Kalter Schweiß - Terence Young (1970)
Verfasst: Do 14. Jun 2012, 00:52
Kalter Schweiss (Frankreich, Italien, Belgien 1970, Originaltitel: De la part des copains)
Ungebetener Besuch
Joe Martin (Charles Bronson) lebt mit seiner Frau Fabienne (Liv Ullmann) und deren Tochter an der Côte d’Azur. Den Lebensunterhalt verdient er mit einer kleinen Yacht, auf der Touristen -unter Joes Anleitung und gegen gute Bezahlung- übers Meer schippern dürfen. Fabienne ahnt nichts von der dunklen Vergangenheit ihres Gatten, eines Tages steht ein Ganove (Michel Constantin) auf der Matte und sorgt für Wirbel. Joe gelingt es den ihm bestens bekannten Eindringling zu überwältigen, er bricht dem Burschen das Genick und entsorgt mit Hilfe seiner Frau die Leiche. Ruhe kehrt jedoch nicht ein, im Haus der Familie Martin warten Captain Ross (James Mason), Fausto (Luigi Pistilli) und der schiesswütige Sadist Katanga (Jean Topart) auf die Eheleute. Ross fühlt verraten, vor etlichen Jahren mißlang der gemeinsame Ausbruch aus einem Gefängnis, ledliglich Joe gelang die Flucht. Nun verlangt der Captain Hilfe bei einem Schmuggelgeschäft, die Yacht des ehemaligen Gefährten ist wie geschaffen für die kriminellen Interessen der Eindringlinge. Akute Lebensgefahr für Fabienne und Stieftochter, Joe muss alle Register ziehen um seine Familie zu retten. Hilfreich könnte Moira (Jill Ireland) sein, denn die Freundin des Captain fällt Joe in die Hände...
Terence Young gehört zur Riege der unvergessenen Regisseure, dem breiten Publikum ist er vor allem durch die Bond-Filme "James Bond 007 jagt Dr. No!" (Dr. No, 1962), "Liebesgrüsse aus Moskau" (From Russia with Love, 1963) und "Feuerball" (Thunderball, 1965) in Erinnerung geblieben. Auch mit Charles Bronson arbeitete Young mehrfach, nach dem hier kurzvorgestellen "Kalter Schweiss", entstand der grandiose Western "Rivalen unter roter Sonne" (Soleil rouge, 1971). Im Jahr 1972 startete der Kriminalfilm "Die Valachi-Papiere" (The Valachi Papers).
Die malerische Côte d’Azur bietet ein sehr schönes Umfeld, "Kalter Schweiss" gewährt ausschliesslich hübsche Ausblicke auf die Landschaft, schäbige Gassen und Hinterhöfe stehen nicht auf dem Speiseplan. Postkartenidylle als Bühne für Mord, Totschlag und Erpressung, ein reiz- und stimmungsvoller Kontrast. Man geht gar einen Schritt weiter, auch ohne den direkten Blick auf die Französische Riviera, bieten die Kulissen stets ein nahezu wohliges (das Haus des Helden und seiner Frau) bis dezent nobles (die Yacht der Hauptfigur) Ambiente, überdies erscheint sogar eine einfache Holzhütte einigermaßen wohnlich. Klar, der Plot mag keinen Preis für kreative Ausritte gewinnen, Themen wie Rache, Mord und Erpressung begegnen uns nur alltz häufig (was ich sehr begrüße. Nur damit kein falscher Eindruck entsteht). Für beste Unterhaltung sorgen die herrlich angelegten Charaktere, allesamt sehr gut besetzt und großartig gespielt! Daher beschäftigt sich der nächste Absatz mit den Damen und Herren vor der Kamera, sie haben es redlich verdient.
Charles Bronson macht uns zunächst den lockeren Gewinner, beliebt bei Kunden und Bekannten. Beim Blick auf seine Ehe fallen erste Schatten auf den Strahlemann, unter der Oberfläche brodelt es, die Flasche mit hochprozentigem Inhalt sorgt für Unstimmigkeiten. Blitzschnell schaltet Bronson um, ohne jede Vorbehalte nimmt man ihm den Beschützer und bei Bedarf über Leichen gehenden Kämpfer ab. Liv Ullmann geht diesen Weg mit, nur auf den ersten Blick bleibt sie auf das brave Heimchen am Herd reduziert. Ja, Bronson und Ullmann funktionieren prächtig! Umso interessanter die Mitwirkung von Jill Ireland, die seit 1968 mit Charles Bronson verheiratet war. Gern wird von einigen Filmfreunden mit Ausdauer auf Ireland eingegrügelt, ihre Karriere wäre ohne Bronson bereits weitaus früher zu Ende gewesen, ihr Talent sei nicht der Rede wert und, und, und... Schämt euch! Jill kommt in "Kalter Schweiss" als wundervolle Karikatur auf überdrehte Hippie-Gören daher, naiv, dreist und bekifft, auf eigenwillige Art bezaubernd. Luigi Pistilli haben viele Fans des italienischen Genre-Kinos ins Herz geschlossen, leider blieb dem hervorragenden Schauspieler der grosse Durchbruch verwehrt, 1996 beging Pistilli Selbstmord, ein herber Verlust. Luigi Pistilli kann sich diesmal nicht vollends entfalten, das Drehbuch gewährt seinen Komplizen mehr Raum. Während James Mason mit dem nahenden Finale (im wahrsten Sinne des Wortes) zunehmend verblasst, darf Jean Topart als völlig durchgeknallter Katanga richtig feist vom Leder ziehen. Die wichtigsten Darsteller sind aufgezählt, ganz grosses Lob für Jill Ireland und Jean Topart, selbstverständlich ebenso für den unverwüstlichen Charles Bronson.
Knapp 90 Minuten Spielzeit vergehen in Windeseile. Groteskes Verhalten der Charaktere und kerniger Humor, zwischen irrsinnig, kauzig, debil und brutal schlägt das Pendel munter und rastlos aus. Action wird in angemessener Dosierung geboten, Höhepunkt ist eine ausufernd und packend gefilmte Autoraserei über enge Strassen, notfalls querfeldein über Stock und Stein. "Kalter Schweiss" pfeift auf Logik (die sowieso völlig überbewertet ist, zumindest im Bezug auf Filme), kommt als Konzentrat schmackhafter Zutaten aus der Kiste. Bronson-Jünger kommen sowieso nicht an dem Streifen vorbei. Gleichwohl kommen auch Nicht-Bronsoner auf ihre Kosten, bestechender Stoff aus der goldenen Zeit des europäischen Kinos. Manchmal reicht ein Wort aus: GROSSARTIG!
"Kalter Schweiss" wurde bereits mehrfach auf den deutschen Markt geworfen, nicht alle Auflagen gehen als gelungen durch. Mir liegt die oben abgebildete DVD von Kinowelt vor, die Scheibe bietet den Film in ordentlicher Qualität an, ansprechende Boni runden den positiven Eindruck ab. Klarer Pflichtkauf, Ausreden sind ungültig!
8/10 (sehr gut)
Lieblingszitat:
"Wie ist es denn so, in den deutschen Gefängnissen?"
"Du sitzt drin und guckst raus!"