Der Mann aus Virginia – Michele Lupo
Verfasst: Fr 18. Nov 2011, 14:23
Originaltitel: California
Alternativtitel: Spiel mir das Lied von Californien
Land: Italien
Jahr: 1977
Regie: Michele Lupo
Darsteller: Giuliano Gemma, William Berger, Malisa Longo, Raimund Harmstorf, Chris Avram, Franco Ressel,…
Handlung:
Nach dem Bürgerkrieg befreundet sich der heimatlose Soldat „California“ mit dem jungen Willy Preston, welcher aber wenig später das Zeitliche segnet. Als er Willys Eltern die traurige Nachricht überbringt verkuckt sich California in die Schwester des Toten, doch Unheil naht als diese von dem gesetzlosen Ex-Kopfgeldjäger Whitaker entführt wird…
Kritik:
Übersichtlicher wurde die Landschaft der Italowestern in der zweiten Hälfte der 70er. Hier und da konnte man noch Keoma oder Mannaja durch die schlammigen Wüsten reiten sehen und manchmal schaute Bud Spencer auch noch kurz vorbei. In dieser Zeit drehte Michele Lupo seinen Schwanengesang auf die große Genreära und schuf einen Western, der uns gekonnt ein düsteres Endzeitszenario bietet mit gelegentlichen Silberstreifen am fernen Horizont.
Meisterhaft setzt Lupo vor die meisten brutalen und teilweise erschreckenden Szenen berührende Momente, die den Zuseher kurz in die Hoffnung versetzten, dass endlich alles besser werden könnte, nur um ihn gleich darauf mit Schüssen prompt aus den süßen Träumen zu reißen. Einer der stärksten dieser Momente ist der Tod von Willy Preston, der direkt auf eine gleichsam berührende und witzige Szene folgt, in welcher er und California als Freunde gemeinsam auf einem Pferd durch einen verlassenen Saloon reiten. Dadurch geht die Gewalt in „Der Mann aus Virginia“ deutlich mehr unter die Haut und das mitfiebern mit dem nach Frieden trachtenden Helden wird umso größer, doch immer, wenn er diesen vermeintlich gefunden hat, wartet Lupo mit dem nächsten Downer auf.
Gemmas „California“ ist als Held recht originell, was ziemlich beeindruckend ist, betrachtet man die bunten Reihen der Italowestern-Helden von denen nicht wenige von Gemma selbst verkörpert wurden. California zeichnet sich aber durch die perfekte Mischung aus hartgesottenen Einzelgänger und freundlichem Kumpel aus. Er ist anfangs zu unbekannten Menschen ziemlich abweisend, vermag sich aber mit ihnen anzufreunden und wird schnell zu einem sorgenden treuen Gefährten. Seine Seele scheint ständig hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Ruhe und Frieden und seiner unruhigen Wanderernatur.
Diese Figur wird in eine apokalyptische Welt gesetzt und ich muss gestehen, dass ich die Nachwirkungen des Bürgerkrieges noch nie so ergreifend umgesetzt gesehen habe wie hier (ja ich habe „Vom Winde verweht“ gesehen ). Dreck und Schlamm bestimmen stets die Landschaft, heruntergekommen und verlassen begegnen uns die meisten Städte. Namenlose Nebencharaktere sind zu 80% Wahrscheinlichkeit unhöfliche Bastarde und das Leid mit dem die Ex-Soldaten in dieser Zeit zu kämpfen haben spiegelt sich in zahllosen Szenen der Armut wider.
Das einzige was man kritisieren könnte, ist, dass die Story nicht elegant getimed ist. Der Part mit Willy Preston, welcher im Verlauf der Geschichte nicht mehr als ein Prolog zu sein scheint, zieht sich über eine halbe Stunde dahin, nur um dann plötzlich zu enden und eine Riege neuer Charaktere einzuführen. Danach kommt es zu recht vielen Szenen in denen California mit Willys Familie interagiert, nur um kurz vor Schluss den Hauptplot mit der entführten Liebschaft zu beginnen. Ich sagte man „könnte“ dies kritisieren, denn es hat mich ehrlich gesagt nicht sonderlich gestört. Lupo zeichnet ein sehr genaues Bild von unserem Helden und der Welt in der er sich befindet und dies benötigt eben Zeit. Die Handlung mag vielleicht ein wenig darunter leiden, aber dafür bekommen wir einen entwickelten Hauptcharakter mit dem wir den ganzen Film über mitleiden können und dafür ist mir kein Preis zu hoch.
Dies ist was den Film allgemein auszeichnet, Freunde des Italowesterns im Speziellen werden noch dazu gefallen daran finden, dass Willys Vater von niemand anderem als DEM William Berger verkörpert wird und Franco Ressel einen kleinen aber feinen Auftritt als mit California befreundeter Glücksspieler bekommt.
Fazit: Meisterhaftes Portrait eines herumirrenden Ex-Soldaten, der inmitten der apokalyptischen Nachkriegswelt auf der Suche nach einem kleinen Bisschen Glück ist. Sehr einfühlsam umgesetzt. 10/10