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Denkt bloß nicht, daß wir heulen - Stanley Kramer (1971)
Verfasst: Mo 20. Feb 2012, 09:09
von jogiwan
Denkt bloß nicht, daß wir heulen
Originaltitel: Bless the Beasts & Children
Herstellungsland: USA / 1971
Regie: Stanley Kramer
Darsteller: Bill Mumy, Barry Robins, Miles Chapin, Darel Glaser, u.a.
Story:
Die sechs Jugendlichen Cotton, Teft, Shecker, Goonenow und die beiden rivalisierenden Brüder Lally 1 & 2 haben eines gemeinsam. Sie sind von ihren überforderten Eltern in ein Sommer-Camp gesteckt worden, dass aus den rebellischen Teenagern echte Männer machen soll. Als die Jugendlichen jedoch eines Tages Zeuge werden, wie bei einer Jagd-Veranstaltung friedliche Büffel abgeschossen werden, flüchten sie ein paar Tage vor Ende des Sommers aus dem Camp um die Tiere in einer nächtlichen Aktion zu befreien. Die gemeinsame Reise und das gemeinschaftliche Ziel schweißt die unterschiedlichen Außenseiter zusammen, doch als sie am Ziel ihrer Reise sind, lösen sie indirekt eine Katastrophe aus, bei der einer der Jugendlichen sein Leben lassen muss...
Re: Denkt bloß nicht, daß wir heulen - Stanley Kramer (1971)
Verfasst: Mo 20. Feb 2012, 09:13
von jogiwan
Toller und kontroverser "Coming-of-Age"-Streifen und Drama mit gesellschaftskritischen Untertönen, der wirklich sehr gelungen ist. Die sechs Jugendliche sind klassische Außenseiter, wurden von ihren Eltern abgeschoben und finden unter Gleichaltrigen ebenfalls keinen Anschluss. Doch ein gemeinschaftliches Ziel schweißt die unterschiedlichen Jungs zumsannen und lässt alle über sich hinauswachsen. Es entsteht eine Freundschaft, die am Ende durch ein tragisches Unglück jedoch jäh zerissen wird. "Bless the Beasts & Children" ist dann auch sehr gelungen und bietet neben einem Titellied der "Carpenters" auch solide Darsteller und eine Story, die zum Nachdenken anregt. Die Art und Weise, wie die Geschichte in Rückblenden erzählt wird, ist ebenfalls gelungen und die literarische Vorlagen ist wohl auch dieselbe wie bei Rob Reiners "Stand by me". Ich fand "Denkt bloß nicht, daß wir heulen" mit seiner Außenseiter- und Anti-Waffen-Thematik jedenfalls mehr als gelungen: 8-9/10
Re: Denkt bloß nicht, daß wir heulen - Stanley Kramer (1971)
Verfasst: Mo 20. Feb 2012, 11:16
von buxtebrawler
jogiwan hat geschrieben:(...) die literarische Vorlagen ist wohl auch dieselbe wie bei Rob Reiners "Stand by me".
Das glaube ich nicht, Reiners Vorlage war die Novelle "Die Leiche" von Stephen King, erschienen 1982. Aber evtl. hatte sich King von diesem Film bzw. dessen tatsächlicher Literaturvorlage beeinflussen lassen...?
Klingt jedenfalls interessant, werde ich im Hinterkopf behalten.
Re: Denkt bloß nicht, daß wir heulen - Stanley Kramer (1971)
Verfasst: Di 22. Mai 2012, 20:58
von buxtebrawler
„Bei euch wird’s mir gefallen. Die in dem anderen Haus, die waren... so normal!“
„Denkt bloß nicht, dass wir heulen“ ist die 1971 unter der Regie Stanley Kramers (Produzent von „12 Uhr mittags“) entstandene Verfilmung des Romans „Bless the Beasts and Children“ von Glandon Swarthout. Der gleichnamige Titelsong stammt von den Carpenters. In einem Jugendferienlager treffen sechs pubertierende Jugendliche aufeinander, die allesamt von ihren überforderten Eltern dorthin verfrachtet wurden, damit sie bei männlichem Spiel, Spaß und Abenteuer an Reife und Normalität bzw. das, was man dafür hält, gewinnen. Doch auch im Lager werden sie rasch zu Außenseitern. Als sie eines Tages entsetzt mit ansehen, wie als Touristenattraktion Büffelherden abgeknallt werden, die schutzlos in einem umzäunten Gebiet ihren Jägern ausgeliefert sind, reift in ihnen der Entschluss, dem Sommerlager den Rücken zu kehren und erneut zu den Büffeln zu reisen, diesmal jedoch ohne ihren Aufseher…
Die Geschichte vermischt „Coming of age“-Motive mit Road-/Buddy-Movie-Charakteristika und täuscht mit ihrem komödiantischen Auftakt: Dieser weicht schnell dem im Lager herrschenden Sozialdarwinismus, der die Kinder und Jugendlichen spielerisch, aber unerbittlich selektiert und in Gewinner und Verlierer unterteilt. Lob und Anerkennung den Starken, Demütigungen den Schwächeren bzw. denjenigen, denen es schwerer fällt, sich in die Gemeinschaft einzufinden und ihre Rituale, ihre ungeschriebenen Gesetze und ihre nicht immer sportlichen Disziplinen vorbehaltlos zu akzeptieren und hochmotiviert, um Anerkennung heischend mitzumischen.
In Rückblenden erfährt man, was alles an Ereignissen im Lager vorgefallen ist und von der individuellen persönlichen Situation jedes einzelnen Jugendlichen, die sie schließlich hierher brachten. Dadurch lernt man die Jungs mit ihren jeweiligen Stärken, Schwächen und Problemen nach und nach kennen und bekommt durch einen Einblick in ihr Familienleben auch direkt eine Vorstellung davon, wer dafür verantwortlich ist, dass etwas schief läuft... Denn letztlich sind es meist die Eltern bzw. einzelne Elternteile, die ihrer erzieherischen Rolle nicht in ausreichendem Maße gerecht werden, sich ihrer Verantwortung aber nicht stellen, sondern im Gegenteil diese von sich weisen und in fremde Hände – in diesem Falle in die der Lagerbetreiber – abgeben. Aneinandergefügt werden die Szenen durch kreative, verspielte Überblendeffekte, die der Handlung etwas von ihrer Schwere nehmen.
Die heimliche und beschwerliche Reise zurück zu den Büffeln wurde sodann als lehrreicher und spannender Selbsterfahrungstrip konzipiert, der an die Kraft der Solidarität appelliert, aber auch jugendliche Naivität und Ängste sowie Eifer und Abenteuerlust aufzeigt. Natürlich wird auch um Verständnis für Außenseiter und Minderheiten geworben, jedoch nie schwülstig um Toleranz bettelnd, sondern aus einem diese engagierten, intelligenten Jungs über die tumbe, angepasste Masse stellendem Selbstverständnis heraus. Wunderschöne Landschaftsaufnahmen, die Freiheit und den Weg als Ziel suggerieren, begleiten dem Zuschauer auf dem Weg zum dramaturgischen Höhepunkt, dem zunächst pannenreichen Finale, das schließlich in einer Katastrophe mündet. Unverhohlen werden Tiermisshandlung und Schusswaffenversessenheit angeprangert und wer möchte, kann nach Parallelen, Symbolen und Metaphern zwischen den Jugendlichen aus dem Lager und den zum Abschuss freigegebenen Tieren suchen.
Damit ist „Denkt bloß nicht, dass wir heulen“ ein starker Film und recht früher Beitrag zu dieser Thematik, die, stärker konzentriert auf die geistigen Entwicklungsprozesse der Protagonisten, später in Stephen Kings Novelle „Die Leiche“ aufgegriffen wurde, die von Rob Reiner mit „Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers“ hervorragend verfilmt wurde. Die Darsteller, insbesondere natürlich die bestens aufgelegten Jungschauspieler, tragen ebenso wie die spannende, dramatische, jedoch niemals zu anrührende, im Zweifelsfall eher Humor und Sachlichkeit verpflichtete Inszenierung dazu bei, dass Kramers Film keinesfalls in die Mottenkiste des pädagogischen Films gehört, sondern jeden, der sich von dieser seltenen, eingangs erwähnten Genre-Melange angesprochen fühlt, interessieren sollte. Ich zücke 7,5/10 und erkenne nicht zuletzt die für konservative Teile der USA vermutlich kontroverse, mutige thematische Ausrichtung und die damit verbundene Allein- und Vorreiterstellung meinen Respekt zum Ausdruck bringend an.