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Herr der Fliegen - Peter Brook (1963)

Verfasst: Sa 9. Jun 2012, 09:10
von purgatorio
Herr der Fliegen

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Deutscher Titel: Herr der Fliegen
Originaltitel: Lord of the Flies

Regie: Peter Brook
Produktionsland: Großbritannien (1963)

Darsteller: James Aubrey, Tom Chapin, Hugh Edwards, Roger Elwin, Tom Gaman, Roger Allen, David Brunjes, Peter Davy, Kent Fletcher, Nicholas Hammond, Christopher Harris, Alan Heaps

Story:
Nach einem Flugzeugabsturz retten sich die überlebenden Halbwüchsigen eines Chors auf eine einsame Insel. Dort finden sie Wasser, Schweine, Obst und andere Nahrung vor. Notgedrungen, um das Fehlen eines Erwachsenen zu ersetzen, wählen sie zwei Anführer für jeweils zwei Gruppen. Ralph wird der Anführer der Gruppe, die für Unterkunft und für das Signalfeuer sorgt. Jack dagegen führt die Jäger an, die für das Essen der Gruppe sorgen soll. Bald schon gibt es erste Rivalitäten zwischen Ralph und den Jägern, die seine Bemühungen um vernünftiges Verhalten, als Mißbilligung ihres Jagdspasses verstehen. Tatsächlich verfallen die Jäger mehr und mehr und werden langsam zu kleinen Wilden, die sich letztendlich ihre eigene heidnische Jagdreligion ausdenken. Die Konflikte spitzen sich in der Folgezeit dramatisch zu, bis es zu einem gewalttätigen Ausbruch und zu einer Menschenjagd auf Ralph kommt...
(via ofdb)

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Re: Herr der Fliegen - Peter Brook (1963)

Verfasst: Sa 9. Jun 2012, 09:15
von purgatorio
LORD OF THE FLIES ist eine großartige, metaphorisch stark aufgeladene Geschichte über Gruppendynamiken und Konfliktpotenzial und das dem Menschen ureigene Phänomen der Gewalt. Die Gruppe 6-12jähriger entwickelt innerhalb kürzester Zeit ein derart hohes Aggressionspotenzial wieder jeder Vernunft, dass der Film nebst Abenteuer und Drama auch gut und gerne als Horror bezeichnet werden kann. Eine immer wieder packende Erzählung, hier trotz Alter und s/w beeindruckend verfilmt: 9/10 :thup:

Re: Herr der Fliegen - Peter Brook (1963)

Verfasst: Mi 13. Aug 2014, 00:03
von buxtebrawler
„Wie eine Horde Kinder!“

Der Brite Peter Brook („Stunden voller Zärtlichkeit“) zeichnet als Regisseur verantwortlich für die erste, im Jahre 1963 noch in Schwarzweiß gedrehte Verfilmung der Robinsonade William Goldings, die sich in Romanform mit der kriegerischen Entwicklung der Zivilisation anhand einer Gruppe Kinder auseinandersetzt.

Eine Gruppe sechs- bis zwölfjähriger Kinder, ausschließlich Jungen, überlebt einen Flugzeugabsturz und schafft es, sich auf eine einsame Insel zu retten. Ein Teil der Kinder stammt aus dem Chor einer Eliteschule, die anderen haben keinen elitären Hintergrund. Während bei den Chorknaben Jack (Tom Chapin) den Ton anzugeben pflegt, wählen die anderen angesichts der besonderen Situation den besonnenen Ralph (James Aubrey) zu ihrem Anführer, der von einem nur „Schweinchen“ genannten übergewichtigen Jungen (Hugh Edwards) und vom von Alpträumen geplagten Simon (Tom Gaman) unterstützt wird. Während Ralph sich in erster Linie um das Lager- bzw. Signalfeuer und darum, dass es nie ausgeht, kümmert, Unterkünfte herrichtet und sich um ein vernunftbetontes, faires Miteinander bemüht, entwickeln Jack & Co. Spaß an der Jagd nach tierischer Nahrung und treten den anderen gegenüber aggressiv auf. Jack schikaniert mit Vorliebe „Schweinchen“ und rekrutiert immer mehr Anhänger für seine Gruppe. Die Leiche eines sich mit seinem Fallschirm in einem Baum verfangenen habenden Soldaten halten die Kinder verängstigt für eine Bestie, weil der Wind den Fallschirm aufbläht. Die Jagd auf die vermeintliche Bestie lässt die Situation schließlich vollends eskalieren...

Die Eröffnungstitel werden zu Standbildern von Schülern, Flugzeugen bis hin zum Wrack eingeblendet und umreißen grob die Vorgeschichte. Die laut Literaturvorlage erfolgte Evakuierung aufgrund eines Atomkriegs lässt sich daraus allenfalls erahnen. Die bewegten Bilder steigen direkt mit den gestrandeten Kindern ein, ihre sozialen Unterschiede werden nur marginal thematisiert. Brook zeigt Ralphs Wahl zum Anführer und das Vertrautmachen mit Fauna und Flora der Insel. Der erste schwerer wiegende Konflikt tritt auf, als das Feuer aus geht. Im weiteren Verlauf wird „Schweinchen“ geschlagen und dabei seine Brille zerstört. Die größer werdende Gruppe um Jack verwildert zusehends und entwickelt Riten wie ein Eingeborenenstamm, begibt sich schließlich auf die Suche nach der Bestie. Man opfert ihr einen Schweinekopf, um sie gnädig zu stimmen, und erinnert damit an frühzeitliche religiöse Riten. Jack kündigt die Zusammenarbeit mit Ralph schließlich komplett auf und geht zum offenen Konflikt mit dessen Gruppe über, wirbt immer mehr derer Mitglieder ab. Nachdem sie sich mit einem primitiven Tanz ums Feuer unter lautem Geschrei selbst in Rage gebracht haben, ist in der Konsequenz das erste Todesopfer zu beklagen und wird deutlich, dass ein Menschenleben unter Jacks Führung nicht mehr viel zählt.

Gesellschaftliche Verhaltensmuster Erwachsener zu abstrahieren, indem man sie von Kindern nachspielen lässt, ist ein adäquates Stilmittel, um Zusammenhänge zu verdeutlichen und Entwicklungen verständlich nachzuzeichnen. Zudem wird ein kontroverser Überraschungseffekt erzeugt, indem den Kindern ihre nachgesagte „Unschuld“ genommen wird, sie stattdessen außerhalb des Einflusses Erwachsener ungeschönt und wie selbstverständlich niedere menschliche Instinkte auszuleben beginnen. In „Herr der Fliegen“ sind dies Gewalttätigkeit und das „Recht des Stärkeren“, was hier gleichbedeutend mit körperlicher Überlegenheit ist. Der Krieg, den die Kinder schließlich in typischer Gruppendynamik entfachen, steht im Kontrast zum paradiesisch anmutenden Eiland und zieht dieses stark in Mitleidenschaft. Derjenige mit der größten Klappe kann eine immer größer werdende Anhängerschaft hinter sich vereinen, die aus Angst und Orientierungslosigkeit wider jeder Vernunft unter Aufgabe der Eigenverantwortung einer (vermeintlich) starken, dabei vielmehr barbarischen Führungspersönlichkeit folgt. Einfache und schnelle Lösungen werden gegenüber komplexeren Aufgaben bevorzugt, Andersdenkende werden schließlich gnadenlos gejagt. Somit kann „Herr der Fliegen“ sowohl als metapher- und symbolreiche Erklärung zur Entstehung von organisierter Gewalt, den Rückfall in archaische Verhaltensmuster sowie als Gegenüberstellung totalitärer und demokratischer Formen des Zusammenlebens betrachtet werden. Zudem werden die Gefahren populistischer Strömungen aufgezeigt. Insgesamt geht es also um Herausforderungen, der sich jede moderne Gesellschaft immer wieder aufs Neue stellen muss.

Dieses ernüchternde, aber auch warnende Menschenbild und damit einen konstruktiven Beitrag zum möglichen Verhindern derartiger Entwicklungen transportiert der Film in zum mir unbekannten Roman vermutlich etwas abgeschwächter Form. Dass die Kinder am Ende in eine offensichtlich ebenfalls eskalierende Erwachsenenwelt „gerettet“ werden, muss man sich selbst zusammenreimen. Der Kontrast zur idyllischen Insel wird in den Schwarzweißbildern auch nicht zwingend deutlich, das unfreiwillige Exil der Kinder erscheint vielmehr ebenfalls tendenziell unwirtlich und bedrohlich. Auch dramaturgisch merkt man dem Film an, dass sein Regisseur bei seiner dritten Arbeit kein erfahrener Abenteuer- oder Thriller-Filmer war. Unterm Strich dürfte der Film wesentlich weniger stark kontrovers aufgefasst worden sein als der Roman, der Überlieferungen zufolge in den 1970ern aus diversen Schulen Nordamerikas entfernt bzw. der Zugang zu selbigem erschwert wurde. Nichtsdestotrotz werden Stoff und Aussage durchaus ansprechend von ambitionierten Jungmimen nahegebracht und vermag der Inhalt auch heute noch nachdenklich zu stimmen – und sei es nur in Bezug auf Erinnerungen an die eigene Kindheit mit ihren im noch kleineren Rahmen stattgefunden habenden Gruppendynamiken, Ungerechtigkeiten und moralisch fragwürdigen Verhaltensweisen. Ebenfalls nicht unterschätzt werden sollte natürlich das neugierig machende Faszinosum, das mit der Geschichte um eigene Herrschaftsstrukturen entwickelnde gestrandete Kinder auf einer exotischen Insel einhergeht. Ein böses Kinderabenteuer.

Re: Herr der Fliegen - Peter Brook (1963)

Verfasst: Di 6. Mär 2018, 14:13
von buxtebrawler
Erscheint voraussichtlich am 09.03.2018 bei Concorde auf Blu-ray und auch noch einmal auf DVD:

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Re: Herr der Fliegen - Peter Brook (1963)

Verfasst: Mi 28. Apr 2021, 11:17
von buxtebrawler
Erscheint voraussichtlich am 18.06.2021 bei Capelight noch einmal als Bonusfilm innerhalb des Blu-ray/DVD-Mediabooks der Neuverfilmung:

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Re: Herr der Fliegen - Peter Brook (1963)

Verfasst: Fr 30. Apr 2021, 00:04
von sid.vicious
Ich habe den Ende der 1980er oder Anfang der 1990er bei RTL geschaut und war hellauf begeistert. "Kyrie eleison."