Die Delegation - Rainer Erler (1970)

Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Die Delegation - Rainer Erler (1970)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Die Delegation

Herstellungsland: Deutschland / 1970

Regie: Rainer Erler

Darsteller: Walter Kohut, Hans Häckermann, Karl L. Veit, Hermann Oberth, Ilse von Jacobi, Wilhelm Martin, Reinhold Hermann, Alfonso D'Aubert, August Wörner, Donald E. Keyhoe, Stephan Orlac u. A.
TV-Reporter Will Roczinsky erhält den Auftrag einen Bericht über Ufologen zu erstellen. Obwohl er selbst dem Thema keinen Glauben schenkt macht er sich an die Arbeit und findet immer mehr Ungereimtheiten heraus, die ihn letztendlich sogar an seiner bisherigen Überzeugung zweifeln lassen. Allerdings: Je mehr Roczinsky sich in das Thema vergäbt, desto gefährlicher wird es auch für ihn und sein Umfeld.
Quelle: www.ofdb.de
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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buxtebrawler
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Re: Die Delegation - Rainer Erler

Beitrag von buxtebrawler »

Ok, langsam aber sicher muss ich mir als in die Jahre kommendem Filmfreund wohl endgültig eingestehen, dass sich die Innovation des „Blair Witch Project“ auf das Marketing-Brimborium im Vorfeld beschränkte, denn nicht nur „The Last Broadcast“ und, was die „Found Footage“-Thematik betrifft, Filme à la „Cannibal Holocaust“ gab es bereits vorher, sondern auch Rainer Erlers Mystery-Science-Fiction „Die Delegation“, die im Jahre 1970 (!) für das ZDF (!) produziert wurde. Dass Autorenfilmer Erler sowohl ein Händchen für Science Fiction („Operation Ganymed“) als auch für ein breites Publikum erreichendes Unterhaltungskino mit deutlicher Aussage („Fleisch“) hatte, durfte ich bereits während meiner vorausgegangenen Auseinandersetzung mit diesem zu Unrecht in Vergessenheit geratenen und unbedingt wiederzuentdeckenden Kapitel der deutschen Kino- bzw. Fernsehkultur positiv überrascht zur Kenntnis nehmen. „Die Delegation“ aber toppt beide Filme und gehört zum Besten, was ich bisher an deutschen TV-Filmen zu sehen bekam.

Will Roczinski (Walter Kohut, „Die Brücke von Arnheim“) ist ein TV-Reporter, der ganz seinem Beruf und damit der Realität, der Skepsis und der Wahrheitsfindung verpflichtet ist und mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht. Ein Wendepunkt in seinem Leben soll jedoch eine Reportage über einen „Ufo-Kongress“ an die Existenz außerirdischer Lebewesen und deren Besuche auf Erden glaubender „Ufologen“ werden. Als er dort von einer angeblichen Ufo-Sichtung in Kanada erfährt, reist er an den Ort des Geschehens und macht eigenartige Entdeckungen. Immer mehr überwindet er seine anfängliche Skepsis und erliegt selbst der Faszination des Themas. Sein Arbeitgeber, der TV-Sender, hingegen ist wenig begeistert von Roczinskis Alleingängen und kündigt schließlich seinen Arbeitsvertrag. Auf eigene Faust ermittelt Roczinski weiter, stirbt jedoch nach einer Verkettung mysteriöser Phänomene bei einem Autounfall…

„Die Delegation“ ist dabei im Stile einer „Mockumentary“, einer vermeintlichen Dokumentation, aufgebaut. Im Rahmen der fiktiven Fernsehsendung „aktuelles forum“ wird anhand der Auswertung der von Roczinski hinterlassenen Bild- und Tondokumente über dessen Unternehmungen und seinen rätselhaften Tod berichtet. Dabei fährt Erler das komplette Repertoire auf, das später einen Film wie „Blair Witch Project“ zum Kassenknüller machte: Roh und unbearbeitet erscheinendes Material, Wackelkamera, steigende Hysterie und Paranoia des Protagonisten und eben auch schemenhafte, in mehrere Richtungen interpretierbare Aufnahmen von Erscheinungen, die diffus und uneindeutig bleiben unter weitestgehendem Verzicht auf Spezialeffekte. Diese Uneindeutigkeit ist zudem neben dem großartigen, hochgradig authentisch wirkenden Schauspiel Walter Kohuts eine der großen Stärken des Films. Innerhalb eines von der US-amerikanischen Mondlandung und den Theorien eines Erich von Däniken für derartige Themen sensibilisierten gesellschaftlichen Klimas beantwortet „Die Delegation“ die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit intelligenten außerirdischen Lebens mit einem zaghaften Ja, liefert aber lediglich eine Aneinanderreihung seltsamer, schwer bis nicht zu erklärender Phänomene, die nüchtern betrachtet nicht viel aussagen, zusammengesetzt wie in den sich entwickelnden Theorien Roczinskis den Besuch extraterrestrischer Wesen aber als eine mögliche, naheliegende Interpretationsmöglichkeit anbieten.

Dabei scheint sich mir „Die Delegation“ eng an damals wie heute aktuelle Überlieferungen und Theorien zu halten, ob nun Entführungen durch Außerirdische mit anschließendem Gedächtnisverlust, Dänikens Hypothesen von der Prä-Astronautik oder brisante Informationen zurückhaltende, staatliche Behörden. Gedreht an Originalschauplätzen in Deutschland, Kanada, den USA und Peru, entfaltet sich eine beunruhigende, rätselhafte Atmosphäre, in der alles möglich scheint, sich Roczinski aber mehr und mehr in einer spürbar vorhandenen, aber nicht näher definierbaren Gefahr verliert. Hat er es tatsächlich mit einer außerirdischen Macht zu tun? Oder sind geheimbündnerisch agierende Behörden hinter ihm her? Oder verfällt er schlicht dem Wahnsinn, ist vollkommen gefangengenommen von einer fixen Idee, der er jegliche Vernunft unterordnet? Keine dieser Fragen wird dem verunsicherten Zuschauer beantwortet, der mit Erlers Gedankenspiel allein zurückgelassen und angehalten wird, seine eigenen Überlegungen anzustellen und entsprechende Schlüsse zu ziehen.

Wie feinfühlig Erler seinerzeit mit der Thematik umging und ihm eine nahezu perfekte „Found-Footage-Mockumentary“ gelang, mit der seiner Zeit offenbar voraus war, ringt mir großen Respekt und eine Empfehlung für Freunde derartiger Filme, Ufo-Fans und -Skeptiker sowie Science-Fiction-Interessierte gleichermaßen ohne jedes Wenn und Aber ab. Erstaunlich, was damals im öffentlich-rechtlichen Fernsehen möglich war.
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DrDjangoMD
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Re: Die Delegation - Rainer Erler

Beitrag von DrDjangoMD »

buxtebrawler hat geschrieben:Ok, langsam aber sicher muss ich mir als in die Jahre kommendem Filmfreund wohl endgültig eingestehen, dass sich die Innovation des „Blair Witch Project“ auf das Marketing-Brimborium im Vorfeld beschränkte, denn nicht nur „The Last Broadcast“ und, was die „Found Footage“-Thematik betrifft, Filme à la „Cannibal Holocaust“ gab es bereits vorher, sondern auch Rainer Erlers Mystery-Science-Fiction „Die Delegation“, die im Jahre 1970 (!) für das ZDF (!) produziert wurde.
Über das Thema habe ich mal kurz mit einem Professor von mir diskutiert. Zugegeben, diesen äußerst interessant klingenden "Die Delegation" kannte ich damals selbst nicht; aber irgendwie kam es heraus als würden Filmwissenschaftler das "Blair Witch Project" deshalb als erstes seiner Art ansehen, weil sie die anderen Found Footage Filme aus irgendeinem Grund nicht akzeptieren. "Die Delegation" wahrscheinlich, weil es ein Fernsehfilm ist und "Cannibal Holocaust" wird aufgrund seiner Brutalität von der Wissenschaftlichen Welt soweit ich das hier mitbekommen habe ziemlich totgeschwiegen. Wenigstens bin ich da um diesen Missstand zumindest auf meiner Fakultät auszurotten 8-)
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buxtebrawler
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Re: Die Delegation - Rainer Erler

Beitrag von buxtebrawler »

DrDjangoMD hat geschrieben:Über das Thema habe ich mal kurz mit einem Professor von mir diskutiert. Zugegeben, diesen äußerst interessant klingenden "Die Delegation" kannte ich damals selbst nicht; aber irgendwie kam es heraus als würden Filmwissenschaftler das "Blair Witch Project" deshalb als erstes seiner Art ansehen, weil sie die anderen Found Footage Filme aus irgendeinem Grund nicht akzeptieren. "Die Delegation" wahrscheinlich, weil es ein Fernsehfilm ist und "Cannibal Holocaust" wird aufgrund seiner Brutalität von der Wissenschaftlichen Welt soweit ich das hier mitbekommen habe ziemlich totgeschwiegen.
Das ist ein Skandal!
DrDjangoMD hat geschrieben:Wenigstens bin ich da um diesen Missstand zumindest auf meiner Fakultät auszurotten 8-)
Heute die Fakultät, morgen die ganze Welt! Ich wünsche dir bei deinem Vorhaben viel Erfolg.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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jogiwan
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Re: Die Delegation - Rainer Erler

Beitrag von jogiwan »

ich hab mir mal diese Erler-Box bestellt... und Bux ist schuld! :?
it´s fun to stay at the YMCA!!!



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Blap
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Re: Die Delegation - Rainer Erler

Beitrag von Blap »

DrDjangoMD hat geschrieben:...und "Cannibal Holocaust" wird aufgrund seiner Brutalität von der Wissenschaftlichen Welt soweit ich das hier mitbekommen habe ziemlich totgeschwiegen.
Was für speichelleckende Arschkriecher, Fördergeldlutscher und eierlose Luftpumpen. Gib dem Pack die Knute!

...und vielen Dank an Bux für die Vorstellung der Erler-Flicks. Teils vor Ewigkeiten gesehen, eine Auffrischung wäre wohl angesagt.
Das Blap™ behandelt Filme wie Frauen
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CamperVan.Helsing
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Re: Die Delegation - Rainer Erler

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Blap hat geschrieben:

...und vielen Dank an Bux für die Vorstellung der Erler-Flicks.

In der Tat. Eigentlich wollte ich mir die Erler-Box schon längst besorgt haben...
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sergio petroni
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Re: Die Delegation - Rainer Erler

Beitrag von sergio petroni »

Gibt es außerirdisches Leben? Wenn ja, wie weit ist dieses entwickelt? Möglicherweise
der menschlichen Zivilisation tausende ja hunderttausende Jahre voraus?
Um diese Frage geht es in Rainer Erlers "Die Delegation". Nach reiner Wahrscheinlichkeits-
rechnung müssten all diese Fragen eindeutig mit Ja beantwortet werden.

Protagonist dieser Pseudodoku ist der Reporter Will Roczinski, der mit seinem Kameramann
im Schlepptau die Ufologen hinterfrägt. Mit Skepsis und Humor versucht er die Ufo-Gläubigen
bloßzustellen und vor der Kamera lächerlich zu machen.
Als eine spektakuläre Ufo-Sichtung in Sudbury/Kanada die Runde macht, erhält Roczinski
von seinem Sender die Genehmigung dorthin zu fahren und weiter an seinem Thema dranzubleiben.
Vor Ort stößt er auf eine Augenzeugin, die ihn zu einem möglichen Ufo-Landeplatz führt.
Von da an wandelt sich Roczinski vom Skeptiker zum Gläubigen, ja gar Besessenen.
Sein Sender fordert ihn auf, zurückzukommen und kündigt ihm die Stellung, nachdem
Roczinski sich weigert.
Der Reporter scheint immer mehr in den Wahnsinn abzudriften. Sein Weg führt nach Peru.
Wird sich dort das Geheimnis ergründen lassen? Je näher Roczinski der Lösung des Rätsels kommt,
desto gefährlicher wird es für ihn und seine Begleiter....

Der komplette ZDF-Fernsehfilm aus dem Jahre 1970 (!) ist im sogenannten Found-Footage-Stil gedreht.
Kamera- und Tonbänder Roczinskis bilden die Grundlage dieses Spielfilms; auf Musikuntermalung wurde
verzichtet. Lange bevor dieser Pseudodoku-Stil populär wurde hat Rainer Erler mit diesem Werk
bereits eigentlich alle gängigen genredefinierenden Maßstäbe gesetzt. Die subjektive Kamera
wird effektiv und durchaus spannungserzeugend eingesetzt.
Ganz klare Empfehlung und Hut ab vor dieser Fernsehproduktion!
7/10
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
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Die Kroete
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Re: Die Delegation - Rainer Erler

Beitrag von Die Kroete »

jogiwan hat geschrieben:ich hab mir mal diese Erler-Box bestellt... und Bux ist schuld! :?
ugo-piazza hat geschrieben:
In der Tat. Eigentlich wollte ich mir die Erler-Box schon längst besorgt haben...
...in dieser leider nicht enthalten ist: "Die Halde", Erler's Endzeit-Öko-Drama aus dem jahre 1975. :( :?

Das stößt bei mir auf absolutes Unverständnis! :x :evil: :thdown:
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Salvatore Baccaro
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Re: Die Delegation - Rainer Erler

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Vor einigen Wochen habe ich meine kurze Analyse der found-footage-Szene in Mario Bavas und Riccardo Fredas CALTIKI dazu genutzt, einmal oberflächlich das gesamte, sich später wohl vor allem aus dem Überraschungserfolg von THE BLAIR WITCH PROJECT entwickelnde Genre zu beleuchten. In Folge dessen hat mich unser Forums-Bux auf einen deutschen TV-Film von 1970, Rainer Erlers DIE DELEGATION, verwiesen, von dem ich bislang nicht das Geringste gehört hatte, der aber, hieß es, in eine Historie des found-footage ebenfalls nicht fehlen dürfe. Im Folgenden nun meine drei Haupt-Thesen zu diesem wirklich bezaubernden, kleinen, vergessenen Juwel:

1. Für einen Menschen, der, wie ich, im allerletzten Sechstel des zwanzigsten Jahrhunderts seine ersten Medienerfahrungen gemacht hat, ist es kaum vorstellbar, dass DIE DELEGATION ein Film sein soll, der primär fürs deutsche Fernsehen – namentlich: das ZDF – produziert worden sein soll. Die bundesdeutsche Fernsehlandschaft des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts ist, wenn sie mir denn mal in seltenen Fällen über den Weg läuft, eine, in der ich mir nicht mal vorstellen möchte, mein Lager für längere Zeit aufzuschlagen. Einmal ganz abgesehen vom Privatfernsehen, das sich hauptsächlich über Werbung finanziert und daher komplett gemäß der menschlichen Logik agiert, wenn es seine tatsächlichen Produktionskosten so gering wie möglich hält, und vor allem in jedweden Belangen billige, wenn nicht sogar billigste, Sendungen über den Äther laufen lässt, um Gewinne erwirtschaften zu können, die in keinem Verhältnis zu den Ausgaben stehen, kommt der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk, meiner Meinung nach, dem eigentlich in seinen Statuten zu findenden Bildungsauftrag ebenfalls schon lange nicht mal mehr zum Schein nach. Nicht erst seit gestern schalten ARD und ZDF, obwohl sie doch zwangsfinanziert werden, trotzdem in den Abendstunden munter Werbung, nicht erst seit gestern werden von den Gebührengeldern nicht etwa vorrangig fundierte Dokumentationen, sehenswerte Spielfilme oder kontroverse Talkrunden produziert, sondern fließbandartig gesichtslose Seifenopern, flaue Polit-Talks mit den immer gleichen die immer gleichen Phrasen dreschenden Protagonisten und die sogenannte Realität gemäß flacher Drehbücher zurechtbiegende Formate wie man sie bis vor wenigen Jahren im Grunde nur von Privatsendern gekannt hat. Wenn dann einmal ein Werk, ein Format oder eine Reihe entstanden ist, deren Ansprüche ein Mindestmaß an Qualität überschreiten, werden diese zumeist ins Nachtprogramm verbannt, wo sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufen müssen, da die prominenten Sendeplätzen von volkstümelnden Musikshows oder Heftchenromanverfilmungen besetzt sind. Gerade im fiktionalen Bereiche muss ich den Öffentlich-Rechtlichen jedweden Mut absprechen, einmal etwas zu wagen, Konventionen zu brechen, eingefahrene Gleise zu verlassen – was man, wie gesagt, allein daran sieht, dass Formate, die sich wenigstens ein bisschen unorthodoxer gebärden, entweder nach kurzer Zeit abgesetzt oder unter der Woche zu einer Uhrzeit gezeigt werden, dass sie höchstens ein kaum ermessbares Prozent der Zuschauer überhaupt zur Kenntnis nehmen können. In den frühen 70ern scheint das noch etwas anders gewesen sein, wie Rainer Erlers DELEGATION beweist, der aus vielerlei Hinsicht im ständig um sich selbst zirkulierenden und sich dabei ständig selbst in den Schwanz beißenden Fernsehkosmos des Jahres 2015 für mich schier undenkbar wäre. Sicher könnte man Erler vorwerfen, auf einen seinerzeit kommerziell erträglichen Zug aufgesprungen zu sein, nämlich den, als dessen Lokführer wohl Erich von Däniken gelten muss, und dessen Passagiere all jene gewesen sind, die seinen mitunter interessanten und spannenden, mitunter kruden und unwissenschaftlichen Theorien von außerirdischen Besuchern, die den Menschen vor Jahrtausenden erst die Mittel zur Verfügung stellten, befähigt zu sein, Hochkulturen wie die des Alten Ägyptens oder des Mayareiches zu errichten, mit schwindender Skepsis, wachsendem Glaube oder nackter Panik gefolgt sind. Allein aber ein solches Thema – ein deutscher Reporter mit der Frage im Hinterkopf auf Indiziensuche: gibt es außerirdisches Leben?, und wenn ja, können wir mit ihm Kontakt aufnehmen, oder hat es nicht schon längst Kontakt zu uns aufgenommen?! – kann ich mir in einem ZDF-Fernsehfilm meiner unmittelbaren Gegenwart höchstens noch in Form eines an US-amerikanischen Mainstream-Mystery-Thrillern oder Erfolgsserien wie THE X-FILES orientiert vorstellen, nur natürlich wesentlich biederer und plüschiger und großväterlich-provinzieller, und im Vordergrund mit einer der üblichen Liebesgeschichten, die schon in Trivialromanen um 1800 reichlich abgegriffen ausgesehen haben. DIE DELEGATION ist jedoch nichts weniger als das. Es ist ein Film ohne Liebesgeschichte – sogar, wenn man es genau nimmt, ohne Geschichte im klassischen Sinne. Stattdessen handelt es sich um ein Werk, das von seiner Offenheit lebt, und davon, Erklärungen genau dort zu vermeiden, wo sie ein ZDF-Fernsehfilm von 2015 mit Nachdruck hingesetzt hätte, um sich einen klar verständlichen, für jeden Zuschauer sichtbaren Sinn zu verleihen.

2. Bei ungewöhnlichen Science-Fiction-Filmen tendiert man gerne dazu, sie mit Kubricks 2001 zu vergleichen. Kürzlich hat mir eine Person, die auf ihrem Gebiet international als Autorität gilt, Christopher Nolans neusten Streich INTERSTELLAR mit den Worten empfohlen, dass das endlich einmal ein Film sei, der Kubrick nicht bloß die Stirn zu bieten versuche, sondern das auch schaffe. Als ich mir dann INTERSTELLAR angesehen hatte, hätte die Kluft zwischen ihm und 2001 für mich eigentlich kaum größer sein können. Es stimmt wohl: rein inhaltlich und von den Effekten her und teilweise auch in Bezug auf die Atmosphäre gibt es da Überschneidungen, doch viel wichtiger ist doch, meine ich, der Gestus, mit dem ein Film an mich herantritt. Im Falle von INTERSTELLAR ist das der, den ich oben schon den ZDF-Fernsehfilmen der Gegenwart vorgeworfen habe. Jedes Ereignis, jedes interstellare Phänomen wird in Nolans Film von einer naturwissenschaftlichen Erklärung begleitet, mit der der Film permanent darum bemüht ist, sich die Metaphysik auszutreiben und zu bekräftigen, dass er mit beiden Beinen auf physikalisch-mathematisch gefestigtem Gelände steht. Ich bin zu sehr Laie in den Naturwissenschaften, als dass ich beurteilen könnte, ob die in INTERSTELLAR entwickelten Thesen akademischen Standards genügen, jedoch bin ich Fachmann in künstlerischen Fragen genug, um genau herleiten zu können, weshalb ich den Film nicht als Meisterwerk, sondern lediglich als gutes Popcorn-Kino mit Anspruch beurteilt habe, während 2001 für mich weiterhin als einer DER Filme gilt, auf die ich einen Eid leisten würde. Bei Kubrick nämlich wird so gut wie nichts erklärt, nichts entschleiert, nichts wissenschaftlich hergeleitet. 2001 ist, ähnlich wie die Science-Fiction-Epen Tarkowskis, ein Film, der gerade davon lebt, dass er das vermeintliche Wunder vermeintliches Wunder sein lässt und somit die Metaphysik selbst in der hochtechnologisierten Zukunft des Jahres 2001 wahrt. Während ich von 2001 bei jeder erneuten Sichtung und in der rechten Stimmung in quasi-religiöse Zustände versetzt werden kann, verhindert ein Film wie INTERSTELLAR das allein dadurch, dass er mir seinen Materialismus in jeder etwas mystisch angehauchten Szene wie einen Eimer kalten Wassers über den Nacken schüttet. DIE DELEGATION nun gehört für mich eindeutig nicht in den Sektor INTERSTELLARs, sondern in nächste Nähe von Kubrick und Tarkowski. Wie in 2001 hält Rainer Erler seinem Publikum, bei dem er nicht den Fehler begeht, es für dümmer zu halten als es ist, zu keinem Zeitpunkt des Films eine angebliche hundertprozentige Wahrheit hin und wie in den übrigens erst Jahre später entstandenen STALKER oder SOLYARIS wird dieses prinzipielle Sich-in-der-Schwebe-Befinden des Films genutzt, um darauf im letzten Drittel immer ausufernder werdende theologische und philosophische Gedanken zu stützen. Zwar sind die nie so anspruchsvoll und ausschweifend wie bei Tarkowski, dessen Helden ja gut und gerne einmal eine halbe Stunden lang über Begriffe wie Moral oder Gott diskutieren dürfen, zugleich ist DIE DELEGATION aber auch niemals so wortkarg und so ganz seinen Bildern überlassen wie das bei 2001 der Fall ist. Für mich schafft Erler es, einen gesunden Mittelweg zwischen diesen beiden Formen des Science-Fiction zu finden, einen Weg, der nicht zu avantgardistisch-sperrig ist, nicht zu theoretisch-spirituell, aber auch nicht zu sehr daran interessiert, einfach nur eine effekt- und paukenschlagvolle Geschichte zu erzählen. Somit bedient Erler in bester Weise den Anspruch, das das Publikum ans Fernsehen - und das Fernsehen an sich selbst - im Grunde haben sollte. Er nutzt Spannung, wenn sie nötig ist, um die Handlung voranzutreiben, er nutzt Momente des Philosophierens, um die Gedanken des Zuschauers anzuregen, er wird still und lässt allein die Bilder sprechen, wenn Worte nicht mehr ausreichen. Das großartige Ende von DIE DELEGATION unterstreicht, dass das Fernsehen im Jahre 1970 die Idee noch nicht als absurd erachtet hat, die Menschen vor den heimischen Flimmerkästen könnten unfähig sein, sich in der geballten Rätselhaftigkeit des Films eine eigene, ganz subjektive Bahn schlagen. Geht man davon aus, dass das Fernsehen einer Nation stets auch Repräsentant der in dieser Nation vorherrschenden Ideologie ist, ist es selbstverständlich, dass jeder TATORT-Folge subtil moralische, politische, gesellschaftliche Wertvorstellungen untergemengt und gleichsam versteckt mit einer spannenden Handlung transportiert werden. DIE DELEGATION aber - und ich frage mich: weht da noch etwas vom Revolutionsgeist der 68er herüber? - scheint mir gerade darauf zu gründen, dass der Film den Bezug irgendeiner eindeutigen Position zu diesen Frage bereits im Ansatz verweigert.

3. Was bei DIE DELEGATION indes noch heute vielleicht am heftigsten ins Auge sticht, das ist der technisch-ästhetische Aspekt, mit dem Erler seinen Film sozusagen veredelt. DIE DELEGATION ist found-footage in Reinkultur, mehr noch als Zulawskis NA SREBNYM GLOBIE oder Deodatos CANNIBAL HOLOCAUST. In letzteren beiden Filmen, die für mich Ende der 70er das vorbereiten, was dann spätestens mit THE BLAIR WITCH PROJECT in einem eigenen, inzwischen offenbar noch immer boomenden Genre kulminierte, sind die found-footage-Szenen Teil eines größeren Ganzen, d.h. gepaart mit eindeutig als solche erkennbaren Spielszenen. Dass Zulawskis hysterisches, blaustichiges Paralleluniversum die sogenannte Realität selbst innerhalb der verwackelten, verwaschenen Handkameraszenen niemals eins zu eins abbildet, dürfte auf den ersten Blick genauso klar sein wie dass sich CANNIBAL HOLOCAUST allein dadurch als Illusion entlarvt, dass er seine schon eher als authentisch gelten könnenden Handkameraszenen zunächst in eine konventionelle Abenteuergeschichte einbettet, in der das Blut – sofern es nicht von armen Mungos stammt – genauso wenig echt ist wie der meerschaumpfeifensüchtige Professor. DIE DELEGATION aber – und das hat scheinbar, ähnlich wie bei Orson Welles Radiohörspiel WAR OF THE WORLDS, zu leichtem Panikflattern innerhalb der bundesdeutschen Bevölkerung geführt – tritt von der ersten bis zur letzten Sekunde als angebliche Realität auf, und leistet sich darin nicht einen einzigen fiktionalen Seitensprung, der als solcher markiert wäre. Ein Reporter ist auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen, nachdem er über seinen Nachforschungen bezüglich Aliens und UFOs fast seinen Verstand verlor – mit diesen einleitenden Worten beginnt die Fernsehstation, identisch mit der des ZDFs, das Ausstrahlen einer Kompilation der letzten Video- und Tondokumente, die der Mann vor seinem Ableben gemacht hat. Nur selten unterbricht ein Studiomoderator den Bilderreigen, um Gäste wie beispielweise die Frau des Verstorbenen oder seinen ehemaligen Kameramann zu interviewen, ansonsten sind wir von außen unkommentiert der Sichtweise Roczinskis überlassen. Das stellt einen Minimalismus, eine Reduktion dar, der CANNIBAL HOLOCAUST in all seiner collagenhaften Glorie völlig fremd ist – (vielmehr wird bei Deodato ständig alles kommentiert und reflektiert, auf einer letzten Meta-Ebene sogar der Film CANNIBAL HOLCOAUST an sich) -, der erst wieder bei dem, thematisch zumindest ähnlich gelagerten, U.F.O. ABDUCTION und freilich THE BLAIR WITCH PROJECT zu finden ist – (wobei diese Filme zu keinem Zeitpunkt die Tiefe und Weisheit von DIE DELEGATION erreichen, da es ihnen hauptsächlich darum geht, emotional, d.h. über Gefühle wie Angst und Schrecken, zu ihren Zuschauern zu sprechen) – und der Filmen wie NA SREBNYM GLOBIE oder CALTIKI, dem frühesten mir bekannten Beispiel für found-footage, naturgemäß fehlen muss, da das Fundmaterial in ihnen nicht mehr und nicht weniger als einzelne narrative Stückchen in einer Gesamtkonstruktion bedeutet. DIE DELEGATION betritt somit wirkliches Neuland, antizipiert ein komplettes Genre, erzählt von einer Zeit, als Fernsehen wohl noch so etwas wie ein recht freies Experimentierfeld sein konnte, bei dem im Kleinen Dinge möglich waren, die die Größe des Kinos nicht geduldet hätte. Ich bin begeistert! Danke, Bux!
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