mich dann folgende Szene, etwa in der Mitte des Films. Eins der Mädchen – ihren Namen hab ich vergessen – huscht im weitläufigen Gelände um das Landhaus herum. Die Nacht ist bereits eingebrochen und ihre Aufgabe, ein Telefon nahe der Pforte zu finden. Obwohl sie von niemandem verfolgt wird, obwohl sie noch nicht mal weiß, was für eine Gefahr ihr durch die vier, den Droogs aus CLOCKWORK ORANGE nachempfundenen Wahnsinnigen droht, scheint allein der schlafende, nächtliche Park sie mit Panik zu erfüllen. Sie beginnt, schneller zu gehen, rennt schließlich fast und biegt von ihrem Pfad nach rechts in eine besonders schattige Parkstelle ein. Die Kamera ist ihr gegenüber positioniert, filmt sie beim Eintreten in die natürlich gewachsene Laube, die links von einem hohen Baum, rechts von Gestrüpp flankiert ist. Dominierend ist ein alles verschlingendes Schwarz, selbst das Grün der Pflanzen ist nicht viel weniger finster. Unsere Heldin blickt über ihre Schulter, wird unachtsam, ihr Fuß verfängt sich in einer Wurzel, sie stürzt. Anders als erwartet erhebt sie sich aber danach nicht sofort. Sie bleibt liegen, flach mit dem Bauch auf dem Boden. Die Musik, eben noch Klangchaos, verstummt, man hört lediglich ein überlautes Herzpochen. Unsere Heldin steht noch immer nicht auf, sie blickt um sich, verängstigt wie ein Tier, wobei ihre untere Gesichtshälfte von den Bodenschatten verdeckt ist, nur die Augen kann man problemlos erkennen wie sie in ihren Höhlen hin und her huschend das einzige Lebendige an diesem erstarrten Körper bilden. Erst nach weit über fünf Sekunden rappelt das Mädchen sich hoch und fast automatisch, spätestens nach dem nächsten Schnitt, ist diese seltsame Magie verflogen, die ich mittels einer bloßen Nacherzählung wahrscheinlich weder fassen noch übermitteln kann.
Es ist wie ein Moment der Wahrheit, der in einen eigentlich sehr verlogenen Film einbricht. Für wenige Sekunden kann ich mit dem Mädchen mitfühlen: ich spüre das Piksen der Baumnadeln an meiner Brust, ich horche in die Stille, die andauernd durch undefinierbares Knicken und Knistern im Gehölz gestört wird, ich rieche den Wald, meinen Angstschweiß, ich fühle vor allem meinen Puls, der beinahe überkocht. Wäre die Schauspielerin sofort aufgestanden, nachdem sie sich hat hinfallen lassen, wäre die Szene eine ganz andere geworden, mir vielleicht höchstens durch ihre exzellente Photographie und Bildkomposition aufgefallen. So vollzieht sich da ein merkwürdiger Wechsel von Fiktion zu Realität. Der Film hält inne, die Schauspielerin hält inne, die Kamera hält inne, so wie man manchmal mitten auf der Straße stehenbleibt, weil man meint, von irgendwo etwas zu hören, von dem man nicht mehr weiß, als dass man ihm zuhören sollte. Es mag keine Absicht dahinterstecken, die Verantwortlichen werden sich möglicherweise verwundert die Stirnen kratzen, wenn ich ihnen zu erklären versuchen sollte, dass diese sechs bis acht Sekunden alles, was KILLER’S MOON sonst zu bieten hat, für mich im wahrsten Sinne des Wortes in den Schatten stellt, keinem sonst wird diese Szene vielleicht jemals in dieser Weise aufgefallen zu sein - und das macht es nur noch besser: manchmal kritzeln wir beim Telefonieren mit einem Bleistift auf Notizblöcken herum, ohne nachzudenken, und es wird vielleicht das Beste sein, was wir jemals gezeichnet haben. Schade nur, dass die Magie anschließend nicht nur verflogen ist, sondern sich regelrecht in ihr Gegenteil verkehrt. Ein anderes Mädchen, gerade den bösen Buben entronnen, erreicht das Zelt zweier Camper. Da das Mädchen stumm und verstört ist, schüttet ihr einer von ihnen einen ordentlichen Schluck aus seinem Flachmann in den Mund. Sofort löst das die apathische Zunge und das Mädchen plappert munter, wenn auch monoton und wenig aufgeregt, drauf los. Alles in allem wird Alan Birkinshaw wohl kein Regisseur werden, dessen Gesamt-Oeuvre ich mir in nächster Zeit antue.