Darsteller: Brad Euston, Ivana Giordan, Isarco Ravaioli, Mirella Rossi, Eva Spadaro, u.a.
Story:
Professor Brecht finds out his wife Lisa is having an affair with his twin brother Giordano. His brother disappears in mysterious circumstances and he takes his place, pretending to be him, driving his wife crazy. (quelle: imdb.com)
Re: Mania - Renato Polselli (1974)
Verfasst: So 28. Jul 2019, 11:06
von Onkel Joe
Gestern Abend beim Terza Visione auf der großen Leinwand gesehen und ein ganz wundervoller Wahnsinn der von Polselli da auf 35mm gezaubert wurde. Mit im Saal saßen noch Canisius, Salvatore und der Kampfgigant, wir sind zufrieden aus dem Saal gewankt.
Re: Mania - Renato Polselli (1974)
Verfasst: Mo 29. Jul 2019, 00:05
von sid.vicious
Ich habe MANIA im letzten Jahr erstmalig geschaut. Sehr spezielles Teil, dessen berauschende Wirkung während der Leinwandsichtung mit Sicherheit noch um ein einiges maximiert werden kann.
Re: Mania - Renato Polselli (1974)
Verfasst: Mo 29. Jul 2019, 09:26
von Blap
Onkel Joe hat geschrieben:Gestern Abend beim Terza Visione auf der großen Leinwand gesehen und ein ganz wundervoller Wahnsinn der von Polselli da auf 35mm gezaubert wurde. Mit im Saal saßen noch Canisius, Salvatore und der Kampfgigant, wir sind zufrieden aus dem Saal gewankt.
Den habe ich leider noch nicht gesehen. Da offenbar vorführfähiges Material existiert, erscheint mir eine Blu-ray Veröffentlichung mehr als überfällig!
Re: Mania - Renato Polselli (1974)
Verfasst: Mi 31. Jul 2019, 16:03
von Salvatore Baccaro
Abt. Terza-Visione-Festival des italienischen Genrefilms 2019
Wenn ein Film damit beginnt, dass ein hysterisch miteinander kommunizierendes Liebespaar auf einer gebirgigen Landstraße von einem menschenleeren PKW verfolgt wird, während die Außenaufnahmen konsequent bei Tag und die Innenaufnahmen des Wagens unserer Helden konsequent bei Nacht gedreht worden scheinen, und eine Rückblende außerdem vom (vermeintlichen) Flammentod eines Wissenschaftlers berichtet, in dessen Labor Betonmischer zirkulieren, und der angeblich eine Formel gefunden hat, mit der man die Materie beherrschen, sprich, eine Biene mitten im Flug stoppen lassen kann, dann ahnt man vielleicht schon, dass man sich in ein Werk des großen Eklektizisten Renato Polselli verirrt hat, weiß auf jeden Fall aber, dass während der nachfolgenden neunzig Minuten die Pforten der Wahrnehmung sehr lose in ihren rationalistischen Angeln baumeln werden.
Was unsere Heldin Lisa, Gattin des erwähnten mad scientist, an dessen Purgatorium sie sich die Schuld in die Schuhe schiebt, in Polsellis Mixtur aus haunted-house-Horror, SM-Peitsch-Einlagen, Gothic-Delirium und Seelenstudie derangierter Individuen so alles erlebt, rechtfertigt ausnahmsweise mal den Gemeinplatz: Das lässt sich einfach nicht in Worte fassen. Angelangt in der Villa ihres toten Ehemanns, und konfrontiert mit dessen bei erwähntem Inferno stark in Mitleidenschaft gezogenen, nun im Rollstuhl sitzenden Zwillingsbruder, (mit dem sie übrigens einst ein Verhältnis unterhielt), sowie dessen taubstummer Nymphomaninnen-Bediensteten zersplittert nicht nur unsere potentielle Identifikationsfigur in einen Wust aus schrillen Schreien und hysterischen Anfällen, sondern die Narration tut es ihr gleich. So konsequent gegen den Strich inszeniert wie MANIA ist, kann das nur eine bewusste Entscheidung gewesen sein: Kaum eine Einstellung fügt sich harmonisch an die nächste; munter wechseln die Tageszeiten; einen logisch konsumierbaren Sinn aus den narrativen Fragmenten zu schöpfen, erübrigt sich schnell. Als ob Andrzej Zulawski nicht den Arthouse-Weg gewählt hätte, sondern in die Untiefen billig heruntergekurbelter Horrorstreifen hinabgestiegen wäre. Als ob Jean-Luc Godard sich bei seinen Genre-Dekonstruktionen nicht an Hollywood B-Movies abgearbeitet, sondern sich intensiv mit gotischen Gialli auseinandergesetzt hätte. Ob das teilweise knapp am Erstickungstod vorbeischrammende Publikum nun über den Film lachte oder mit ihm, kann ich nicht entscheiden. Ich jedenfalls habe nun die endgültige, weil kino-erprobte Bestätigung, dass Polselli der vielleicht einzige Regisseur der Filmgeschichte ist, der einen derart bravourösen Balanceakt zwischen Trash und Kunst hinlegt, dass die Beurteilung, ob er nun zum einen oder anderen tendiert, obsolet wird.
Re: Mania - Renato Polselli (1974)
Verfasst: Di 9. Mär 2021, 18:20
von Il Grande Racket
Gestern Abend habe ich den im Rahmen eines Badmovies-Streamingabends auch endlich mal gesehen. Nach einem fürs kanadische Fernsehen gedrehten Namensvetter, der sich als konservativer und ziemlich dumpf-unspannender Episoden-HorrorMysteryThrillerIrgendwas entpuppte, und dem Franzmann-auf-Frau(& auch Franzfrau-auf-Frau)-Gefickel ORGIEN DER LUST (aka Orgie der schmierigen 70s-Dialoge) waren meine Augenlider schon schwer, doch Polselli gelang es schnell mich zu reanimieren, ein Blick in die weit aufgerissenen Augen von Eva Spadaro genügte, sie musste nicht einmal schreien (was sie nicht davon abhielt, es im Folgenden noch zur Genüge zu tun), und ich war wieder hellwach. Und wahrlich beschwor MANIA ein wahrhaft manisches Treiben auf dem Bildschirm, ein wahnsinnig wahnwitzig dargereichter Cocktail aus unterdrückten Sehnsüchten, Schuldgefühlen und Abhängigkeiten, begleitet von wahnhaften Erscheinungen, die sich später als Geistershow entpuppten.
Schöner Film, freue mich schon auf eine zweite Sichtung...
Re: Mania - Renato Polselli (1974)
Verfasst: Mi 20. Dez 2023, 22:51
von Salvatore Baccaro
Derzeit bin ich dabei, mir im Rahmen eines größeren Projekts noch einmal alle einschlägigen Regiearbeiten Polsellis vorzuknöpfen. Stand der Dinge im Moment ist, dass es sich bei MANIA, zumindest meiner Meinung nach, um den Höhepunkt des Schaffens dieses Ausnahmeregisseurs handeln dürfte, jenen Kristallisationspunkt, in den seine dato bereits jahrzehntelange Karriere kulminierte, um das Beste aus den beiden Welten Gothic Horror und Melodrama zu einem zugleich physisch affizierenden wie emotional ergreifenden Cocktail zu vermengen, der mich auch nach wiederholter Sichtung immer noch schon allein durch seine atemlose Eröffnungssequenz regelrecht betrunken macht. Hysterisch agierender Cast am Rande des Nervenzusammenbruchs; explodierende Mad-Scientist-Gerätschaften wie aus irgendeinem Sci-Fi-Trash; gotischer Grusel mit einem Fuß jenseits der Schwelle zum Cinèma Vomitif, wenn Polselli in einer Szene gar die Madenexzesse eines Lucio Fulci vorwegnimmt; BDSM-Peitschenstreicheleinheiten und sonstige Extravaganzen aus dem Katalog dessen, was man früher sexuelle Perversionen nannte; leitmotivisch die Aufnahme von Baumwipfeln im Abendwind, hinter denen das Firmament ständig eine andere Farbe annimmt - eine Komposition aus irrem Gelächter, schrillen Schreien, fiebrigen Gesichtern, schwirrenden Elektroniksounds, hemmungslosen Handkameraschwenks ist dieser ganze wunderbare Film, den ich nunmehr zum Glorreichsten küren muss, was das italienische Kino zwischen Arthouse und Grindhouse in seiner Hochphase hervorgebracht hat. Etwas Wehmut schwingt mit, wenn man realisiert, dass mit MANIA die zweite Ära im Polselli'schen Oeuvre ihren (fulminanten!) Abschluss findet: Die erste würde ich von 1952, als er mit ULTIMO PERDONO sein Regie-Debüt vorlegt, bis 1966 andauern lassen, wo auf seinen inzwischen zwölften Filmen MONDO PAZZO...GENTE MATTA! ein Hiatus von sechs Jahren folgt, bis er 1972 mit DELIRIO CALDO seinen zweiten Frühling einläutet - einen Frühling freilich, der nur bis 1974 andauert, in dieser knappen Zeitspanne jedoch insgesamt fünf Meisterstücke hervorbringt. Ein Jahr nach MANIA folgt Polsellis erster Ausflug ins reine Hardcore-Fach, aus dem er bis weit in die 80er hinein nie mehr wirklich herausfinden wird. Er sei eine Hure des Kinos geworden, wird er in einem späteren Interview sagen; in MANIA wiederum ist er demgegenüber endgültig zu einem Magier des Kinos geworden, zu jemandem, der nicht mehr nur Filme dreht, die aufreizen, unterhalten, faszinieren, sondern der audiovisuelle Epiphanieerlebnisse kreiert, der Leinwand oder Fernsehschirm nutzt, um transgressive Rituale auf ihnen zu feiern, der es tatsächlich schafft, einen Zustand wie Wahnsinn erlebbar zu machen, so, als sei man wirklich selbst von ihm befallen, "dabei ist es doch bloß ein Film"...