Unmoralische Geschichten - Walerian Borowczyk
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Unmoralische Geschichten - Walerian Borowczyk
Unmoralische Geschichten
(Contes immoraux)
mit Lise Danvers, Fabrice Luchini, Charlotte Alexandra, Paloma Picasso, Pascale Christophe, Florence Bellamy, Jacopo Berinizi, Lorenzo Berinizi, Philippe Desboeuf, Nicole Karen, Tomas Hnevsa, Mathieu Rivollier, Robert Capia
Regie: Walerian Borowczyk
Drehbuch: Andre Pieyre de Mandiargues
Kamera: Bernard Daillencourt / Guy Durban / Noel Very / Michel Zolat
Musik: Maurice Leroux
Keine Jugendfreigabe
Frankreich / 1974
Vier Episoden, vier Epochen, vier sexuelle Spielarten: in "Unmoralische Geschcihten", seinem größten Filmerfolg, lässt Walerian Borowczyk seinen erotischen Phantasien freien Lauf. Mit gewohnt fetischistischem Blick für erotische Details erzählt er diesmal Geschichten über Fellatio, die verführerische Anziehungskraft von Gemüse, vom Reiz jungfräulichen Blutes und von inzestuösen Ausschweifungen im Vatikan - vier Episoden, in denen jede Geste, jeder Gegenstand - ein Mund, ein Finger, eine Perle - vor erotischer Aufladung nur so knistern. Eine hinreißend schöne, bös-romantische Orgie erotischer Phantasie. Vier Episoden aus verschiedenen Jahrhunderten mit kunsthistorischem Raffinement in schwarze Poesie verwandelt.
Wenn man "Unmoralische Geschichten" gesehen hat kann man relativ gut nachvollziehen, das dieser Film etliche Jahre auf dem Index gestanden hat. Das in vier Episoden eingeteilte Werk von Walerian Borowczyk (La Bete) vermittelt dem Zuschauer ein äusserst provokantes Szenario sexueller Natur, das insbesondere in der damaligen Zeit seines Erscheinens für großen Wirbel sorgte. Ist schon "La Bete", der übrigens ein Jahr später erschien im Bezug auf die sexuelle Provokation schwerlich zu überbieten, so setzt der vorliegende Film dem Ganzen doch die Krone auf. Nun haben alle vier Episoden ihren ganz besonderen Reiz und alle Geschichten aus verschiedenen Zeitepochen ihre Stärken, doch besonders hervorstechend ist meiner Meinung nach die vierte Folge. Wird hier schon durch die Thematik "Sex im Vatikan" ein heißes Eisen angefasst, so setzt Borowczyk durch die inzestiöse Verbindung zwischen dem Papst und seiner eigenen Tochter noch einmal einen provokanten Höhepunkt in einem Film, der sicherlich nicht jeden Geschmack treffen wird.
Es wird bestimmt nicht wenige Leute geben, die dieses umstrittene Werk als pornographisch angehauchten Schund abtun, obwohl diese Einschätzung diesem künstlerischen Meisterwerk ganz sicher nicht gerecht werden würde. Eher das Gegenteil ist der Fall, denn sämtliche Episoden beinhalten eine ungeheure Ästhetik. Dabei ist eigentlich jede einzelne Szene und jeder Gegenstand eine sexuelle Anspielung, die zudem die Fantasie des Betrachters in Bewegung setzt. Es gibt jede Menge nackte Haut zu sehen und zwischendurch werden auch diverse Geschlechtsorgane ins Bild gesetzt. Dennoch hat der Film rein gar nichts Pornographisches an sich, denn die sexuellen Handlungen sind lediglich angedeutet und werden somit nicht voll gezeigt. Insbesondere dadurch umgibt das gesamte Szenario auch etwas geheimnisvolles und es entfaltet sich ein Gefühl der Entdeckungslust. Hierfür steht vor allem die erste Episode, in der ein junger Mann seiner Cousine durch Fellatio die Gezeiten erklären will. Das hört sich im ersten Moment vielleicht sogar etwas lächerlich an, doch wenn man die Geschichte gesehen hat muss man sich eingestehen, das sie sogar eine Menge Poesie beinhaltet. So verhält es sich allerdings im Prinzip mit allen Geschichten, die einerseits einen einzigen Sinnesrausch bescheren, andererseits aber auch sehr stark polarisieren.
Der geschickteste Schazug des Regisseurs besteht allerdings darin das der Film verhältnismäßig wenig Dialoge beinhaltet, denn lediglich Episode 1 ist etwas dialoglastig ausgefallen. Ansonsten wird eigentlich sehr wenig geredet, wodurch sich erst die ganze Faszination der Ereignisse so richtig entfalten kann. Da wird selbst das Liebesspiel einer jungen Frau zu einem echten Erlebnis, das einzig und allein durch die Ausdruckskraft der vorhandenen Bilder besticht. Vollkommen bewust ist Borowczyk diesen Weg gegangen, um die Sinne des Zuschauers zu schärfen und so keinerlei Ablenkung durch unnütze Worte entstehen zu lassen. Der dabei größtenteils entstehende Sinnesrausch ist schon imposant, man taucht immer tiefer in das Geschehen ein und erliegt der einzigartigen Faszination, die das Gesamtszenario ausstrahlt. Dabei kann man richtiggehend spüren, wie sich der eigene Geist öffnet, um das Gezeigte wie ein Schwamm in sich aufzusaugen. Sicherlich werden jetzt viele Leute anderer Meinung sein, doch man muss sich diesem Meisterwerk an Sinnlichkeit wirklich öffnen, um überhaupt einen Zugang zu den Geschehnissen zu finden, die an Ästhetik und Faszination schwer zu überbieten sind.
Letztendlich kann man nach der Sichtung des Werkes durchaus nachvollziehen, warum dieser Film so lange auf dem Index stand. Selbst in der heutigen Zeit sind die einzelnen Episoden immer noch ungeheuer polarisierend und greifen dabei Themen auf, die noch immer von vielen tabuisiert werden. Auch wenn "Unmoralische Geschichten" sicher nicht jeden Geschmack treffen wird, handelt es sich auf jeden fall um ein künstlerisches Meisterwerk. Ich gebe aber auch gerne zu, das nicht jeder den Zugang zu den hier dargestellten Ereignissen finden wird, die sich jenseits jeglichen Mainstreams ansiedeln und deswegen wohl auch nur einer bestimmten Zielgruppe zugänglich sind.
Fazit:
Einmal mehr hat das Label Bildstörung einen ganz aussergewöhnlichen Film auf den Markt gebracht und damit seine Ausnahmestellung eindrucksvoll untermauert. Wie mittlerweile gewohnt hat man sich auch bei den Extras nicht lumpen lassen, neben einem Audiokommentar ist beispielsweise auch ein Kurzfilm enthalten und selbstverständlich darf auch das obligatorische Booklet nicht fehlen. Und so bekommt man wieder einmal eine perfekte Veröffentlichung beschert, die sich kein Freund provokanter-und aussergewöhnlicher Filme entgehen lassen sollte.
Die DVD:
Vertrieb: Bildstörung
Sprache / Ton: Deutsch / Französisch DD 2.0 Mono
Untertitel: Deutsch
Bild: 1,66:1 (anamorph 16:9)
Laufzeit: 99 Minuten
Extras: Kurzfilm UNE COLLECTION PARTICULIERE (15 Min.), Kurzdokumentation (ca. 20 Min), Audiokommentar von Daniel Bird und David Thompson, Umfangreiches Booklet mit Texten von Daniel Bird und Auszügen aus dem original Presseheft
Big Brother is watching you
Re: Unmoralische Geschichten - Walerian Borowczyk
Sehr sehenswerter Film, subversiv und dabei sehr schön anzuschauen. Die Darstellerinnen sind größtenteils sehr hübsch, wirken sehr natürlich und sind von Borowczyk liebevoll in Szene gesetzt.
Re: Unmoralische Geschichten - Walerian Borowczyk
Auch ein sehr ansprechendes Cover. Walerian Borowczyk gehört ja eh zu meinen Favoriten von daher ist diese Anschaffung für mich Pflicht... sobald wieder etwas Kohle in der Kasse ist.
Früher war mehr Lametta
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Re: Unmoralische Geschichten - Walerian Borowczyk
Hab ich zwischendurch auch geguckt - bissl viel Pelz und der Fokus ist für meinen Geschmack etwas zu sehr auf weibliche Geschlechtsmerkmale gerichtet, aber ansonsten recht ansprechend gefilmt und auch die detailverliebte Ausstattung und der poetische Stil, der ohne viel Worte auskommt, hat mir recht gut gefallen. Ich bin dann aber wohl auch nicht die richtige Zielgruppe für so einen Film Bis auf die zweite Episode, die ich nervig fand, sicherlich top! Ich hab aber die Episoden einzeln bewertet. Insgesamt würde ich eine 7/10 zücken!
Die Gezeiten: 7/10
Die philosophische Therese: 4/10
Erszebet Bathory: 10/10
Lucrecia Borgia: 8/10
Die Gezeiten: 7/10
Die philosophische Therese: 4/10
Erszebet Bathory: 10/10
Lucrecia Borgia: 8/10
it´s fun to stay at the YMCA!!!
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Re: Unmoralische Geschichten - Walerian Borowczyk
Ich mußte nur bis hierhin lesen - ist quasi schon gekauftjogiwan hat geschrieben:Hab ich zwischendurch auch geguckt - bissl viel Pelz und der Fokus ist für meinen Geschmack etwas zu sehr auf weibliche Geschlechtsmerkmale gerichtet,
Klingt soweit doch ganz vorzüglich. Die Bildstörung-VÖs sind auf jeden Fall wirklich spitze was Optik und Ausstattung betrifft.jogiwan hat geschrieben:aber ansonsten recht ansprechend gefilmt und auch die detailverliebte Ausstattung und der poetische Stil, der ohne viel Worte auskommt, hat mir recht gut gefallen. Ich bin dann aber wohl auch nicht die richtige Zielgruppe für so einen Film Bis auf die zweite Episode, die ich nervig fand, sicherlich top! Ich hab aber die Episoden einzeln bewertet. Insgesamt würde ich eine 7/10 zücken!
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Re: Unmoralische Geschichten - Walerian Borowczyk
Erscheint voraussichtlich am 27.06.2014 noch einmal bei Bildstörung auf DVD:
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Unmoralische Geschichten - Walerian Borowczyk
Zwischen „Blanche“ und seinem vielleicht berüchtigtsten Film „La Bête“ feierte noch 1973 der Episodenfilm „Unmoralische Geschichten“, der mutmaßlich populärste Film des polnischen Erotikfilmers Walerian Borowczyk, seine Premiere auf dem London Film Festival. Es handelt sich um eine französische Produktion, die in vier Episoden vier verschiedene Epochen umfasst. Eigentlich sollte auch „La Bête“ Bestandteil dieser Anthologie sein, entfiel jedoch und wurde auf Spielfilmlänge ausgedehnt.
„So wunderbar die Liebe ist, gefällt sie noch mehr durch die Arten, wie sie sich zu erkennen gibt.“
„La Mareé“ basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte André Pieyre de Mandiargues‘ und wurde in der Gegenwart, also 1974, angesiedelt. Cousin (Fabrice Luchini, „Claires Knie“) und Cousine (Lise Danvers, „Die abgetrennte Hand“) befinden sich an einem abgelegenen Küstenstück, wo der Cousin seine jüngere, naive Cousine zum Fellatio überredet. Während die Kamera mit sehr ästhetischen Mundzooms und schönen Aufnahmen des tosenden Meers arbeitet, wünscht man sich, er hätte den Mund genauso voll wie seine Cousine, damit er sein neunmalkluges Gequatsche einstellt. So aber sinniert er weiter über die Flut, die zur Metapher für Ejakulation wird. Ohne Ton ein sinnlicher Kurzfilm, mit Ton wird er zur etwas fragwürdigen Groteske.
„Der Mensch wird gut, wenn er mit denen spricht, die gut sind.“
In der 1890 spielenden Episode „Thérèse Philosophe“ zermasturbiert eine junge Frau (Charlotte Alexandra, „Frühreife Verführerinnen“) eine zweckentfremdete Gurke. Sie wurde ins Zimmer gesperrt und fand dort ein Buch erotischen Inhalts, den illustrierten Roman „Thérèse Philosophe“, den sie parallel zu ihrem Gebetsbuch goutiert. Wieder an der frischen Luft, wird sie von einem Tippelbruder vergewaltigt. Dies scheint sie jedoch nicht weiter zu tangieren, zumindest lässt Borowczyk offen, wie sie die Situation tatsächlich wahrnimmt. Im Prinzip thematisiert diese Episode sowohl die Kraft erotischer Literatur bzw. Kunst generell als auch die Unwirksamkeit religiöser Moraldoktrin in Bezug auf Sexualität, denn das Mädchen kam schnurstracks aus der Kirche und fand schnell Gefallen an der Verquickung von religiöser und erotischer Lektüre bei gleichzeitiger körperlicher Aktivität. Heruntergebrochen aufs Visuelle handelt es sich um eine leidenschaftlich und anregend gespielte Gemüsemasturbation mit seltsam anmutender Pointe – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
„Keine Angst, die Gräfin Bathory sucht für ihr Schloss nach ehrlichen und bescheidenen jungen Mädchen, und sie bezahlt sie, nährt und beherbergt sie besser als der König selbst...“
„Erzsébet Báthory“ spielt im Jahre 1610 und widmet sich, wie der Name bereits verrät, der „Blutgräfin“ Bathory (Paloma Picasso). Diese besucht ein Dorf, um sich dort jungfräuliche Mädchen auszuwählen, die sie mit auf ihr Schloss nimmt. Dort findet eine große Nackedei-Party statt, bevor die Mädchen umgebracht werden, damit Bathory in ihrem Blut baden kann. Stets an ihrer Seite ist ihre androgyne Assistentin Istvan (Pascale Christophe, „Unmoralische Engel“), die sie später verraten wird. Diese Episode steht in ihrer opulenten Ausstattung und ihrem wahren Menschenauflauf im Kontrast zu den beiden vorausgegangenen. Eine derartige Ansammlung nackten jungen Fleisches bekommt man selten zu Gesicht und die Ausstrahlung Picassos in ihrer Rolle ist enorm. Der Horrorgehalt der Geschichte ist zwar die Pointe, grafisch ausgekostet wird jedoch der Erotikfaktor der noch lebendigen Jungfrauen. Die Dialogarmut trotz der Vielzahl an Menschen tut der Episode gut und trägt zur mystischen Aura Bathorys bei, vermittelt aber auch ein Gefühl, eine Atmosphäre von Autorität, Dominanz und Strenge, in der jedes unnötige Wort eines zu viel wäre.
„Nun zu dir, du verhurte Kirche...“
Den skandalösen Höhepunkt hob sich Borowczyk jedoch bis zum Schluss auf: Für „Lucrezia Borgia“ geht er in der Zeit bis ins Jahr 1498 zurück. Die gleichnamige Fürstin (Florence Bellamy, „Zwei scheinheilige Brüder“) stattet zusammen mit ihrem Ehemann Giovanni Sforza ihrem Vater, Papst Alexander VI. (Mario Ruspoli, „Ring frei für die Liebe“) und ihrem Bruder, Erzbischof Cesare (Fabrizio Ruspoli), einen Besuch ab. Während sich der Papst sexuell an seiner Tochter vergeht und Sforza daran nichts findet, wettert Bußprediger Savonarola (Philippe Desboeuf, „Das Urteil“) von der Kanzel gegen die Verkommenheit des Klerus und des Adels. Borowczyk schnitt beide Szenen ausschnittweise abwechselnd gegeneinander und stellt Inzest in höchsten kirchlichen Kreisen als selbstverständliche Normalität und dar, gegen die es sich auch schlecht anpredigen lässt. Das ist natürlich starker, höchst provokanter Tobak, ein verdienter Schlag ins Gesicht des Vatikans. Dass sich der eigentliche Erotikfaktor da unterordnen muss, liegt in der Natur der Sache.
Texttafeln führen in jede Episode ein, die alle vier echte Hingucker sind, historisch allem Anschein nach so realistisch wie möglich ausgestattet, vom Interieur über die Kostüme bis hin zur Musik (barocke Klänge, sakrale Chorgesänge etc.). Borowczyk bewegt sich mit seinem „Unmoralischen Geschichten“ irgendwo zwischen kunstvollem Anspruch und garstiger Exploitation, zwischen ausgeprägtem Sinn für Ästhetik, für das Schöne und Wut auf Moralismus, Zensur und Autorität sowie Lust an der Provokation. Die Sorgfalt, mit der er dabei zu Werke geht, ist selten in diesem Metier und führt dazu, dass seine „Unmoralischen Geschichten“ eine sehr individuelle Anziehungskraft entwickeln und sowohl als kurzweilige, abwechslungsreiche Episoden als auch als Anthologie über Sexualität von der naiven Unschuld über ihre Unterdrückung, ihren Missbrauch bis hin zum Tod funktionieren – während zeitgleich in Deutschland „Schulmädchen-“, „Schlüsselloch-“ und „Frühreifen-Report“ in die Kinos lockten…
„So wunderbar die Liebe ist, gefällt sie noch mehr durch die Arten, wie sie sich zu erkennen gibt.“
„La Mareé“ basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte André Pieyre de Mandiargues‘ und wurde in der Gegenwart, also 1974, angesiedelt. Cousin (Fabrice Luchini, „Claires Knie“) und Cousine (Lise Danvers, „Die abgetrennte Hand“) befinden sich an einem abgelegenen Küstenstück, wo der Cousin seine jüngere, naive Cousine zum Fellatio überredet. Während die Kamera mit sehr ästhetischen Mundzooms und schönen Aufnahmen des tosenden Meers arbeitet, wünscht man sich, er hätte den Mund genauso voll wie seine Cousine, damit er sein neunmalkluges Gequatsche einstellt. So aber sinniert er weiter über die Flut, die zur Metapher für Ejakulation wird. Ohne Ton ein sinnlicher Kurzfilm, mit Ton wird er zur etwas fragwürdigen Groteske.
„Der Mensch wird gut, wenn er mit denen spricht, die gut sind.“
In der 1890 spielenden Episode „Thérèse Philosophe“ zermasturbiert eine junge Frau (Charlotte Alexandra, „Frühreife Verführerinnen“) eine zweckentfremdete Gurke. Sie wurde ins Zimmer gesperrt und fand dort ein Buch erotischen Inhalts, den illustrierten Roman „Thérèse Philosophe“, den sie parallel zu ihrem Gebetsbuch goutiert. Wieder an der frischen Luft, wird sie von einem Tippelbruder vergewaltigt. Dies scheint sie jedoch nicht weiter zu tangieren, zumindest lässt Borowczyk offen, wie sie die Situation tatsächlich wahrnimmt. Im Prinzip thematisiert diese Episode sowohl die Kraft erotischer Literatur bzw. Kunst generell als auch die Unwirksamkeit religiöser Moraldoktrin in Bezug auf Sexualität, denn das Mädchen kam schnurstracks aus der Kirche und fand schnell Gefallen an der Verquickung von religiöser und erotischer Lektüre bei gleichzeitiger körperlicher Aktivität. Heruntergebrochen aufs Visuelle handelt es sich um eine leidenschaftlich und anregend gespielte Gemüsemasturbation mit seltsam anmutender Pointe – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
„Keine Angst, die Gräfin Bathory sucht für ihr Schloss nach ehrlichen und bescheidenen jungen Mädchen, und sie bezahlt sie, nährt und beherbergt sie besser als der König selbst...“
„Erzsébet Báthory“ spielt im Jahre 1610 und widmet sich, wie der Name bereits verrät, der „Blutgräfin“ Bathory (Paloma Picasso). Diese besucht ein Dorf, um sich dort jungfräuliche Mädchen auszuwählen, die sie mit auf ihr Schloss nimmt. Dort findet eine große Nackedei-Party statt, bevor die Mädchen umgebracht werden, damit Bathory in ihrem Blut baden kann. Stets an ihrer Seite ist ihre androgyne Assistentin Istvan (Pascale Christophe, „Unmoralische Engel“), die sie später verraten wird. Diese Episode steht in ihrer opulenten Ausstattung und ihrem wahren Menschenauflauf im Kontrast zu den beiden vorausgegangenen. Eine derartige Ansammlung nackten jungen Fleisches bekommt man selten zu Gesicht und die Ausstrahlung Picassos in ihrer Rolle ist enorm. Der Horrorgehalt der Geschichte ist zwar die Pointe, grafisch ausgekostet wird jedoch der Erotikfaktor der noch lebendigen Jungfrauen. Die Dialogarmut trotz der Vielzahl an Menschen tut der Episode gut und trägt zur mystischen Aura Bathorys bei, vermittelt aber auch ein Gefühl, eine Atmosphäre von Autorität, Dominanz und Strenge, in der jedes unnötige Wort eines zu viel wäre.
„Nun zu dir, du verhurte Kirche...“
Den skandalösen Höhepunkt hob sich Borowczyk jedoch bis zum Schluss auf: Für „Lucrezia Borgia“ geht er in der Zeit bis ins Jahr 1498 zurück. Die gleichnamige Fürstin (Florence Bellamy, „Zwei scheinheilige Brüder“) stattet zusammen mit ihrem Ehemann Giovanni Sforza ihrem Vater, Papst Alexander VI. (Mario Ruspoli, „Ring frei für die Liebe“) und ihrem Bruder, Erzbischof Cesare (Fabrizio Ruspoli), einen Besuch ab. Während sich der Papst sexuell an seiner Tochter vergeht und Sforza daran nichts findet, wettert Bußprediger Savonarola (Philippe Desboeuf, „Das Urteil“) von der Kanzel gegen die Verkommenheit des Klerus und des Adels. Borowczyk schnitt beide Szenen ausschnittweise abwechselnd gegeneinander und stellt Inzest in höchsten kirchlichen Kreisen als selbstverständliche Normalität und dar, gegen die es sich auch schlecht anpredigen lässt. Das ist natürlich starker, höchst provokanter Tobak, ein verdienter Schlag ins Gesicht des Vatikans. Dass sich der eigentliche Erotikfaktor da unterordnen muss, liegt in der Natur der Sache.
Texttafeln führen in jede Episode ein, die alle vier echte Hingucker sind, historisch allem Anschein nach so realistisch wie möglich ausgestattet, vom Interieur über die Kostüme bis hin zur Musik (barocke Klänge, sakrale Chorgesänge etc.). Borowczyk bewegt sich mit seinem „Unmoralischen Geschichten“ irgendwo zwischen kunstvollem Anspruch und garstiger Exploitation, zwischen ausgeprägtem Sinn für Ästhetik, für das Schöne und Wut auf Moralismus, Zensur und Autorität sowie Lust an der Provokation. Die Sorgfalt, mit der er dabei zu Werke geht, ist selten in diesem Metier und führt dazu, dass seine „Unmoralischen Geschichten“ eine sehr individuelle Anziehungskraft entwickeln und sowohl als kurzweilige, abwechslungsreiche Episoden als auch als Anthologie über Sexualität von der naiven Unschuld über ihre Unterdrückung, ihren Missbrauch bis hin zum Tod funktionieren – während zeitgleich in Deutschland „Schulmädchen-“, „Schlüsselloch-“ und „Frühreifen-Report“ in die Kinos lockten…
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- Salvatore Baccaro
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- Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10
Re: Unmoralische Geschichten - Walerian Borowczyk
Sehr schöne Kritik zu einem meiner Lieblinge - und mit obigem Zitat auch ebenso schön eine der Kernthesen meiner MA zusammengefasst...buxtebrawler hat geschrieben:Im Prinzip thematisiert diese Episode sowohl die Kraft erotischer Literatur bzw. Kunst generell als auch die Unwirksamkeit religiöser Moraldoktrin in Bezug auf Sexualität
Falls Du diese noch nicht kennen solltest, unbedingt auch noch die göttliche BLANCHE und den göttlichen GOTO antesten, die sich beide, wie ich finde, doch ziemlich von Borowczyks späteren Spielfilmen abheben.
- buxtebrawler
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Re: Unmoralische Geschichten - Walerian Borowczyk
Danke!Salvatore Baccaro hat geschrieben:Sehr schöne Kritik zu einem meiner Lieblinge - und mit obigem Zitat auch ebenso schön eine der Kernthesen meiner MA zusammengefasst...
Falls Du diese noch nicht kennen solltest, unbedingt auch noch die göttliche BLANCHE und den göttlichen GOTO antesten, die sich beide, wie ich finde, doch ziemlich von Borowczyks späteren Spielfilmen abheben.
Die von dir genannten Filme gibt es anscheinend leider nicht als deutsche Fassungen
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!