Jonathan - Hans W. Geißendörfer (1970)
Verfasst: Mi 18. Jan 2012, 21:14
Jonathan
Herstellungsland: Deutschland 1970
Regie: Hans W. Geißendörfer
Darsteller: Jürgen Jung, Hans-Dieter Jendreyko, Paul Albert Krumm, Hertha von Walther, Oskar von Schab, Ilona Grübel, Sofie Strehlow, Gaby Herbst, Henry Liposca, Christine Ratej, Arthur Brauss, Hans-Dieter Kerky, Wilfried Klaus, Monica Teuber, Walter Feuchtenberg
Da wohl jede Kritik zu JONATHAN damit anfängt, will ich keine Ausnahme machen und gleich zu Beginn herausposaunen, dass es sich bei Regisseur Herbert W. Geissendörfer nicht nur um einen der Gründerväter des Filmverlags der Autoren und damit ehemaligen deutschen Autorenfilmer handelt, sondern eben auch um den Erfinder der legendären ARD-Vorabendserie LINDENSTRASSE. JONATHAN indes, sein erster Spielfilm, steht noch ganz im Zeichen der jungen Wilden und hat mit betuchter Sonntagabendunterhaltung so viel zu tun wie der damals junge Peter Schamoni mit dem heute millionenschweren Daniel Küblböck...
1. JONATHAN ist ein Film, der über seine Atmosphäre funktioniert, nicht über seine Geschichte, bleibt letztere doch nichts weiter als eine Ansammlung von Genrekonventionen, wahlweise gebrochen und ungebrochen (bspw. können die Vampire hier schadlos im Sonnenschein spazieren, nur Wasser greift sie tödlich an), und ließe sich in dem lapidaren Satz zusammenfassen, dass eine Gruppe (aristokratischer) Vampire einen gesamten, zumeist von Bauern bewohnten Landstrich als Nahrungsquelle nutzen, bis ein kluger Professor die Fackel der Revolte ins Volk trägt und sie zur Rebellion anstachelt, nachdem er seinen Günstling Jonathan als Vorhut ins Schloss des namenlosen Grafen geschickt hat, wo dieser als Spitzel die Weichen für den baldigen Ansturm stellen soll. Neu ist hier nichts, vielmehr wird fleißig aus dem Genrefundus geschöpft, Dracula hält ja schon dahingehend her, dass der Filmtitel Jonathan eine offensichtliche Anspielung auf den Bram-Stoker-Helden Jonathan Harker sein soll, nur mit dem Unterschied, dass der Jonathan hier nun wirklich nicht die Qualitäten eines Helden besitzt. Einen Großteil der Laufzeit irrt unsre potentielle Identifikationsfigur, die gerade das eben nicht ist, durch verheerte Landstriche, die aussehen, als seien sie noch vom Dreißigjährigen Krieg übriggeblieben, voller Toter, Verletzter und dem Wahnsinn verfallener Überlebender, und wird, sobald er im gräflichen Schloss auftaucht, dort alsbald als Gefangener installiert, der im Finale nichts weiter zu tun hat als sich im Folterkeller zusammenprügeln und quälen zu lassen bis die Armee des Professors ihn errettet. Eine Liebesgeschichte, die anfangs zwischen ihm und einem wunderhübschen Mädchen angedeutet wird, das dann, vom Grafen gebissen, zu dessen Mätresse aufsteigt, verliert sich ebenso im Sande wie jedwede Charakterentwicklung. Die Personen sind einfach da, reden nicht viel, handeln im Grunde auch nicht wirklich, an sich Opfer der Umstände, wenn sie sich nicht gerade gegenseitig umbringen. An seiner Geschichte gemessen ist JONATHAN ein lethargisches Nichts. Spannung kommt zu keiner Sekunde auf, wirklich schlüssig wirkt wenig, von einer ausgeklügelten Dramaturgie (oder überhaupt einer) kann keine Rede sein.
2. Dafür ist JONATHAN ein Film der Bilder. Seine Botschaft, die plakative 68er Verheißung, dass das gemeine Volk vom (Geld-)Adel ausgesaugt wird, und es der Vernunftsflamme der Wissenschaft sowie der Tatkraft junger Leute bedarf, um sich aus diesem Teufelskreis der Macht zu lösen und ihre Unterdrücker wortwörtlich ins Meer zu treiben, (später nochmals in ANDY WARHOLS DRACULA aufgegriffen) ist nun wirklich nicht komplex genug, um die teilweise betörende, teilweise verstörende Bilderflut auch nur minimal abzumindern. Ähnlich wie bei Jean Rollin, dessen Filme sich selten gängiger narrativer Strukturen annähern und die sich lieber in ihren Vampirreigen wie in einem Sinnesrausch verlieren, scheint Geissendörfer seinen Auftrag in JONATHAN darin zu sehen, ein lebendes Gemälde nach dem andern abzuliefern. Die Bandbreite reicht von traumähnlichen Choreographien der blutjungen Vampirmädchen, die ihre Opfer bei einem vogelähnlichen Ballett umzingeln, über viele lange Planszenen, die mich ein bisschen an etwa zeitgleich entstandene Filme des Ungarn Miklos Jancso erinnerten, und in denen das Chaos und der Verfall, in dem die Welt von JONATHAN unterzugehen droht, äußerst anschaulich gemacht werden, bis hin zu reichlichen Splatterszenen, bei denen das Kunstblut zwar stets unecht aussieht, die aber nichtsdestotrotz ein Gewaltpotential aufbieten, das in der wohl schockierndsten, in der eine Ratte bei lebendigem Leibe zertreten wird, nicht mal vor Tiersnuff zurückschreckt.
3. JONATHAN scheint sich zudem in einer Tradition des Vampirfilms zu sehen, die wenig mit den Hammer-Studios oder den geleckten Schwarzweiß-Hollywood-Bildern der Universal zu tun hat, sondern in den deutschen Raum zurückreicht, zu der Poesie von Murnaus NOSFERATU und dem schlafwandlerischen Impressionsismus von Dreyers VAMPYR, die beide permanent in JONATHAN als übergroße Vorbilder, die freilich niemals erreicht werden, durchschimmern, jedoch auch eine schmale Nische für Anleihen beim zeitgenössischen B-Kino lassen, somit auch einem Jess Franco sein bisschen Einfluss zugestehen. Somit oszilliert JONATHAN andauernd zwischen politischem Agitationskino, schwelgerischem Arthouse-Rausch und leicht trashigem B-Movie-Horror, eine Mischung, die sicherlich nicht jedem gefällt, aber durchaus ihren Reiz hat.
Herstellungsland: Deutschland 1970
Regie: Hans W. Geißendörfer
Darsteller: Jürgen Jung, Hans-Dieter Jendreyko, Paul Albert Krumm, Hertha von Walther, Oskar von Schab, Ilona Grübel, Sofie Strehlow, Gaby Herbst, Henry Liposca, Christine Ratej, Arthur Brauss, Hans-Dieter Kerky, Wilfried Klaus, Monica Teuber, Walter Feuchtenberg
Da wohl jede Kritik zu JONATHAN damit anfängt, will ich keine Ausnahme machen und gleich zu Beginn herausposaunen, dass es sich bei Regisseur Herbert W. Geissendörfer nicht nur um einen der Gründerväter des Filmverlags der Autoren und damit ehemaligen deutschen Autorenfilmer handelt, sondern eben auch um den Erfinder der legendären ARD-Vorabendserie LINDENSTRASSE. JONATHAN indes, sein erster Spielfilm, steht noch ganz im Zeichen der jungen Wilden und hat mit betuchter Sonntagabendunterhaltung so viel zu tun wie der damals junge Peter Schamoni mit dem heute millionenschweren Daniel Küblböck...
1. JONATHAN ist ein Film, der über seine Atmosphäre funktioniert, nicht über seine Geschichte, bleibt letztere doch nichts weiter als eine Ansammlung von Genrekonventionen, wahlweise gebrochen und ungebrochen (bspw. können die Vampire hier schadlos im Sonnenschein spazieren, nur Wasser greift sie tödlich an), und ließe sich in dem lapidaren Satz zusammenfassen, dass eine Gruppe (aristokratischer) Vampire einen gesamten, zumeist von Bauern bewohnten Landstrich als Nahrungsquelle nutzen, bis ein kluger Professor die Fackel der Revolte ins Volk trägt und sie zur Rebellion anstachelt, nachdem er seinen Günstling Jonathan als Vorhut ins Schloss des namenlosen Grafen geschickt hat, wo dieser als Spitzel die Weichen für den baldigen Ansturm stellen soll. Neu ist hier nichts, vielmehr wird fleißig aus dem Genrefundus geschöpft, Dracula hält ja schon dahingehend her, dass der Filmtitel Jonathan eine offensichtliche Anspielung auf den Bram-Stoker-Helden Jonathan Harker sein soll, nur mit dem Unterschied, dass der Jonathan hier nun wirklich nicht die Qualitäten eines Helden besitzt. Einen Großteil der Laufzeit irrt unsre potentielle Identifikationsfigur, die gerade das eben nicht ist, durch verheerte Landstriche, die aussehen, als seien sie noch vom Dreißigjährigen Krieg übriggeblieben, voller Toter, Verletzter und dem Wahnsinn verfallener Überlebender, und wird, sobald er im gräflichen Schloss auftaucht, dort alsbald als Gefangener installiert, der im Finale nichts weiter zu tun hat als sich im Folterkeller zusammenprügeln und quälen zu lassen bis die Armee des Professors ihn errettet. Eine Liebesgeschichte, die anfangs zwischen ihm und einem wunderhübschen Mädchen angedeutet wird, das dann, vom Grafen gebissen, zu dessen Mätresse aufsteigt, verliert sich ebenso im Sande wie jedwede Charakterentwicklung. Die Personen sind einfach da, reden nicht viel, handeln im Grunde auch nicht wirklich, an sich Opfer der Umstände, wenn sie sich nicht gerade gegenseitig umbringen. An seiner Geschichte gemessen ist JONATHAN ein lethargisches Nichts. Spannung kommt zu keiner Sekunde auf, wirklich schlüssig wirkt wenig, von einer ausgeklügelten Dramaturgie (oder überhaupt einer) kann keine Rede sein.
2. Dafür ist JONATHAN ein Film der Bilder. Seine Botschaft, die plakative 68er Verheißung, dass das gemeine Volk vom (Geld-)Adel ausgesaugt wird, und es der Vernunftsflamme der Wissenschaft sowie der Tatkraft junger Leute bedarf, um sich aus diesem Teufelskreis der Macht zu lösen und ihre Unterdrücker wortwörtlich ins Meer zu treiben, (später nochmals in ANDY WARHOLS DRACULA aufgegriffen) ist nun wirklich nicht komplex genug, um die teilweise betörende, teilweise verstörende Bilderflut auch nur minimal abzumindern. Ähnlich wie bei Jean Rollin, dessen Filme sich selten gängiger narrativer Strukturen annähern und die sich lieber in ihren Vampirreigen wie in einem Sinnesrausch verlieren, scheint Geissendörfer seinen Auftrag in JONATHAN darin zu sehen, ein lebendes Gemälde nach dem andern abzuliefern. Die Bandbreite reicht von traumähnlichen Choreographien der blutjungen Vampirmädchen, die ihre Opfer bei einem vogelähnlichen Ballett umzingeln, über viele lange Planszenen, die mich ein bisschen an etwa zeitgleich entstandene Filme des Ungarn Miklos Jancso erinnerten, und in denen das Chaos und der Verfall, in dem die Welt von JONATHAN unterzugehen droht, äußerst anschaulich gemacht werden, bis hin zu reichlichen Splatterszenen, bei denen das Kunstblut zwar stets unecht aussieht, die aber nichtsdestotrotz ein Gewaltpotential aufbieten, das in der wohl schockierndsten, in der eine Ratte bei lebendigem Leibe zertreten wird, nicht mal vor Tiersnuff zurückschreckt.
3. JONATHAN scheint sich zudem in einer Tradition des Vampirfilms zu sehen, die wenig mit den Hammer-Studios oder den geleckten Schwarzweiß-Hollywood-Bildern der Universal zu tun hat, sondern in den deutschen Raum zurückreicht, zu der Poesie von Murnaus NOSFERATU und dem schlafwandlerischen Impressionsismus von Dreyers VAMPYR, die beide permanent in JONATHAN als übergroße Vorbilder, die freilich niemals erreicht werden, durchschimmern, jedoch auch eine schmale Nische für Anleihen beim zeitgenössischen B-Kino lassen, somit auch einem Jess Franco sein bisschen Einfluss zugestehen. Somit oszilliert JONATHAN andauernd zwischen politischem Agitationskino, schwelgerischem Arthouse-Rausch und leicht trashigem B-Movie-Horror, eine Mischung, die sicherlich nicht jedem gefällt, aber durchaus ihren Reiz hat.